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„Die EU hat der Ukraine ein attraktives Angebot gemacht“ (Interview)
erschienen in der ukrainischen Tageszeitung DEN, 02.03.2011
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Heute sind die Blicke der Welt auf Nordafrika gerichtet. Sie waren vor kurzem in Tunesien und anderen Ländern dieser Region. Welche Prozesse ereignen sich dort und wie würden Sie diese charakterisieren?
Jedes Land ist natürlich einzigartig: Die Macht friedlicher Demonstrationen und der Wandel in Tunesien und Ägypten haben mich zutiefst beeindruckt. Hingegen ist die Brutalität schockierend, mit der das Regime in Libyen gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht – und deshalb schaut die internationale Gemeinschaft dem nicht tatenlos zu. Bei allen Unterschieden zwischen den Ländern zeigen die Demonstrationen aber eins: die Menschen wollen den demokratischen Wandel und sie wollen ihn jetzt. Das unterstützen wir. Deshalb bieten wir Europäer unseren Nachbarn im Süden Hilfe an, um ihre Zivilgesellschaften und demokratischen Institutionen zu stärken und ihre wirtschaftliche Dynamik zu unterstützen.
Für die Ukraine ist es äußerst wichtig, dass sie in Europa als zuverlässiger Partner gesehen wird. Unser Land nimmt seit 1992 aktiv an friedensstiftenden Operationen teil. Doch bei der 47. Münchner Sicherheitskonferenz wurde die Ukraine aus irgendeinem Grund nicht erwähnt. Wie ist das zu erklären? Hat Europa kein Interesse mehr an der Ukraine?
In der aktuellen Lage ist es nicht verwunderlich, dass bei der Sicherheitskonferenz die arabische Welt im Vordergrund stand. Gleichzeitig ist Europa aber sehr an einer engen Zusammenarbeit mit der Ukraine interessiert. Als Beispiele: Wir haben einen Aktionsplan, um das gemeinsame Ziel der Visafreiheit für ukrainische Bürger zu erreichen, wir haben die Östliche Partnerschaft, und wir hatten erst im November 2010 einen EU-Ukraine-Gipfel in Brüssel. Das Engagement der Ukraine bei Friedensmissionen der Vereinten Nationen und die konkrete Zusammenarbeit mit der Nato sehen wir als wichtigen Beitrag der Ukraine zur Friedenssicherung in der Welt.
Im letzten Jahr hat sich die Ukraine stark verändert. Einige Schriftsteller und Experten meinen sogar, dass sich das Land um 180 Grad gedreht hat. Glauben Sie nicht, dass es dabei auch eine gewisse Verantwortung Europas gibt? Es gab wenig Anreize und viele Aber. Insbesondere in Bezug auf den Freihandel. Was können Sie dazu sagen?
Die Entscheidung, in welche Richtung die Ukraine geht, können nur die Menschen in der Ukraine treffen. Die EU hat ein attraktives Angebot auf den Tisch gelegt: ein Assoziierungsabkommen mit umfassendem Freihandelsteil. Dies könnte der ukrainischen Wirtschaft einen Wachstumsschub bringen. Darum hoffe ich, dass es noch in diesem Jahr zum Abschluss des Assoziiierungsabkommen kommt.
Unter ukrainischen und internationalen Experten ist die Meinung verbreitet, dass sich Deutschland vor allem an Russland orientiert. In diesem Zusammenhang eine Frage an Sie, Herr Minister. Was ist für das heutige Deutschland wichtiger: Europäische Werte oder russisches Gas? Und wie betrachten Sie die Tatsache, dass der ehemalige Bundeskanzler Schröder vom russischen Ministerpräsidenten bezahlt wird?
Die deutsche Außenpolitik seit der Gründung der Bundesrepublik ruht auf zwei Pfeilern: europäische Integration und transatlantische Freundschaft. Die Europäische Union und der Respekt vor Menschenrechten und Grundfreiheiten sind eine Erfolgsgeschichte und Priorität unserer Politik. Deshalb ist die Unterstellung absurd, dass deutsche Politik von „russischem Gas“ bestimmt werde. Deutschland und die Europäische Union verfolgen eine konsequente Politik der Diversifizierung im Energiebereich, um unsere Energiesicherheit zu erhöhen. Mit Russland verbindet uns eine strategische Partnerschaft, die über Energiefragen hinausgeht. Aber es würde unseren ureigensten Interessen widersprechen, wenn wir unsere Beziehungen zur Ukraine den Beziehungen zu irgendeinem anderen Land unterordnen würden. Wir sind Teil eines gemeinsamen Sicherheits- und Stabilitätsraums. Wir tragen gemeinsam Verantwortung dafür. Dies erfordert enge und vertrauensvolle Beziehungen zu allen Nachbarn. Was die Tätigkeiten ehemaliger deutscher Bundeskanzler betrifft, so ist dies deren freie Entscheidung, die ich nicht kommentiere.
In der letzten Zeit gab es viele Erklärungen von Seiten der EU und der USA über eine angeblich „selektive Justiz“ in der Ukraine und Einschränkung der Freiheiten. Am 4. Januar sagte Staatsminister Werner Hoyer, dass die Verfolgung der Regierungsmitglieder von Julia Tymoschenko durch die heutige Staatsmacht zu einem ernsthaften Hindernis auf dem ukrainischen Weg zur EU werden könne. Werden Sie darüber mit der ukrainischen Führung sprechen?
Der ukrainische Präsident und die ukrainische Regierung betonen ihren Wunsch der weiteren EU-Annäherung. Wir freuen uns darüber und unterstützen diesen Weg. Er bedeutet aber auch, dass europäische und demokratische Werte eingehalten werden. Dazu zählt auch die Unabhängigkeit der Justiz.
Welche Botschaften wollen Sie der ukrainischen Seite während Ihrer Gespräche in Kiew übermitteln und wie sind die Erwartungen in Deutschland in Bezug auf den Ausbau der Beziehungen zur Ukraine? Wie stufen Sie die Reformen ein, die gerade in der Ukraine stattfinden?
Was ich meinen Gesprächspartnern in Kiew zu sagen habe, möchte ich zunächst einmal diesen selbst mitteilen. Generell gilt: Wir sehen uns als Partner der Ukraine und wollen sie bei ihrem Reformprozess unterstützen. Wir unterstützen den Weg der weiteren EU-Annäherung und sehen den Abschluss des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens als wichtigen nächsten Schritt auf diesem Weg. Wir sind bereit, der Ukraine bei der Umsetzung des Visa-Aktionsplans zu helfen. Und wir unterstützen jegliches ernsthafte Reformbemühen der ukrainischen Regierung.
Wir haben in der Redaktion eine kleine Umfrage gemacht: Was fällt einem ein, sobald man das Wort „Deutschland“ hört? Bei uns entstand folgende Begriffsreihe: Oktoberfest, Reichstag, Dresdner Galerie, deutsche Pedanterie, deutsche Technik, Angela Merkel, deutsche Philosophen und Dichter. Wie sieht Ihre Begriffsreihe aus, wenn Sie das Wort „Ukraine“ hören?
Die Schönheit der Krim, die Fußballeuropameisterschaft 2012 und die orange Revolution.