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„Im Idealfall mit Russland“ - Namensartikel von Staatsminister Werner Hoyer in der FAZ

23.04.2010 - Interview

Im Herbst werden die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der NATO ein neues strategisches Konzept für das Bündnis verabschieden. Darin steckt die Chance, dass die NATO die von dem amerikanischen Präsidenten Obama und dem russischen Staatsoberhaupt Medwedew gesetzten Impulse für eine nachhaltige Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle weiterführt, dass das Kapitel „Kalter Krieg“ endgültig geschlossen werden kann und dass wir uns konsequent den Zukunftsthemen für unsere Sicherheit stellen.

Nuklearwaffen haben in der Vergangenheit wesentlich zur globalen Stabilität und Sicherheit beigetragen. Aber der Kalte Krieg fand auf der Grundlage von Voraussetzungen statt, die heute keine Gültigkeit mehr haben. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind kein Selbstzweck. Alle Bemühungen auf diesem Gebiet, von der Bundesregierung mit vorangetrieben, folgen der Einsicht, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle integraler Bestandteil der Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert sind. Die Bipolarität der globalen Machtverteilung ist einer komplexen Multipolarität gewichen. Längst ist das Wissen über den Bau von Nuklearwaffen und deren Träger kein exklusives Geheimnis unter der Kontrolle weniger Staaten mehr. Und längst sind wir neuen Risiken für unsere Sicherheit ausgesetzt, auf die ein nukleares Drohszenario keine Wirkung entfalten kann.

Weil die Büchse der Pandora durch die Verbreitung von Wissen, Technologie und Zugang zu Rohstoffen mehr als nur ein Stück weit offen ist, müssen wir alles daran setzen, die Weiterverbreitung von Atomwaffen so schwierig und so unattraktiv wie möglich zu machen. Im Kern muss es darum gehen, den Verzicht auf Nuklearwaffen attraktiver zu machen als deren Besitz.

Die NATO ist gut beraten, mit gutem Beispiel voranzugehen, die Bedeutung von Nuklearwaffen in ihrer Strategie zu mindern, und sich auf die neuen Gefahren unserer Zeit zu konzentrieren.

Auch in Zukunft wird die NATO das unverzichtbare Rückgrat für die gemeinsame Sicherheit Nordamerikas und Europas bleiben. Dabei muss es der NATO gelingen, den objektiv großen Unterschieden in den Sicherheitsrisiken und Bedrohungswahrnehmungen von Kanada bis zur Türkei, vom Baltikum bis nach Kalifornien, Rechnung zu tragen.

Die neuen Mitglieder NATO können sich sicher sein, dass auch von den alten Mitgliedern des nordatlantischen Bündnisses niemand an der Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages rütteln wird. Die Forderung nach „Rückversicherung“ ist verständlich und legitim, zugleich greift aber eine Reduzierung auf Verteidigungspolitik zu kurz. Ziel für das neue strategische Konzept muss die Stärkung der Sicherheit im Bündnis sein, eingebettet in ein Konzept gesamteuropäischer Sicherheit.

Klar ist, dass ein Konzept gesamteuropäischer Sicherheit nicht gegen, sondern im Idealfall mit Russland, mindestens aber unter Berücksichtigung russischer Sicherheitsinteressen zu realisieren sein wird. Der Vorschlag des NATO-Generalsekretärs, gemeinsam mit Russland ein europäisches Raketenabwehrsystems aufzubauen, zeigt deshalb den Weg in die Zukunft. Engere Zusammenarbeit mit Russland, etwa bei der Pirateriebekämpfung oder beim ISAF-Einsatz in Afghanistan, dient der gemeinsamen Sicherheit und schafft Vertrauen.

Russland ist gewiss nicht immer ein einfacher Partner. Den Eindruck zu erwecken, man wolle Europa in neue Einflusssphären aufteilen, weist genauso in die falsche Richtung wie eine Militärdoktrin, die alte Feindbilder fixiert. Weder Russland noch möglichen neuen Mitgliedern gegenüber werden die NATO-Staaten hinsichtlich ihres Wertekanons Kompromisse machen. Die Aufgabe besteht darin, bei allen Unterschieden zwischen der NATO und Russland eine Sicherheitspartnerschaft zu schaffen, die belastbar und nachhaltig ist.

Die NATO wird in ihrem neuen strategischen Konzept einen weiten Bogen zu spannen haben von der Neuausrichtung der Abschreckung bis hin zu Gefahren, von denen sich heute nur Umrisse abzeichnen. Vielen Sicherheitsrisiken der Zukunft, hervorgerufen durch Ressourcenknappheiten, Klimawandel, demographische Veränderungen, Krankheiten und technologische Entwicklungen, wird sich nicht mit militärischen Mitteln begegnen lassen. Deshalb wird die NATO zivile Fähigkeiten anderer Organisationen und der Mitgliedstaaten stärker in ihre Planungen einbeziehen und ihre Fähigkeiten zur vernetzten Analyse ausbauen müssen. Sicherheitsrisiken müssen wir zukünftig dann begegnen, wenn diese noch weit davon entfernt sind, möglicherweise militärisch bedeutsam zu werden.

Auch die Bundesregierung will, dass sich die Erfolgsgeschichte der NATO fortsetzt. Die Erarbeitung des neuen strategischen Konzeptes bietet die Chance, sich von den Lasten der Vergangenheit endgültig zu befreien und die NATO an den Herausforderungen der Zukunft zu orientieren - und damit auch weiterhin entscheidend zu unserer nationalen, kontinentalen und globalen Sicherheit beizutragen.

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