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Interview: Bundesminister Westerwelle zur Lage in Ägypten und zu Europa (Passauer Neue Presse)

03.02.2011 - Interview

erschienen in der Passauer Neuen Presse vom 03.02.2011

Bürgerkriegsähnliche Zustände und eine Welle der Gewalt in Ägypten. Gerät die Lage außer Kontrolle?

Ich bin sehr besorgt über die Eskalation der Lage in Kairo. Demonstranten mit Gewalt niederzuknüppeln, ist unter keinen Umständen akzeptabel. Ägypten erlebt einen historischen Moment, und dieser muss sich nach innen und nach außen friedlich vollziehen. Die Veränderungen müssen jetzt beginnen. Die Regierung muss bereit sein, den Dialog mit denen zu führen, die für Wandel und Freiheit demonstrieren.

Ist demokratischer Wandel überhaupt möglich, solange Mubarak noch die Zügel in der Hand hält?

Wer den Prozess des Wandels gestaltet, ist ausschließlich Sache des ägyptischen Volkes. Wer Ägypten führt, wird in Ägypten entschieden. Die Bundesregierung ergreift Partei für Demokratie, Menschen- und Bürgerrechte.

Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen nach Ägypten. Handelt verantwortungslos, wer dennoch reist?

Ich appelliere an alle, die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes ernst zu nehmen und zu befolgen. Es stimmt: In den Urlaubsgebieten ist es bisher nicht zu ernsthaften Gefährdungen von deutschen Touristen gekommen. Aber die Entwicklungen in Kairo sind dramatisch, die Auswirkungen auf das Land sind schwer vorhersehbar. Das Auswärtige Amt tut sein Bestes, um allen Deutschen zu helfen, die Ägypten und insbesondere die großen Städte wie Kairo oder Alexandria verlassen wollen. Allein am Mittwoch haben wir wieder 1000 Deutsche aus Kairo ausgeflogen.

Sie haben Mubarak noch vor kurzem als „weisen Mann“ bezeichnet. Hat der Westen zu lange zu ihm gehalten?

Wir haben die Themen Freiheit und Bürgerrechte immer wieder angesprochen – auch ich bei meinem Antrittsbesuch in Kairo. Wahr ist aber auch, dass Ägypten in den letzten Jahren eine sehr konstruktive Rolle im Nahost-Friedensprozess eingenommen hat. Jetzt geht es darum, den Prozess des Wandels friedlich zu gestalten und weitere Eskalation und Gewalt zu verhindern. Denn wir wollen nicht, dass Fundamentalisten, Extremisten und religiöse Radikale am Ende die Profiteure der Freiheitsbewegung in Ägypten werden. Das werden sie aber, wenn man die Demonstranten mit Gewalt unterdrückt.

Erst Tunesien, jetzt Ägypten und der Jemen – droht der Region weitere Instabilität?

Ich hoffe, dass sich hier am Ende ein Demokratisierungsprozess wie Ende der Achtzigerjahre in Osteuropa entwickelt. Nicht nur in Ägypten, sondern in der gesamten Region wird nach diesen Demonstrationen für Freiheit, Chancen und Bürgerrechte nichts mehr so sein, wie es war. Der Geist der Freiheit ist aus der Flasche.

[….]

Ist die FDP noch die Partei des Euro und der europäischen Einigung?

Wir sind eine Partei des europäischen Patriotismus. Zu Europa gehört Solidarität, aber auch ein ordnungspolitischer Kompass. Eine Schuldenkrise kann man nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen, nur mit strukturellen Reformen. Die Finanzen der EU-Mitgliedstaaten müssen in Ordnung gebracht werden. Wir wollen, dass sich die Länder in Europa fit machen, die noch nicht ausreichend wettbewerbsfähig sind.

Wie erklärt sich die lautstarke Kritik führender FDP-Politiker an den Plänen von Kanzlerin Merkel für eine europäische Wirtschaftsregierung?

Wir wollen alle ein starkes Europa. Da sehe ich keine Differenzen. Die Bundesregierung möchte, dass auch andere Länder angehalten werden, ihre Hausaufgaben zum Beispiel bei der Reform ihrer sozialen Sicherungssysteme zu erledigen. Es kann doch nicht sein, dass wir Deutsche mit 67 in Rente gehen müssen, andere Länder in Europa aber bei einem Renteneintrittsalter von 59 oder 60 Jahren bleiben wollen. Wir wollen, dass Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur künftig in ganz Europa Vorrang haben vor den konsumtiven Ausgaben.

[...]

Gespräch: Rasmus Buchsteiner

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