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Interview: „Nichts wird so sein, wie es war“ (Rheinische Post)

05.02.2011 - Interview

Interview mit Bundesaußenminister Guido Westerwelle in der Rheinischen Post, erschienen am 05.02.2011

Kann Präsident Hosni Mubarak diesen Wandel noch gestalten, oder muss er sofort zurücktreten?

Ich warne davor, dass der Eindruck in Ägypten erweckt wird, der Westen wolle dem ägyptischen Volk vorschreiben, wer es führen soll. Die Entscheidung darüber kann nur das ägyptische Volk treffen. Wir treten ein für Demokratie und Freiheitsrechte. Alles, was diesem Ziel dient, findet unsere Unterstützung. Wer die Meinungsführer in Ägypten werden sollen, ist aber die Sache der Ägypter. Wir können dem Land nicht vorschreiben, wem es folgen soll.

Aber selbst US-Präsident Barack Obama drängt auf eine rasche Ablösung.

Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns nicht nur mit unseren Partnern in der Europäischen Union, sondern auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika eng abstimmen. Wir sprechen mit einer Stimme. Und intern werden die Probleme mit ägyptischen Regierungsmitgliedern und Oppositionellen klar und deutlich angesprochen – von den Amerikanern genauso wie von uns. Nach innen klar, nach außen klug. Wir stehen als Demokratie an der Seite der Demokraten.

Haben die westlichen Staaten, haben Sie sich persönlich in Mubarak getäuscht?

Ich habe bei meinen Treffen als Außenminister in Kairo immer die Wahrung der Menschenrechte angemahnt. Aber es soll doch keiner vergessen, dass Ägypten als einziger arabischer Staat in der Region einen formellen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat und eine konstruktive Rolle im Nahost-Friedensprozess gespielt hat.

Viele Oppositionelle in Ägypten fühlen sich aber trotzdem vom Westen im Stich gelassen.

Ich habe diese Woche mit Vertretern der Opposition gesprochen. Man teilt dort unsere Auffassung, dass die Ägypter selbst über ihre Zukunft entscheiden müssen. Deshalb treten wir für freie und faire Wahlen ein. Wer glaubt, er müsse zu Hause, im Westen, um ein paar innenpolitische Punkte zu sammeln, starke Sprüche und spektakuläre Worte verbreiten, der stärkt im Zweifel die radikalen, extremistischen Kräfte in Ägypten, die von dem Umbruch profitieren wollen.

Die Lage in Ägypten ändert sich fast stündlich: erst eine friedliche Bewegung, die an Osteuropa 1989 erinnerte, jetzt harte Gewalt. Kann der Wandel noch friedlich vollzogen werden?

Wenn der Ruf nach Freiheit und Teilhabe, der von einer gebildeten Mittelschicht vorgetragen wird, niedergeknüppelt wird, spielt man den Radikalen und fundamentalistischen Extremisten in die Hände.

Genau das passiert doch gerade.

Gewalt ist nicht tolerabel. Wir müssen uns aber auch mit symbolträchtigen Gesten engagieren, wie etwa, dass das Auswärtige Amt eine halbe Million Euro dem Internationalen Roten Kreuz zur Behandlung der bei den Protesten Verletzten zur Verfügung gestellt hat. Gleichzeitig unterstützen wir den geordneten Übergang, damit die Demokratie und nicht radikale Kräfte am Ende siegen.

Fürchten Sie ein zweites Iran?

Die Äußerungen aus dem Iran, die am liebsten Ägypten in Richtung eines fundamentalistischen Staates entwickelt sehen wollen, sind ernst zu nehmen. Umso wichtiger ist es, dass der Westen an der Seite derjenigen in Ägypten steht, die für Menschenrechte und Demokratie werben.

Tunesien, Ägypten, Jemen, Syrien – die arabischen Völker lehnen sich zusehends gegen die autokratischen Regime auf. Erleben wir eine historische Zeitenwende in der arabischen Welt?

Wir erleben sicherlich eine Zäsur in der arabischen Welt. Auch wenn die Situation in den einzelnen Ländern unterschiedlich ist, eint die Völker der Wunsch nach mehr Freiheit und Mitsprache. Wir wissen nicht, wie die Entwicklung endet. Aber eines wissen wir schon jetzt: Nichts wird mehr so sein, wie es vor den Protesten war.

Wie groß ist die Gefahr, dass es zu einem Kampf der Kulturen zwischen den religiösen, arabischen Kräften und dem säkularen Westen kommt?

Wenn die Geschichte es gut mit uns meint, dann erleben wir statt eines Kampfes der Kulturen in den kommenden Jahren eine Globalisierung der Aufklärung. Endlich erkennen auch die Letzten, dass die Globalisierung kein kapitalistischer Prozess, sondern der Weg in die Weltgesellschaft ist. Der technologische Fortschritt und der Austausch über das Internet verstärken das Streben der jungen Generationen nach Zukunft und Freiheit. Das ist eine riesige Chance.

Das Internet-Netzwerk Facebook als bester Freund des Westens?

Wenn ich sehe, wie negativ in Deutschland über Globalisierung gesprochen wird, dann wundere ich mich schon. Globalisierung bedeutet eben auch den rasanten Austausch von freiheitlichen Werten und Erfahrungen. Das zeigt, dass wir in einer Zeitenwende leben. Der Fall des Eisernen Vorhangs war nicht das Ende der Geschichte. Der Siegeszug der Freiheit und der Aufklärung erhält in diesen Tagen hoffentlich Auftrieb.

Muss Europa die Chance nutzen und einen institutionalisierten Dialog mit dem Nahen Osten führen, um für Demokratie zu werben?

Ja, absolut. Europa wird sicherlich institutionelle Konsequenzen aus dem Umbruch in der arabischen Welt ziehen. Diese Diskussion könnte zu einem Neuanlauf für die europäische Nachbarschaftspolitik führen, die eine enge und strategische Partnerschaft zu den Staaten des Nahen Ostens entwickelt. So, wie es die EU etwa mit der Türkei, Russland oder Lateinamerika in verschiedener Weise vormacht. Viele arabische Staaten sind Nachbarn der EU. Es ist eine gute Zeit, um aus dieser Nachbarschaft eine Partnerschaft für mehr Demokratie werden zu lassen.

Würden Sie jetzt in Ägypten Urlaub machen?

Ich habe in den vergangenen Jahren oft und gerne in Ägypten Urlaub gemacht. Aber das Auswärtige Amt rät seit Tagen von Reisen nach Ägypten ab. Das sollte man ernst nehmen.

Das Gespräch führten Sven Gösmann und Michael Bröcker. Übernahme mir freundlicher Genehmigung der Rheinischen Post

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