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„Wir brauchen Amnesty im Kampf für Menschenrechte“ (Interview: Markus Löning in der HAZ)

25.05.2011 - Interview

Interview mit dem Beauftragten für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Markus Löning. Erschienen in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 25.05.2011.

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Herr Löning, bei Ihrer Berufung vor einem Jahr hat amnesty international Zweifel an Ihrer Qualifikation als Menschenrechtsbeauftragter geäußert. Wie ist Ihr Verhältnis heute?

Aus meiner Sicht: gut. Ich arbeite eng mit amnesty international und anderen Nicht-Regierungs-Organisationen zusammen. Das ist ja auch absolut notwendig. Wir brauchen Organisationen wie Amnesty international, weil sie ein ungeheuer breites, tiefes Wissen in Menschenrechtsfragen haben. ai kennt sich in vielen Ländern sehr gut aus, und hat ein dicht geknüpftes Netzwerk vor Ort. Aus diesem Netzwerk werden manchmal Menschenrechtsverletzungen an uns herangetragen, von denen unsere Botschaften noch gar nichts gehört hatten. Wir brauchen diese Nähe, um uns wirksam für Opfer einsetzen zu können.

Wen sehen Sie derzeit als schlimmsten Unterdrücker politischer Freiheit?

Dieser Staat, jener Diktator – da mag ich keinen auswählen. Für den einzelnen Gefangenen ist es egal, ob er in seinem Land der einzige ist, der wegen seiner Meinung inhaftiert ist, oder ob es Tausende sind. Jeder ist einer zu viel. Besonders beschämend und schwierig finde ich es allerdings, wenn Menschen mitten in Europa, namentlich in Weißrussland, Aserbaidschan und Armenien, als politische Gefangene eingekerkert sind. Besonders die weißrussische Führung ist für Druck von außen leider sehr unempfänglich.

Also bleibt, wie es die EU am Montag getan hat, mal wieder nur die Verhängung von Sanktionen?

Ich bin persönlich kein großer Freund von Sanktionen, besonders wenn sie pauschal über ein ganzes Land verhängt werden. Aber gerade im Fall des Regimes Lukaschenko ist es vernünftig, wenn ein großer Kreis seiner Helfer mit Reiseverboten für die EU belegt wird und wenn die europäischen Konten dieser Leute gesperrt werden. Deutschland hat eine Initiative im UN- Menschenrechtsrat gestartet: Wir wollen, dass angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen ein Sonderberichterstatter für Weißrussland im Sicherheitsrat eingesetzt wird.

Solche Berichterstatter und UN-Resolutionen haben die schlimmsten Unterdrücker bisher aber noch nie gestoppt.

UN-Resolutionen wirken langfristig – weil sie Öffentlichkeit schaffen. Erstaunlicherweise ist den Diktatoren diese Art von Öffentlichkeit unangenehm, weil sie lieber im Verborgenen verhaften, foltern und ermorden. Deshalb ist ja auch die Arbeit von amnesty international so wirkungsvoll: Der anhaltende Druck durch Briefe und internationale Appelle stärkt die Menschenrechtler in den Ländern, in denen keine Rechtsstaatlichkeit herrscht.

Der arabische Frühling spricht für Ihre These von der Macht der Öffentlichkeit. Bricht unter neuer Führung nun auch in der arabischen Welt das Zeitalter des Rechtsstaats an?

In Osteuropa haben wir gesehen, dass nichts von allein passiert. Es kostet große Anstrengungen, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Gesellschaften zu verankern, die jahrzehntelang unterdrückt waren. Wo Aussichtslosigkeit herrscht, entwickelt sich keine starke Zivilgesellschaft. Ohne die ist kein Rechtsstaat möglich – und ohne den gibt es keinen Schutz für die Menschenrechte. Wie wichtig rechtsstaatliche Strukturen sind, sehen wir auch in unserer Nachbarschaft, etwa in der Türkei.

Sie sprechen der Türkei, die sich um Aufnahme in die EU bemüht, die Rechtsstaatlichkeit ab?

Es gibt immer wieder Berichte, die Zweifel daran aufkommen lassen, dass die türkische Justiz wirklich unabhängig und frei ist. Natürlich hat sich die Menschenrechtssituation in den vergangenen zehn Jahren deutlich gebessert. Aber nehmen Sie die Pressefreiheit: Da wird ungeheurer politischer Druck ausgeübt. Das ist unerträglich und kein Standard, der in die EU passt.

Weil in der EU in Sachen Menschenrechte alles zum besten bestellt ist?

Nein, das ist es auch bei uns nicht – und das ist mir im Grunde mit das wichtigste Anliegen: dass wir in der EU über unsere eigenen Defizite sprechen. Wie gehen wir mit den Flüchtlingen in Italien um? Wie frei ist die Presse in Ungarn? Wie sicher leben sexuelle Minderheiten in Litauen? Und wenn Organisationen wie amnesty international in Deutschland auf Gewalt in Polizeigewahrsam aufmerksam macht, dann sollten Bundes- und Landesregierungen genau hinhören. Ich muss das nicht gleich in der Sache bewerten – aber als Politiker sollten wir das sehr ernst nehmen.

Interview: Susanne Iden. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (www.haz.de).

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