Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Interview von Außenminister Westerwelle für die „Passauer Neue Presse“

23.03.2011 - Interview

„Enthaltung ist keine Haltung“ - wissen Sie noch, von wem dieser Satz stammt?

Selbstverständlich weiß ich, dass ich das in einer Bundestagsdebatte gesagt habe, weil die Opposition bei der Euro-Rettung nicht mitstimmen wollte.

Weshalb dann die Enthaltung im Weltsicherheitsrat zur Libyen-Resolution?

Für diese innenpolitischen Plänkeleien ist mir das Thema Krieg und Frieden zu ernst. Enthaltung im Sicherheitsrat bedeutet nicht Neutralität gegenüber dem Diktator. Ich habe diese Entscheidung so getroffen, weil wir uns nicht an einem militärischen Einsatz in Libyen beteiligen werden. Wenn Deutschland im Sicherheitsrat einem militärischen Einsatz zugestimmt hätte, ginge es jetzt nur noch um die Frage, wie viele deutsche Soldaten nach Libyen geschickt werden. Luftangriffe zu fliegen, während die Sanktionsmöglichkeiten noch nicht umfassend ausgeschöpft sind, halte ich allerdings für eine Widersprüchlichkeit, die dringend abgestellt werden muss. Wir müssen endlich konsequent ausschließen, dass weiterhin Öl- und Gasgeschäfte mit dem System Gaddafi stattfinden können. Der Diktator darf nicht an frisches Geld kommen.

Streit über das Kommando des Militäreinsatzes, Kritik an einer fehlenden Strategie – sehen Sie sich jetzt in Ihrem Votum bestätigt?

Niemand kann sagen, dass dieser Krieg in wenigen Tagen vorbei ist. Ich hoffe sehr, dass meine Skepsis unnötig war. Gaddafi muss weg. Er hat jedes Recht verwirkt, für sein Volk zu sprechen. Seitdem das Wort Flugverbotszone zum ersten Mal gefallen ist, habe ich aber darauf hingewiesen, dass dann auch Bomben fallen werden und es Raketenangriffe geben wird. Dass dieses auch zivile Opfer bedeuten würde, ist leider immer so. Allerdings ist es schon bemerkenswert, dass es nur drei Tage gedauert hat, bis die Arabische Liga, die Türkei und andere den Einsatz kritisiert haben, auch der südafrikanische Präsident, dessen Land im Sicherheitsrat noch zugestimmt hat. Aber: Der Sicherheitsrat hat entschieden; das ist jetzt geltendes Recht. Deutschland wird sich an der Umsetzung der Resolution beteiligen, indem wir humanitär helfen und uns für Schutz und Versorgung der Flüchtlinge einsetzen.

Deutschland an der Seite von China und Russland – nicht nur ihr Vorvorgänger Joschka Fischer spricht von Scham. Ist das die neue schwarz-gelbe diplomatische Linie unter Außenminister Guido Westerwelle?

Vergessen Sie bitte nicht, dass sich auch Brasilien und Indien enthalten haben. Ansonsten möchte ich die Äußerungen von Herrn Fischer schon deswegen nicht kommentieren, weil sie erkennbar parteipolitisch motiviert sind. Mein Amtsvorgänger Frank-Walter Steinmeier hat die Entscheidung verständlich und nachvollziehbar genannt. Mehr als die Hälfte der Europäer beteiligt sich nicht an einem Militäreinsatz in Libyen. Außerdem sind wir bereit, unsere Verbündeten zu entlasten, indem wir Verantwortung in Afghanistan bei der AWACS-Luftüberwachung übernehmen innerhalb des beschlossenen Kontingentes. Es wird kein Soldat mehr nach Afghanistan geschickt, als schon im bisherigen Mandat steht.

Das Bündnis ist zerstritten wie nie. Steht die Nato am Ende als große Verliererin dar?

Nur weil wir in einer, wenn auch wichtigen, Frage verschiedener Meinung waren, gibt es keine Beeinträchtigung des deutsch-französischen Verhältnisses. Auch unsere Bündnissolidarität steht völlig außer Frage. Hier gibt es zurzeit sehr viel Wahlkampfgeklingel. Die Diskussion der Aufgabenverteilung beim Libyen-Einsatz wird jetzt vor allem innerhalb der Koalition der Willigen, zwischen den USA, Frankreich und Großbritannien geführt.

Hatten Sie große Mühe, die Bundeskanzlerin von der Enthaltung zu überzeugen?

Wir haben diese Entscheidung gemeinsam und keineswegs leichten Herzens getroffen. Im Übrigen ist Deutschland wegen dieser Entscheidung nicht isoliert. Mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nimmt nicht an den Kampfmaßnahmen teil. Ein Kampfeinsatz kann immer nur das allerletzte Mittel sein. Das ist bisher meine schwierigste außenpolitische Entscheidung gewesen. Dass sie mir Kritik einbringen würde, wusste ich vorher; und dennoch haben wir so entschieden, weil ich fest davon überzeugt bin, dass sich die Bundeswehr nicht an einem Kampfeinsatz in Libyen beteiligen sollte. Hätten wir anders gehandelt, wäre es genau dazu gekommen.

Ähnlich hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002 sein Nein zum Irak-Krieg begründet und war dafür von der Opposition scharf kritisiert worden.

Unabhängig davon, dass man so etwas dem amerikanischen Präsidenten nicht im Wahlkampf auf einem Marktplatz mitteilt: Ich habe Gerhard Schröders Entscheidung unterstützt, sich nicht am Irak-Krieg zu beteiligen. Seitdem ich Außenminister bin, habe ich auf eine Abzugsperspektive in Afghanistan hingearbeitet. Heute sieht man hier den ersten Erfolg. Die Übergabe der Verantwortung in afghanische Hände beginnt.

Wird der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan noch in diesem Jahr starten?

Wir wollen Ende 2011 erstmalig eine Reduzierung unseres Kontingents in Afghanistan beschließen. Voraussetzung ist natürlich, dass sich die Übernahme der Verantwortung durch die afghanische Seite weiterhin positiv entwickelt. Dass die Afghanen jetzt in sieben Regionen und Städten das Kommando übernehmen, ist ein wichtiger Schritt. Natürlich muss der Abzug von der weiteren Entwicklung abhängig gemacht und die Übergabe verantwortungsvoll organisiert werden.

Nach der Katastrophe in Japan: Hat die Kernenergie in Deutschland überhaupt noch eine längere Zukunft?

Die Naturkatastrophe in Japan macht alle nachdenklich. Die halbe Welt überprüft ihre Programme zur zivilen Nutzung der Atomenergie. Von der Internationalen Atomenergiebehörde über die USA und Russland bis zu Indien und China – die Sicherheitsstandards kommen nicht nur bei uns auf den Prüfstand. China hat die Zulassung neuer Kernkraftwerke erst einmal eingefroren.

Dennoch: Die Mehrheit der Deutschen sieht in dem sogenannten Moratorium nur ein Wahlkampfmanöver...

Der Vorwurf ist unangebracht. Es geht darum, aus der Naturkatastrophe in Japan und ihren nuklearen Folgen zu lernen. Deshalb benötigen wir das Moratorium. Eine Expertenkommission wird jetzt die Sicherheitsvorkehrungen in den deutschen Atomkraftwerken umfassend überprüfen und zügig ihre Empfehlungen vorlegen. In Fukushima sind die Kühlsysteme ausgefallen, weil Notstrom-Aggregate unter Wasser gestanden haben. So etwas müssen wir in Deutschland verhindern.

Bleiben die sieben ältesten Reaktoren dauerhaft abgeschaltet?

Ich spekuliere nicht über die Ergebnisse der Überprüfung. Die Einsetzung der Expertenkommission war auch mein Vorschlag. Man darf doch nicht so tun, als wüsste man heute schon alles, was wir aus Japan lernen müssen. Nun sollte erst einmal die Expertenkommission an die Arbeit geben.

Sieben Kernkraftwerke sind vom Netz, im Mai könnten es sogar dreizehn sein – von Versorgungsengpässen keine Spur. Ist die Atomenergie entgegen allen Beteuerungen doch verzichtbar?

Das sind alles Spekulationen. Ich hätte nie geglaubt, dass es jemals zu einer solchen Katastrophe wie in Japan kommt. Jetzt lassen wir die Sicherheit unserer Atomreaktoren überprüfen. Doch es wäre die falsche Konsequenz, wenn wir bei uns die sichersten Kraftwerke der Welt abschalten würden, um dann Strom aus unsichereren Kraftwerken im Ausland einzukaufen. Das kann nicht Sinn der Sache sein.

Bleibt es bei der im vergangenen Jahr beschlossenen Laufzeitverlängerung? Dann könnten die Strommengen früher abgeschalteter Meiler auf neuere Reaktoren übertragen werden...

Diese Fragen werden wir im Zuge des Moratoriums prüfen und besprechen. Diesen Ergebnissen kann und will ich nicht vorgreifen.

Die Abschaltung der Alt-Anlagen wird mit Gefahrenabwehr begründet. Steht das Moratorium juristisch nicht auf wackeligem Fundament?

Der zuständige Bundesumweltminister erklärt, dass das Atomgesetz die ausreichende und richtige Rechtsgrundlage für das Moratorium ist. Ich habe keinen Grund, an seinen Ausführungen zu zweifeln.

(...)

Zum letzten Thema: Der neue Rettungsfonds für den Euro steht. Deutschland soll 22 Milliarden beisteuern. Ein neues Hilfspaket ohne Alternative?

Das ist ein Vorschlag der Finanzminister, aber noch kein Ergebnis der Staats- und Regierungschef. Hier wird bis zum Gipfel Ende der Woche noch europäische Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Unsere Ziele sind klar: Europa und unsere gemeinsame Währung müssen stabil bleiben. Deutschland muss die Hand auf der eigenen Kasse behalten. Ich lege großen Wert darauf, dass alle Entscheidungen beim neuen Krisenmechanismus einstimmig getroffen werden müssen. Wir gehen nicht in Richtung einer Transferunion. Die Verantwortung für die Schuldenaufnahme bleibt in den Mitgliedstaaten.

Erschienen in der Passauer Neuen Presse vom 23.03.2011

Verwandte Inhalte

nach oben