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Interview: Bundesminister Westerwelle zu Ägypten und zum Euro-Stabilisierungsfonds (Stuttgarter Zeitung)

29.01.2011 - Interview

Erschienen in der Stuttgarter Zeitung vom 29.01.2011

Herr Westerwelle, welche Rolle kann Deutschland spielen, um die Situation in Nordafrika zu beruhigen?

Deutschland steht auf der Seite der Meinungsfreiheit. In Nordafrika sieht man, dass die Behauptung, Freiheitsrechte würden zur Destabilisierung führen, nicht stimmt. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verweigerung von Freiheitsrechten macht Länder instabil. Deshalb haben wir Tunesien konkret angeboten, dass wir das Land auf dem Weg zur Demokratie unterstützen. Ich habe auch gegenüber Ägypten die Erwartung formuliert, dass Bürgerrechte, Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit eingehalten werden.

Ist es nicht ein Dilemma für die westliche Außenpolitik, dass ausgerechnet Mubarak bisher ein verlässlicher Verhandlungspartner in der Nahost-Politik war?

Die konstruktive Rolle Ägyptens im Nahost-Friedensprozess erkennen wir an. Aber es ist dennoch notwendig, dass wir uns für die demokratischen Rechte mit großem Engagement einsetzen. Das habe ich bereits bei den ersten Gesprächen getan, die ich in Ägypten zu Beginn meiner Amtszeit geführt habe.

Was kann Europa tun?

In Tunesien besteht die Chance, den Weg in Richtung einer stabilen Demokratie einzuschlagen. Wir können zum Beispiel beim Aufbau einer unabhängigen Justiz mit Rat und auch mit Tat helfen. Das gilt auch für die Stärkung der Zivilgesellschaft. Dafür werde ich mich im Kreise meiner europäischen Amtskollegen einsetzen.

Ein weiteres aktuelles Großthema ist die Euro-Stabilisierung. Warum sträubt sich die FDP gegen Änderungen beim Euro-Rettungssschirm?

Gerade weil wir europäische Patrioten sind, wollen wir, dass die Chancen der Krise jetzt genutzt werden, um Europa langfristig stabiler zu machen. Deshalb dringen wir darauf, dass die Nationalstaaten zurückkehren zu einer Haushaltspolitik mit weniger Schulden. Ebenso muss die europäische Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Es wäre ein schwerer Fehler zu glauben, wir könnten die Schulden-Krise in Europa mit immer neuen Schulden lösen. Wir müssen jetzt die strukturellen, langfristigen Konsequenzen ziehen. Die Einführung von Mechanismen nach dem Vorbild der deutschen Schuldenbremse könnte den Weg zu neuer Haushaltsdisziplin erleichtern. Ich begrüße, dass in vielen Euro-Ländern über ein solches Instrument nachgedacht wird.

Welche Kompromissmöglichkeiten gibt es im Streit um den Rettungsschirm?

Die Tatsache, dass diskutiert wird, ist in einer Gemeinschaft mit 27 Regierungen und ebenso vielen Parlamenten normal. Aber Diskussionen müssen verantwortungsvoll geführt werden und in die nutzbringende Richtung. Falsch ist es, kurzatmig und hektisch zu handeln. Richtig ist, langfristig zu stabilisieren. Deswegen gibt es in Anbetracht der Tatsache, dass bisher weniger als zehn Prozent des europäischen Schutzschirms in Anspruch genommen werden, aus unserer Sicht keine Notwendigkeit, derzeit über eine Ausweitung des Schutzschirms zu spekulieren.

Der luxemburgische Premier Juncker hat die Debatten in ihrer Partei als populistisch bezeichnet. Was antworten Sie ihm?

Es macht mir Sorgen, wenn jemand glaubt, eine derartige Schuldenkrise könnte durch die Aufnahme neuer Schulden beseitigt werden. Deshalb sind übrigens auch Eurobonds kein Mittel zur Überwindung der Krise. Denn in dem Augenblick, in dem man Schulden vergemeinschaftet, wird die Disziplin in den nationalen Mitgliedstaaten, weniger Schulden zu machen, deutlich nachlassen. Der Schuldenabbau aber muss das Kernanliegen sein.

Ihre Europaabgeordneten haben sich der Idee, Eurobonds aufzulegen, durchaus aufgeschlossen gezeigt…

Diese Diskussion ist differenzierter. Ich habe Ihnen zu den Eurobonds meine Haltung dargelegt.

In anderen Ländern wird Ihr Verhalten so gelesen, als wolle Deutschland die Bedingungen für ganz Europa „diktieren“…

Solidarität ist richtig, aber sie muss an die notwendigen ordnungspolitischen Grundsätze gebunden werden, um künftig neue Krisen zu vermeiden. Es zeigt sich doch, dass die Entscheidung von Rot-Grün 2004, den Stabilitätspakt aufzuweichen, eine geschichtsträchtige Fehlentscheidung gewesen ist. In Europa wurden bisher 22 Defizitverfahren eingeleitet. Nicht ein einziges Mal hat es Konsequenzen in Form von Sanktionen gegeben. Deswegen müssen wir jetzt die Lage nutzen, um den Stabilitäts- und Währungspakt mit neuer Autorität zu versehen. Wer zu viele Schulden anhäuft und unsolide wirtschaftet, der soll künftig Sanktionen fürchten müssen, die weitestgehend automatisiert und nicht wie bisher der politischen Opportunität unterworfen sind.

Gibt es Tabus bei den Rettungsverhandlungen, rote Linien, die sie nicht überschreiten werden?

Wir sind im laufenden Verhandlungsprozess, und ich will gute Ergebnisse. Die erreicht man nicht, indem man vorher öffentlich Preise diktiert oder rote Linien definiert. Zwei Ziele habe ich genannt: die Stärkung des Stabilitätspakts, die Förderung von Haushaltsdisziplin durch Instrumente wie die Schuldenbremse. Außerdem muss die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten gestärkt werden. Investitionen müssen Vorrang vor konsumtiven Ausgaben haben. Bildung und Forschung müssen als Entwicklungschance gesehen werden. Die sozialen Sicherheitssysteme müssen an die veränderte Alterstruktur unserer Gesellschaften angepasst werden. Wenn in Deutschland die Menschen mit 67 in Rente gehen sollen, ist es nur schwer verständlich, dass andere bei einem Renteneintrittsalter von 59 Jahren bleiben wollen.

War Ihnen Finanzminister Schäuble da in den vergangenen Wochen eine große Hilfe?

Fragen an den Finanzminister bitte ich, ihm direkt zu stellen. Es ist die gemeinsame Haltung der Bundesregierung, dass derzeit die Ausweitung des Rettungsschirms nicht in Frage kommt. Dafür gibt es auch sehr viel Zustimmung in den Koalitionsfraktionen.

[…]

Fragen: Armin Käfer und Thomas Maron

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