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Außenminister Guido Westerwelle im Interview mit Bild am Sonntag
Herr Bundesaußenminister, Donnerstag sind vier deutsche Soldaten in Afghanistan gefallen, am Karfreitag waren es drei. Sind wir noch Herr der Lage in Nordafghanistan?
Die Lage ist sehr ernst und sehr gefährlich. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir gemeinsam mit der großen Mehrheit der Afghanen gegen den Terror und für eine friedliche Entwicklung ihres Landes kämpfen.
Man gewinnt aber zunehmend den Eindruck, dass die Taliban Jagd auf unsere Soldaten machen und diese dem wehrlos ausgesetzt sind, sobald sie ihre Stellungen verlassen . . .
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr tun in Afghanistan unter schwierigsten Bedingungen einen sehr gefährlichen Dienst. Deshalb verdienen sie all unseren Rückhalt und unsere Unterstützung. Wir trauern mit den Angehörigen der Verstorbenen und sind in Gedanken bei den Verletzten und ihren Familien.
Aus der Truppe sind seit Langem Klagen über ihre Ausrüstung zu hören, beispielsweise darüber, dass die Munition die in Afghanistan üblichen Lehmwände nicht durchdringt oder dass es an Hubschraubern fehlt. Wird die Regierung jetzt sicherstellen, dass die Bundeswehr mit dem besten Material ausreichend ausgerüstet wird?
Unsere Soldaten sollen die bestmögliche Ausrüstung bekommen, die sie benötigen. Bundeswehr und Bundesregierung werden alles tun, um das sicherzustellen.
Beim Afghanistan-Einsatz gibt es inzwischen eine erhebliche Begriffsverwirrung: Losgezogen ist die Bundeswehr in eine Aufbaumission, jetzt ist von kriegsähnlichen Zuständen die Rede, Verteidigungsminister Guttenberg spricht sogar von Krieg. Was gilt denn nun?
Ich habe für die Bundesregierung im Deutschen Bundestag erklärt, dass es sich um einen bewaffneten Konflikt handelt. Das mag manchem nicht gefallen haben, aber so gefährlich ist die Lage. Etwas Gefährlicheres gibt es im Völkerrecht nicht. Im vollen Bewusstsein dieser Tatsache hat eine große Mehrheit im Bundestag einschließlich großer Teile der Opposition der Verlängerung des Afghanistan-Mandats zugestimmt.
Aber warum reden dann so viele in Berlin von Krieg – bis hin zur Kanzlerin?
Auch ich verstehe jeden Soldaten, der die Zustände als Krieg empfindet. Gleichwohl ist die Lage als bewaffneter Konflikt präzise beschrieben. Krieg ist traditionell eine militärische Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr Staaten mit der Absicht der Eroberung oder Unterdrückung. Das ist in Afghanistan erkennbar nicht der Fall. Wir sind auf Bitten der Vereinten Nationen, auf Wunsch der gewählten Regierung und der übergroßen Mehrheit der Afghanen dort.
Jetzt werden Forderungen nach einem Abzug wieder lauter. Wie lange bleiben wir am Hindukusch?
Wir wollen nicht auf Dauer in Afghanistan bleiben. Im kommenden Jahr wollen wir in den Regionen, wo dies schon möglich ist, die Verantwortung an die Afghanen übergeben. Dann können wir Ende 2011 mit der Reduzierung unseres Kontingents beginnen. Schließlich wollen wir bis 2014 die Sicherheitsverantwortung vollständig an die afghanische Regierung übergeben. Aber ein kopfloser Abzug wäre falsch. Denn dann hätten die Terroristen am Tag danach wieder das Sagen. Und dann würden schon bald wieder in Afghanistan Terroranschläge gegen uns und unsere Verbündeten geplant und ins Werk gesetzt. Das ist nicht im Interesse unserer Bürger.
US-General McChrystal kommt nächste Woche nach Berlin und wird mehr Kampfeinsätze von der Bundeswehr verlangen. Was sagen Sie ihm?
Wir haben Anfang des Jahres in London ein gemeinsames Afghanistan-Konzept beschlossen. Das sieht vor, dass wir künftig sehr viel stärker auf den zivilen Aufbau setzen, der natürlich militärisch abgesichert werden muss. Die Afghanen wollen die Sicherheit in ihre eigenen Hände nehmen. Deshalb werden wir die Ausbildung einheimischer Sicherheitskräfte ausbauen. Diesem Konzept haben in London sämtliche 70 Delegationen aus der ganzen Welt zugestimmt, auch die USA.