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Interview von Außenminister GuidoWesterwelle mit der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita
Aus Anlass des 20. Jahrestags der Unterzeichnung des Deutsch-Polnischen Vertrags über gute Nachbarschaft
Was hat sich während der letzten 20 Jahre seit Unterzeichnung des Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrags in den gegenseitigen Beziehungen nicht erreichen lassen?
Die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen in den letzten 20 Jahren ist eine große und bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Der Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag, dessen Jubiläum wir heute feiern, hat nach der Überwindung der Teilung Europas die Grundlagen für eine beispiellose Annäherung unserer beiden Länder gelegt. In der Zwischenzeit haben mehr als zwei Millionen Jugendliche an Austauschprogrammen teilgenommen und das Handelsvolumen ist um das 14-fache gestiegen. Nichts ist jedoch so gut, dass es nicht noch weiter verbessert werden könnte: Ich denke hier etwa an die Verkehrsverbindungen. Hier wollen wir insbesondere die Eisenbahnstrecken zwischen Berlin und Stettin und Berlin und Breslau rasch modernisieren, so dass eine Verkürzung der Fahrtzeiten möglich wird. Das verlangt Engagement auf beiden Seiten.
Könnten die Politiker nicht den Streit um die Ostsee-Pipeline beilegen? Könnte die Bundesregierung nicht eine Garantie abgeben, dass sich die polnischen Sorgen vor einer Erschwerung der Zufahrt in ihre Häfen nicht erfüllen werden?
Wir haben über diese Frage in der Vergangenheit ausgiebig gesprochen und sie angemessen gelöst. Das Problem der Wassertiefe ist zufriedenstellend geklärt: bei der westlichen Ansteuerung der Häfen Swinemünde und Stettin hat NordStream die Eingrabung der Pipeline zugesagt. Bei der Nordansteuerung gibt es eine Genehmigungsauflage, dass bei einer nachweislichen Behinderung der Schifffahrt die Genehmigung in diesem Punkt überprüft wird. Zur Zeit gibt es keine Behinderung. Denn Schiffe mit einem Tiefgang von 15 Metern können ohnehin in dieser Meeresgegend nicht fahren, da die natürlichen Wassertiefen nicht ausreichend sind.
Nordstream hat versprochen, die Ostsee-Pipeline tiefer zu legen, falls Polen in Zukunft die Zufahrt zu seinen Häfen ausbauen wolle. Würden Sie einem solchen Versprechen Glauben schenken, wenn es den Hafen Ihres Landes betreffen würde?
Mit der Genehmigungsauflage ist eine klare, rechtlich überprüfbare Regelung getroffen worden. Niemand hat die Absicht, polnische wirtschaftliche Interessen zu behindern. Es geht auch um europäische Energieversorgungsinteressen und um die sensible Ökologie der Ostsee, die in jedem Fall geschützt werden sollte.
Ist die Bundesregierung dazu bereit, den Angehörigen der durch den Bundestagsbeschluss vom 10. Juni rehabilitierten Mitgliedern der polnischen Minderheit Entschädigung für das während der NS-Zeit erlittene Unrecht zu zahlen?
Der Deutsche Bundestag hat am 10. Juni mit breiter Mehrheit die deutsch-polnischen Beziehungen in ihrer Entwicklung und zukunftsorientierten Perspektive gewürdigt. Der Bundestag hat sich mit Blick auf die tragischen Kapitel unserer Geschichte für die Ehrung und Rehabilitierung der polnischstämmigen Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Deutschland ausgesprochen. In den Gesprächen des Runden Tisches, die zu den Rechten der polnischstämmigen deutschen Bürger und der deutschen Minderheit in Polen geführt worden sind, ist das Thema von Entschädigungen nicht behandelt worden. Es ging den betroffenen Gruppen um eine würdige Erinnerung und Anerkennung.
Hat die Polonia in Deutschland heute die selben Rechte wie die Minderheiten der Sorben oder Dänen – abgesehen davon, dass sich die Polonia nicht „Minderheit“ nennen darf?
Unsere polnischstämmigen Mitbürger sind so gut in die unsere Gesellschaft integriert wie kaum eine andere fremdsprachige Gruppe in Deutschland. Ihre Rechte sind im Nachbarschaftsvertrag so klar definiert wie die Rechte der deutschen Minderheit in Polen. Wir stehen natürlich zur Umsetzung dieser Rechte. Der Runde Tisch hat vor kurzem eine ganze Reihe von konkreten Maßnahmen beschlossen, wie die Förderung der sprachlichen und kulturellen Identität beider Gruppen verbessert werden kann. Dies ist ein großer Erfolg, der nicht klein geredet werden darf. Beide Seiten wollen die Vereinbarungen des Runden Tisches umsetzen und diesen Dialog fortsetzen. Die Forderung nach einem Minderheitenstatus der Polen in Deutschland entspricht jedoch weder der gesellschaftlichen Realität unserer polnisch-stämmigen Mitbürger, noch den Möglichkeiten des deutschen Rechtssystems.
Der Runde Tisch hat in der letzten Woche beschlossen, dass in den polnischen Woiwodschaften Beauftragte sowohl für nationale wie auch für ethnische Minderheiten geschaffen werden. Bedeutete das nicht, dass Deutschland sich in den innerpolnischen Streit darüber einmischt, ob es eine schlesische Minderheit gibt?
Beide Seiten haben am Runden Tisch die Zusagen gemacht, die sie umsetzen wollen und können. Der Wunsch nach Ansprechpartnern für die deutsche Minderheit in Polen und die Polnischstämmigen in Deutschland spielte dabei eine wichtige Rolle. Wie dies ausgestaltet wird, liegt natürlich in der innerstaatlichen Zuständigkeit. Dies gilt auch für Deutschland.
Vermindert nicht die Krise in Portugal, Griechenland und anderen EU-Ländern den deutschen Enthusiasmus für die gemeinsame Währung und die Vertiefung der Zusammenarbeit in der EU?
Ganz im Gegenteil. Wir haben bedeutsame Entscheidungen getroffen, um die Zukunft und die Stabilität des Euro langfristig zu sichern. Solidarität und finanzpolitische Solidität sind zwei Seiten derselben Medaille, nämlich des Engagements aller für eine gemeinsame Zukunft Europas. Wir haben einen Stabilitätspakt mit Autorität und Durchsetzungskraft beschlossen. Ein permanenter Rettungsschirm wird ab 2013 die gemeinsame Währung vor spekulativen Attacken schützen. Bis dahin haben wir tragfähige Lösungen gefunden. Alle Eurostaaten sind auf den Weg der Haushaltsdisziplin eingeschwenkt und legen über ihre Haushaltspolitik in Brüssel Rechenschaft ab. Sie sehen: Die europäische Schuldenkrise hat einen Integrationsschub ausgelöst.
Kann man von einer gemeinsamen EU-Außenpolitik sprechen, wenn Deutschland weder Frankreich noch Großbritannien unterstützt hat, als es um den Libyen-Einsatz ging?
Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der NATO nehmen an dem Militäreinsatz nicht teil. Deutschland und Polen haben entschieden, dabei nicht mitzuwirken. Die EU-Partner verfolgen gegenüber Libyen das klare gemeinsame Ziel, den Weg hin zu einer demokratischen Entwicklung zu ebnen. Wir haben in der EU ein umfassendes Öl- und Gasverbot durchgesetzt und als Europäer auch im Rahmen der Vereinten Nationen in dieser Frage Geschlossenheit gezeigt. Wir sind uns in der EU einig, dass der Nationale Übergangsrat in Bengasi der legitime Vertreter des libyschen Volkes ist. Daher hat die Hohe Vertreterin für die EU-Außenbeziehungen, Catherine Ashton, ein Verbindungsbüro der EU in Bengasi eröffnet. Von all diesen Schritten geht ein starkes Signal an die politischen Akteure in Nordafrika aus, dass die EU in der Lage ist, die Instrumente ihrer gemeinsamen Außenpolitik erfolgreich einzusetzen.
Was sollte die Hauptbotschaft der heutigen [21. Juni] gemeinsamen Kabinettssitzung der polnischen und deutschen Regierung in Warschau sein?
Wir wollen heute nicht nur Rückschau auf das Erreichte halten, sondern eine gemeinsame Vision für unsere Zukunft im 21. Jahrhundert entwickeln. Noch nie war unser Verhältnis so gut wie heute. Die historische Chance, die wir heute als Partner Seite an Seite in EU und NATO haben und die aus der Überwindung der Teilung Europas entstanden ist, müssen wir zum Wohle der Menschen in unseren Ländern nutzen. Dazu wollen wir eine aktive, gestaltende Rolle in Europa und gemeinsame Verantwortung in der Außenpolitik übernehmen. Das sind wir uns vor dem Hintergrund der Vergangenheit schuldig.