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„Der Diktator Gaddafi muss gehen“ (Interview)

01.03.2011 - Interview

Bundesminister Guido Westerwelle zur Situation in Libyen und den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Erschienen in den Stuttgarter Nachrichten vom 01.03.2011

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Herr Westerwelle, welchen Eindruck können Sanktionen auf einen Diktator wie Gaddafi machen, der gegen sein eigenes Volk Krieg führt?

Es geht ja um die gesamte Herrschaftsstruktur und um das Signal an die Mitglieder dieser Herrscherfamilie und der autokratischen Führung: Sie werden persönlich zur Verantwortung gezogen für das, was sie gegen das eigene Volk blutig anrichten. Die Anrufung des Internationalen Strafgerichtshofes, wie von den UN beschlossen, ist deshalb von großer Bedeutung.

Gibt es für die UN auch eine militärische Option zum Schutz des Volkes in Libyen?

Das wären Spekulationen. Es geht jetzt darum, den Wandel zu unterstützen. Eine Herrscherfamilie, die Krieg führt gegen das eigene Volk, ist am Ende. Der Diktator Gaddafi muss gehen. Genau deshalb hat die Bundesregierung ja auf Sanktionen gedrängt, so wie sie heute beschlossen wurden. Dazu zählen Einreiseverbote, Reisebeschränkungen für die Herrscherfamilie, auch Vermögenseinfrierungen. Niemand, der seine eigene Bevölkerung gewaltsam bekämpft, kann glauben, dass er einen ruhigen Lebensabend auf seinen Latifundien irgendwo auf der Welt haben könnte.

Kommt auf Deutschland eine Flüchtlingswelle zu?

Wir sind heute weder willens noch in der Lage, alle Menschen aus Nordafrika aufzunehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir in einem Nord-Süd-Pakt dafür sorgen, dass in Nordafrika selbst die Verhältnisse besser werden. In Tunesien und Ägypten sind die Menschen nicht nur für Demokratie, sondern auch für bessere Lebenschancen auf die Straße gegangen. Wir sollten jetzt beherzt unseren Beitrag dazu leisten, dass die mutigen Menschen auch die Früchte ihres Einsatzes ernten können. Das ist das beste Rezept, Flüchtlingsströme abschwellen zu lassen.

Die zweite Befürchtung: Nach den Milliarden-Programmen zur Euro-Rettung droht den EU-Staaten wieder erheblicher finanzieller Aufwand...

Wir werden uns finanziell engagieren, sowohl als Bundesrepublik Deutschland als auch im Rahmen der EU, denn es handelt sich um unsere unmittelbare Nachbarschaft. Wer Flüchtlingsströme verhindern will, leistet klugerweise einen Beitrag zum Aufbau dieser Umbruchländer. Man muss sehen, dass diese Hilfe auch für uns zu Hause langfristig erheblichen Nutzen bringen wird: Es entstehen neue Mittelschichten. Diese Länder im Aufbruch haben ein großes Interesse an deutschen Investitionen. Von dieser internationalen Vernetzung lebt Deutschland.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan war gerade wieder in Deutschland. Machen Sie sich die Forderung von Unionsfraktionschef Volker Kauder zu eigen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei unter Verweis auf die mangelnde Religionsfreiheit im Land zu stoppen?

Die Beitrittsverhandlungen werden, wie international vertraglich vereinbart, ergebnisoffen geführt. Es geht um eine faire und respektvolle Behandlung der Türkei. Müsste heute entschieden werden, wäre die Türkei nicht beitrittsfähig und die EU nicht aufnahmefähig. Aber heute muss nicht entschieden werden, sondern erst in einigen Jahren. Und bis dahin haben wir doch alle ein gemeinsames Interesse daran, dass der Blick der Türkei weiter in Richtung Europa geht. Allerdings füge ich hinzu: Die Kinder, die in Deutschland groß werden, müssen zuallererst Deutsch lernen. Das ist der Schlüssel zur Integration und zu einer guten Zukunft dieser Kinder.

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Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Stuttgarter Nachrichten

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