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Außenminister Westerwelle im Interview mit dem Deutschlandfunk zu Libyen

17.03.2011 - Interview

Bundesaußenminister Guido Westerwelle im Interview mit dem Deutschlandfunk zur aktuellen Lage in Libyen (17.03.2011)

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Am Telefon ist jetzt Guido Westerwelle, der Bundesaußenminister und FDP-Bundesvorsitzende. Guten Morgen!

Guten Morgen, Herr Heinemann.

Herr Westerwelle, Gaddafi hat Deutschland wegen seiner Zurückhaltung gelobt. Wie peinlich wird es, wenn er sich nach der Rückeroberung von Bengasi ausdrücklich bei der Bundesregierung für ihr Zaudern bedanken wird?

Ich will nicht die wirren Reden des libyschen Diktators kommentieren, sondern ich möchte etwas zur Sache sagen. Wir sind Gegner des Regimes Gaddafis und wir sind auch der Überzeugung, dass mit gezielten Sanktionen und mit aller Härte, einschließlich auch des Internationalen Strafgerichtshofs, gegen ihn und seine Herrscherfamilie vorgegangen werden muss. Die Frage ist aber, ob wir Deutschland in einen Krieg führen, der dann in Libyen stattfinden würde, auch mit internationaler Beteiligung, und dagegen habe ich mich gewendet. Ich möchte nicht, dass deutsche Soldaten in einen libyschen Krieg hineingezogen werden, und ich werde mich auch nicht daran beteiligen, dass mit deutschen Soldaten in Libyen ein Krieg geführt wird. Wir sollten gelernt haben aus der jüngeren Geschichte, das ist keine Lösung, und hier gibt es auch zunächst noch einmal eine Verantwortung der Staaten der Region, der arabischen Staaten, der Nachbarstaaten der Arabischen Liga.

Herr Westerwelle, ich möchte Ihnen die beiden ersten Sätze des aktuellsten Berichts unseres Nahost-Korrespondenten Uwe Lueb vorspielen:

Uwe Lueb: Libyens Machthaber Gaddafi plant möglicherweise Luftschläge gegen Stellungen in Bengasi im Nordosten Libyens. Bis Mitternacht Ortszeit sollten Einwohner der Stadt Stellungen der Rebellen und ihre Waffenlager verlassen.

Mit einer Flugverbotszone hätte man das verhindern können; unter anderem Sie hatten das in der Hand.

Eine Flugverbotszone ist ein militärisches Eingreifen, denn eine Flugverbotszone ist ja nicht das Aufstellen eines Verkehrsschildes, sondern ist ja ein militärisches Eingreifen, das Ausschalten von Bodentruppen, von Flugabwehrstellungen, und ich sehe nicht, dass die deutsche Luftwaffe dann Bomben auf libysche Luftabwehrstellungen wirft. Ich finde, dass wir als Deutsche zurecht auch unseren politischen Druck auf das Regime Gaddafi erhöhen. Ich bin der Überzeugung, dass dieses auch gemeinsam mit unseren Partnern bei den Vereinten Nationen getan werden muss. So verhandeln wir auch. Ebenfalls ist es notwendig, dass die Staaten der Region, die arabischen Staaten, die ja selber auch über eigene Armeen verfügen, ihrer Verantwortung nachkommen. Aber der Reflex ist ein schneller Reflex, es ist ein schneller Impuls, jetzt auch nach einem militärischen Eingreifen zu rufen. Ich denke aber, wir sollten ihm nicht nachgeben, sondern wir müssen klug handeln, auch bedacht handeln. Ich sehe keine deutschen Soldaten in Libyen, und vor so einer Konsequenz will ich unser Land auch schützen.

Aber politischer Druck interessiert einen Verrückten doch nicht.

Aber was ist denn, wenn eine Flugverbotszone, also ein militärisches Eingreifen aus der Luft, keinen Erfolg hat, wenn die Bodentruppen weiter vorrücken? Werden wir dann auch mit eigenen Bodentruppen nach Libyen gehen, wie es im Irak der Fall gewesen ist? Vor einer solchen schiefen Ebene will ich Deutschland schützen.

Gaddafi wird seine Widersacher, sollte er ihrer habhaft werden, massakrieren. Das kann man, glaube ich, mit Sicherheit sagen. Für diese mutigen Menschen gilt: Wer sich auf die deutsche Bundesregierung verlässt, der ist verlassen.

Ich denke, dass das nicht in Ordnung ist, einen solchen Vorwurf zu erheben, sondern ich finde, wir sollten hier auch die Initiativen vom UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ernst nehmen, der ja ebenfalls auch in Richtung Waffenstillstand arbeitet und aufgerufen hat, und dafür sitzen ja auch jetzt die Vereinten Nationen zusammen. Aber ich muss umgekehrt einmal die Frage stellen: Schlagen Sie mir jetzt vor, dass deutsche Soldaten in Libyen eingreifen? - Ich möchte es nicht! Ich werde das auch nicht unterstützen. Ich will mich an einem militärischen Einsatz deutscher Soldaten in Libyen nicht beteiligen, und deswegen wende ich mich dagegen. Es gibt eine Verantwortung der Staaten der arabischen Region, es sind lauter Nachbarländer da, die Arabische Liga muss auch die eigene Verantwortung wahrnehmen, und ich möchte nicht, dass Deutschland Teil eines Krieges in Libyen wird, eines dauerhaften Bürgerkrieges in Libyen wird. Wir Deutsche müssen auch daran denken, dass wir nicht unsere Soldaten jeweils dort hinschicken können, wo Unrecht geschieht, auch wenn wir dagegen natürlich international gemeinsam geschlossen vorgehen.

In Europa gibt es auch andere Stimmen. Wenn wir letzte Woche durch militärisches Eingreifen einige Start- und Landebahnen und das paar Dutzend Flugzeuge Gaddafis neutralisiert hätten, dann hätte sich die Lage in Libyen vielleicht nicht zum Nachteil der Opposition entwickelt. Das ist Vergangenheit. Frankreich wollte eingreifen, aber viele seiner Partner haben sich viel zurückhaltender gezeigt. Das sagte ihr französischer Amtskollege Alain Juppé. Wir hören den französischen Außenminister:

[Einspielung Alain Juppé]

Fühlen Sie sich von dieser Kritik angesprochen?

Nein, denn wir haben darüber natürlich auch gesprochen, und Sie haben selbst bei der Einführung dieses Zitates von meinem französischen Amtskollegen, den ich heute Mittag ja auch in Berlin treffen werde, gesagt, „vielleicht“, und dieses „vielleicht“ ist auch dann sehr entscheidend. Was ist denn, wenn wir mit Lufteinsätzen keine Erfolge haben, sondern wenn die Bodentruppen weiter vorrücken? Werden wir dann wie im Irak-Krieg auch mit Bodentruppen eingreifen? Sind wir dann Teil einer Koalition von Willigen? Ich habe dasselbe Gefühl wie Sie, wenn ich diese Bilder sehe, und jeder mitfühlende Mensch ist entsetzt, und wir fragen uns ja auch, wie wir auch den Druck international erhöhen können, und genau daran arbeiten wir. Die Alternative zu einem militärischen Eingreifen Deutschlands in Libyen ist ja nicht Tatenlosigkeit, sondern ist ja unser Wirken in der internationalen Gemeinschaft, sind die Sanktionen, die gezielten Sanktionen, die wir beschlossen haben, und ich möchte nicht, dass Deutschland in einen Krieg hineingezogen wird, und ich denke, das ist eine verantwortungsvolle Position, auch wenn man natürlich bedrückt ist und bestürzt ist, wenn man die Bilder des Diktators Gaddafis und seiner Truppen sieht. Auf der anderen Seite muss ich auch mal darauf hinweisen: Wir sehen im Augenblick alle nach Libyen. Was ist dann das nächste Land? Müssen wir dann auch im Jemen eingreifen mit deutschen Truppen? Was ist mit Bahrain? Was ist denn, wenn in der Elfenbeinküste die Entwicklung sich weiter zuspitzt? Ich bitte auch in einem solchen Augenblick, wo einem das Herz schwer ist, wenn man solche Bilder sieht, immer zu bedenken, dass wir Deutsche nicht mit deutschen Soldaten überall in Ländern der Welt eingreifen können, wo Unrecht geschieht.

Sprechen wir über Bahrain. Dort werden auch Demonstranten niederkartätscht durch saudische Soldaten. Saddam Husseins Überfall auf Kuwait rief damals den Westen auf den Plan. Muss sich Europa nicht zweierlei Maß vorwerfen lassen?

Ich habe gestern ja in meiner Regierungserklärung im Deutschen Bundestag die Haltung der Bundesregierung klar zum Ausdruck gebracht. Ich sehe, dass dieses auch offensichtlich die Haltung des amerikanischen Präsidenten ist, so weit man von dem Gespräch, das er mit dem bahrainischen Königshaus geführt hat, etwas erfahren hat. Wir sehen die Zuspitzung mit sehr großer Sorge. Der Ursprung dieses Konfliktes ist ja ein Konflikt zwischen schiitischer Mehrheit und sunnitischer Herrscherfamilie. Es ist ein innenpolitischer Konflikt und der Konflikt muss somit innenpolitisch und nicht über ausländische Truppenpräsenz gelöst werden. Alle Seiten sind deshalb auch aufgerufen, sich größtmöglich zurückzuhalten, und das gilt insbesondere auch für die Nachbarn Bahrains.

Herr Westerwelle, ohne Ihnen persönlich auch nur die geringste Nähe zu den arabischen Despoten unterstellen zu wollen; dennoch: Verlängert die deutsche Außenpolitik nicht gerade deren Laufzeit?

Nein, denn wir arbeiten ja in der internationalen Gemeinschaft daran, dass auch der Druck erhöht wird, dass es gezielte Sanktionen gibt. Ich finde es wirklich inakzeptabel, dass wir immer noch von Geldflüssen hören in das System Gaddafi. Auch dagegen muss vorgegangen werden. Das ist auch mein Appell an die Partner, die im Augenblick über militärische Interventionen reden. Und noch einmal: Wenn dann auch militärisch eingegriffen würde aus der Luft - und wie im Irak-Krieg funktioniert das nicht -, dann ist der nächste Schritt gegen den Diktator, dass Bodentruppen geschickt werden. Ich will nicht, dass deutsche Soldaten in Libyen in einen Krieg verwickelt werden. Ich werde mich daran nicht beteiligen. Dieses ist schwer, eine sehr schwere Entscheidung, aber wenn ich das in Libyen betreibe, dann sehe ich eine Reihe von anderen Ländern, die dann ebenfalls auch noch für uns Fragen aufwerfen. Und im Übrigen muss ich auch die Folgen bedenken für die gesamte Friedens- und Freiheitsbewegung im Norden Afrikas. Das heißt, ich möchte auch nicht, dass dann diese Bewegungen umkippen und aus einer Demokratiebewegung, die wir stärken wollen, anschließend eine geschwächte Demokratiebewegung von Marokko bis Ägypten übrig bleibt.

[...]

Interview: Christoph Heinemann. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Deutschlandfunks

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