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Einheit auch für Bosnien und Herzegowina - Werner Hoyer in der Frankfurter Rundschau

01.10.2010 - Interview

Am 3. Oktober 2010 feiern wir 20 Jahre deutsche Einheit. Am gleichen Tag wird in Bosnien und Herzegowina ein neues Parlament gewählt. Ob der 3.10. auch für das Balkanland ein Tag der Einheit wird? Wohl kaum. Nationalistische Parolen und Dissonanzen zwischen den drei größten Volksgruppen – Bosniaken, Serben und Kroaten – bestimmen den Wahlkampf. Der Ministerpräsident des serbischen Landesteils, Dodik, hat – erst kürzlich in dieser Zeitung – die Abspaltung zur politischen Option erklärt.

Rhetorische Zündeleien sind aber noch kein Indiz für einen bevorstehenden Staatszerfall. Dodiks Aussagen finden weder bei der erdrückenden Mehrheit der Bosnier noch international Unterstützung. Die Probleme in Bosnien liegen an anderer Stelle: Der politische Diskurs wird viel stärker von der Machtverteilung zwischen den drei Volksgruppen bestimmt als von der gemeinsamen Zukunft des Landes als Teil von EU und Nato. Reformen werden nur äußerst langsam umgesetzt.

Warum hat das Land den Schritt in die Zukunft noch nicht vollzogen?

Erstens: der Faktor Zeit. 15 Jahre nach einem schrecklichen Krieg mit 100000 Toten ist das zähe Reformtempo das Spiegelbild des langsamen Versöhnungsprozesses.

Zweitens: Bosnien ist ein Produkt des Dayton-Friedensabkommens von 1995. Die Verfassung – Teil des Abkommens – macht die Volksgruppenzugehörigkeit zum obersten Verfassungsprinzip. Sie vertieft damit bestehende Gräben. Dayton hat zwar den Krieg beendet, Bosnien aber keine effiziente Staatsstruktur gegeben.

Drittens: die Rolle der internationalen Gemeinschaft. Der von ihr bestellte Hohe Repräsentant hat in der Vergangenheit Gesetze erlassen oder Politiker entmachtet – um die Einhaltung des Dayton-Abkommens zu gewährleisten. Für die Friedenssicherung war dies richtig und notwendig. Die starke internationale Rolle ist aber auch ein Feigenblatt für die bosnische Politik: Es ist bequemer, die Verantwortung auf die internationale Gemeinschaft zu verlagern, als selbst schmerzhafte Kompromisse auszuhandeln und dafür Stimmenverluste zu riskieren.

Welche Schlüsse muss die Bosnienpolitik daraus ziehen? Zunächst einmal: Bosnien ist ein Erfolg des internationalen „state-building“. Das Land ist 15 Jahre friedlich geblieben und weist heute erste Ergebnisse bei der Annäherung an EU und Nato vor. Deutschland hat dazu entscheidend beigetragen. Die bestehenden Schwierigkeiten zeigen aber: Der Aufbau eines Staates braucht Zeit – wir brauchen Geduld. Umso klarer müssen wir vermitteln, dass das Land die zur EU- und Nato-Annäherung notwendigen Reformen durchführen muss. Wie Außenminister Guido Westerwelle bei seinem Besuch in Sarajevo Ende August gesagt hat: Bosnien und Herzegowina hat nicht mehrere EU-Perspektiven, sondern nur eine – als Gesamtstaat.

Das Beispiel Abschaffung der Visapflicht zeigt, dass es geht. 2009 hat die EU die Liberalisierung ihrer Visapolitik zur Einreise in die Schengen-Zone für Bosnien wegen mangelnder Reformen zunächst zurückgestellt. Das hat das Land aufgerüttelt. Bosnien hat nachgearbeitet und kann in diesem Bereich heute eine positive Reformbilanz vorweisen. Bosnien hat gute Aussichten auf eine baldige Liberalisierung der EU-Visapolitik. Eine strikte Auslegung der Bedingungen für die weitere EU-Annäherung war also im Fall Bosniens auch ein Beitrag dazu, dass die Kräfte im Inneren zusammenrücken.

Wir müssen auch den Mut haben, die Zügel locker zu lassen. Bosnien muss eine Kultur der Eigenverantwortung entwickeln. Das Land dauerhaft an die Kandare zu nehmen, wird das Ziel eines stabilen Landes nicht befördern. Daher muss das Büro des Hohen Repräsentanten mit seinen Sonderbefugnissen nun geschlossen werden. Stattdessen brauchen wir eine verstärkte EU-Präsenz, die „fordert und fördert“. Ich begrüße deshalb den Vorschlag der Hohen Vertreterin Catherine Ashton und des EU-Erweiterungskommissars Stefan Füle, die höchsten EU-Posten in Bosnien zusammenzulegen, um das Auftreten der EU zu vereinheitlichen und zu stärken.

Bosnien braucht auch eine Reform der Verfassung. Das Land muss in Brüssel mit einer Stimme sprechen können. Gerade der deutsche Föderalismus kann Bosnien interessante Anknüpfungspunkte für Reformen bieten. Der Impuls muss aus Bosnien kommen und darf nicht von der internationalen Gemeinschaft verordnet werden.

Blockadepolitiken und ethnische Wagenburgmentalität dürfen nicht höher im Kurs stehen als Kompromisse im Interesse der gemeinsamen europäischen Zukunft. Deutschland, die EU und die internationale Gemeinschaft, aber auch die Bevölkerung Bosnien und Herzegowinas müssen gemeinsam daran arbeiten, diese Vorzeichen umzukehren. Dann wird der Tag der inneren Einheit des Landes bald kommen. Die Bosnierinnen und Bosnier haben dies jedenfalls schon heute verdient.

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