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Bundesminister Westerwelle im Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass anlässlich seiner Reise nach Russland

01.11.2010 - Interview

Mit welchen Gefühlen reisen Sie nach Moskau, was erwarten Sie von diesem Besuch und den Treffen in der russischen Hauptstadt?

Ich freue mich auf meinen Besuch in Moskau. Es ist ja nach meinem Antrittsbesuch und nach den Regierungskonsultationen in Jekaterinburg im Juli mein dritter Besuch als Außenminister in Russland. Russland ist für Deutschland ein strategischer Partner. Deshalb sind regelmäßige Konsultationen so wichtig. In den ausführlichen Gesprächen mit meinem Amtskollegen Sergej Lawrow werden wir uns zum einen über die Vorbereitung der anstehenden Gipfeltreffen von NATO, OSZE und der EU mit Russland im November und Dezember unterhalten. Zweitens werden wir über eine Reihe anderer Themen der internationalen Agenda sprechen. Dazu gehören beispielsweise die nukleare und konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle. Drittens will ich meinen Besuch nutzen, um die Perspektiven unserer Modernisierungspartnerschaft weiter zu entwickeln. Deshalb freue ich mich ganz besonders auch auf mein Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft.

Dieses Jahr ist besonders reich an Ereignissen und Daten: 55 Jahre der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau, 20 Jahre deutsche Einheit. Welchen Stand haben die deutsch-russischen Beziehungen im Laufe der Zeit erreicht?

Die deutsch-russischen Beziehungen sind geprägt von Tiefe und Reife. Die zahlreichen Jahrestage im zurückliegenden Jahr - vom 65. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges bis hin zu 20 Jahren Deutsche Einheit - stehen exemplarisch für die geteilte Vergangenheit. Die deutsch-russische Geschichte war von Höhen und Tiefen geprägt. Genauso, wie es fruchtbaren gegenseitigen Austausch und enge Verbundenheit gab, haben unsere Völker auch abgrundtiefe Katastrophen durchlebt. Wir haben die richtigen Lehren aus den dunklen Kapiteln der Vergangenheit gezogen und unsere Beziehungen auf ein solides und breites Fundament gestellt.

Heute sind unsere Beziehungen dem Leitbild der „strategischen Partnerschaft“ verpflichtet. Diese Partnerschaft bedeutet zum einen, dass wir uns regelmäßig in konstruktiver Weise zu aktuellen Themen austauschen, wie ich das auch diese Woche in Moskau tun werde. Gleichzeitig findet unsere Partnerschaft Ausdruck in dichten Wirtschaftsbeziehungen und einer immer engeren Zusammenarbeit bei Bildung, Forschung und Kultur. Nicht zuletzt spiegelt sich unsere strategische Partnerschaft in einem breiten Dialog unserer Zivilgesellschaften wider. Dabei gehören wie bei jeder echten Partnerschaft auch kritische Themen wie die Lage der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf die gemeinsame Agenda.

Wie sind Ihrer Meinung nach die Perspektiven der strategischen Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland, der europäisch-russischen Modernisierungspartnerschaft?

Russland ist für Deutschland ein wichtiger strategischer Partner, in politischen wie in wirtschaftlichen Fragen oder bei der Energieversorgung. Diese Partnerschaft wollen wir weiter vertiefen. Ich denke dabei an die Zusammenarbeit bei der Lösung von Konflikten in unserer gemeinsamen Nachbarschaft oder bei der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Es ist positiv, dass das von Deutschland initiierte Konzept der Modernisierungspartnerschaft auch in der EU Anklang gefunden hat. Ich begrüße, dass auch Präsident Medwedew das Ziel einer umfassenden Modernisierungspartnerschaft zwischen der EU und Russland verfolgt. Wobei umfassend bedeutet, dass wir alle Aspekte der Beziehungen Russlands mit der EU einbeziehen wollen – wirtschaftliche wie politische, rechtsstaatliche und zivilgesellschaftliche. Wir werden dabei unsere Erfahrungen aus der deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft einbringen. Ich kann mir vorstellen, dass Deutschland insbesondere im Bereich der Rechtszusammenarbeit eine herausgehobene Rolle spielen könnte.

Wie bewerten Sie den Stand der Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen in der Wissenschaft, der Bildung, der Kultur?

Forschung und Wissenschaft sind der Schlüssel für die wirtschaftliche und soziale Zukunft unserer Länder. Unsere intensive bilaterale wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit ist eine Erfolgsgeschichte. Vor einem Jahr erst haben wir ein neues Abkommen für diesen Bereich unterzeichnet. Und um unsere Kooperation in Forschung und Wissenschaft noch weiter auszubauen, fördert das Auswärtige Amt zurzeit den Aufbau eines Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses in Moskau.

Erst vor wenigen Tagen, am 04. Oktober, wurde das Übereinkommen für den Bau und Betrieb einer hypermodernen Großforschungsanlage („FAIR“) in Darmstadt unterzeichnet. Bei diesem Projekt ist Russland unser größter Partner und hat einen herausragenden wissenschaftlichen und finanziellen Beitrag geleistet. Ähnliches gilt für die Röntgenlaseranlage „XFEL“ in Hamburg. Das alles zeigt das enorme Potenzial der Zusammenarbeit in diesem Bereich, und wir wollen es mit einem deutsch-russischen Wissenschaftsjahr im kommenden Jahr noch verstärkt zur Geltung bringen.

Im kulturellen Bereich ist Deutschland für viele russische Akteure schon jetzt ein bevorzugter Partner, insbesondere bei der Hochschulzusammenarbeit. Etwa 12.400 Studenten aus Russland sind derzeit an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Zudem ist Deutschland in Russland bereits mit zahlreichen Mittlerorganisationen wie dem Goethe Institut, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Deutschen Historischen Institut vertreten. Auch hier gilt: Unsere jetzt schon enge Zusammenarbeit wollen wir in Zukunft weiterentwickeln und intensivieren.

Sind Sie ein Befürworter oder ein Gegner der Abschaffung der Visapflicht zwischen Deutschland und Russland, EU und Russland? Warum? Wann könnte die Abschaffung Realität werden?

Deutschland steht zum langfristigen Ziel der Visafreiheit zwischen Russland und dem Schengenraum. Das hat die deutsche Bundesregierung bereits in der St. Petersburger Erklärung vom 31. Mai 2003 und später dann nochmal mit der Präambel des Visaerleichterungsabkommens vom 25. Mai 2006 bekräftigt.

Die gemeinsam mit unseren europäischen Partnern getroffenen Entscheidung, so genannte „Gemeinsame Schritte zur Visafreiheit“ auszuarbeiten, war ein wichtiger Schritt nach vorn. Nun müssen wir uns an die notwendige Detailarbeit machen. Das bedeutet, die „Gemeinsamen Schritte“ im Einzelnen auszuarbeiten und abzustimmen. Entscheidend für das gemeinsame Fortkommen wird sein, wie rasch beide Seiten die gemeinsam verhandelten Voraussetzungen erfüllen. Nicht zuletzt davon wird abhängen, wann die gegenseitige Visapflicht endgültig der Geschichte angehören kann. Daran arbeiten wir.

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