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Interview: Westerwelle in der uruguayischen Wochenzeitung „Búsqueda“

09.03.2010 - Interview

Die wirtschaftliche Erholung Deutschlands hat sich noch nicht konsolidiert und die Signale sind noch widersprüchlich. Welches Panorama prognostiziert Ihre Regierung für den Rest des Jahres?

Der Export zieht wieder an, zudem zeigt sich der deutsche Arbeitsmarkt weiter robust. Wir setzen darauf, dass sich die wirtschaftliche Erholung in Deutschland fortsetzt. Dies versuchen wir national wie auf europäischer Ebene zu unterstützen: National setzen wir Wachstumsimpulse durch die Entlastung von Familien und mittelständischen Unternehmen.

2010 beginnt die EU den Vertrag von Lissabon zu implementieren, der in den Bereichen Sicherheit und Außenbeziehungen einen größeren Souveränitätstransfer der MS an die Union bedeutet. Ist es möglich, inmitten der Wirtschaftskrise, die einen großen Teil des Kontinents in Mitleidenschaft zieht, mit diesem Prozess fortzufahren?

Das europäische Krisenmanagement im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik hat nichts mit unseren Bemühungen zu tun, im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik noch enger zusammen zu arbeiten. Es ist richtig: Der Vertrag von Lissabon sieht grundlegende Änderungen in der europäischen Außenpolitik vor, vor allem institutionell. Durch die Bündelung von außenpolitischen Zuständigkeiten haben wir die Chance, viel stärker als bisher als ein Akteur aufzutreten. Mit dem neuen Zuschnitt des Amtes der EU-Außenbeauftragten, das Catherine Ashton vor drei Monaten übernommen hat, gewinnt die EU an Handlungsfähigkeit und Sichtbarkeit.

Vermindert es nicht die Glaubwürdigkeit des europäischen Wirtschaftssystems, dass verschiedene Länder die Maastricht-Kriterien über die Koordinierung der makroökonomischen Politik nicht einhalten?

Der Vertrag von Lissabon macht den Euro-Mitgliedern sehr klare Vorgaben zu Neuverschuldung und zum Schuldenstand. Die Kommission wacht darüber, dass diese Vorgaben eingehalten werden. Sie verfügt auch über die nötigen Sanktionsmöglichkeiten, um ein Mitglied wieder auf Kurs zu bringen. Aus meiner Sicht hat sich das sehr bewährt und ist ein wesentlicher Grund für die Glaubwürdigkeit des Finanzsystems im Euro-Raum.

Die Finanzkrise, die Ländern wie Griechenland und Spanien zu schaffen macht, deren Zentralbanken wegen ihrer Handhabung von Zahlen und Bilanzen bzgl. Haushaltsdefizit und Schulden hinterfragt werden, hat die gemeinsame Währung, den Euro, zum ersten Mal auf die Probe gestellt. Welche Maßnahmen gedenkt Ihr Land anzuregen, wenn sich bestätigt, dass in diesen Fällen die Information manipuliert wurde?

Im Falle Griechenlands zeigt sich heute leider, dass die Zahlen zu Haushalt und Schuldenstand über einen längeren Zeitraum nicht korrekt gemeldet wurden. Hier müssen wir die richtigen Lehren ziehen. Schon jetzt ist klar: Kommission, Euro-Mitglieder und das europäische Statistik-Amt werden die nationalen Finanzdaten in Zukunft sehr viel sorgfältiger zu prüfen haben. Und sie werden schon bei kleinsten Anzeichen für mögliche Unregelmäßigkeiten entschiedener für Klärung sorgen.

In diesem Jahr übertrifft China Deutschland zum ersten Mal als führende Exportnation der Welt. Wie wird Ihr Land angesichts der Expansion Chinas und anderer Schwellenländer reagieren?

Deutschland bleibt eine starke Exportnation. Da habe ich keine Zweifel. Ob wir nun weiter Exportweltmeister sind oder nicht, ist sekundär. Sie dürfen die demographischen Fakten nicht aus den Augen verlieren: China hat mehr als die 15fache Bevölkerung Deutschlands. Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern und auf technologischen Vorsprung setzen. Mit innovativen, hochqualitativen Produkten und Techniken – etwa in den Bereichen Energie, Biotechnologie, Telekommunikation – sichern wir unsere Exportstärke.

Lange Zeit haben Europa und die Vereinigten Staaten bzgl. des Defizites an Demokratie und Freiheiten in China weg geschaut. Ist der Moment gekommen, Peking diese Themen zu präsentieren?

Deutschland tritt weltweit für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ein. Deshalb bringen wir die schwierige Lage von Bürgerrechtlern und Dissidenten in China oder das Recht der Tibeter auf Entfaltung ihrer kulturellen Identität offen zur Sprache. Das war beim meinem letzten Besuch in Peking so, es wird auch künftig so sein.

Deutschland ist Teil der Verhandlungsgruppe, welche versucht, Iran dazu zu bewegen, seinen Plan zu nuklearer Entwicklung, so wie er konzipiert ist, aufzugeben. Ein kürzlicher Bericht der Vereinten Nationen belegt, daß jener islamische Staat auf dem Weg ist, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Ist für Ihr Land der Moment gekommen, gegen das Regime in Teheran strenge Sanktionen zu verhängen? Welche Arten von Sanktionen regt Deutschland an?

Iran hat das Recht, die Atomkraft für zivile Zwecke zu nutzen. Iran darf sich aber nicht atomar bewaffnen. Deshalb gilt der zweigleisige Ansatz der internationalen Verhandlungsgruppe: Es gibt das Angebot weit reichender Kooperation im Bereich Wirtschaft und Technologie, wenn Iran sich öffnet und die Vorgaben der internationalen Gemeinschaft erfüllt. Tut er es nicht, behalten wir uns weitere Maßnahmen vor. Deutschland ist auch bereit zu einer Ausweitung der Sanktionen, wenn der Iran die ausgestreckte Hand der Staatengemeinschaft weiter ausschlägt.

Soeben ist in Kuba im Gefängnis ein politischer Gefangener an einem Hungerstreik gestorben. Glauben Sie, daß Europa seine Politik gegenüber Ländern Lateinamerikas, die die Menschenrechte nicht vollständig achten, ändern sollte?

Der vermeidbare Tod von Orlando Zapata hat uns tief betroffen gemacht. Die kubanische Regierung muss endlich alle politischen Gefangenen freilassen und den internationalen humanitären Organisationen Zugang zu den kubanischen Gefängnissen ermöglichen. Im Übrigen gehört das Eintreten für Menschenrechte zum Kernbestand deutscher und europäischer Außenpolitik – selbstverständlich auch gegenüber den Ländern Lateinamerikas.

Die EU und der Mercosur sind an den Verhandlungstisch zurückgekehrt, um auf dem Weg zur Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens weiter voranzuschreiten. Ist das Erreichen einer Vereinbarung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Unsicherheit überhaupt möglich? Und kann Europa seine Agrarpolitik verändern, wie der Mercosur es fordert, um ein Abkommen zu schließen?

Wir wollen ein ambitioniertes und ausgewogenes Freihandelsabkommen mit dem Mercosur. Gerade jetzt, wo es auf beiden Seiten darum geht, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, hätte so ein Abkommen einen großen Mehrwert. Was die europäische Agrarpolitik betrifft: Es gibt eine wichtige Verbindung zwischen dem Freihandelsabkommen und der Doha-Runde. Wir wollen einen Erfolg der Doha-Runde. Deshalb ist die EU für einen Abschluss in Vorleistung getreten und hat erhebliche Anstrengungen für einen verbesserten Marktzugang landwirtschaftlicher Produkte unternommen. Fortschritte bei Doha würden sicherlich auch die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur voranbringen.

Welche Erwartungen hat die deutsche Regierung an die Regierung unter José Mujica?

Präsident Mujica hat ja deutlich gemacht, was im Mittelpunkt seiner Amtszeit stehen soll: Die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Bekämpfung der Armut und weitere Reformen im Bereich Bildung und Gesundheit. Deutschland will seine bilateralen Beziehungen zu Uruguay weiter ausbauen. Und nach meinem Gespräch mit Präsident Mujica weiß ich: Wir haben in ihm einen offenen und engagierten Gesprächspartner.

Beunruhigt es Deutschland, daß die neue uruguayische Regierung Gesten der Annäherung gegenüber Regimen wie dem von Hugo Chávez in Venezuela ankündigt?

Jedes Land hat das Recht, seine Beziehungen selbst zu gestalten. Mir erscheint es durchaus normal, dass Uruguay und Venezuela als regionale Partner in Kontakt stehen. Uruguay gehört zum Mercosur, Venezuela ist auf dem Weg zur Mitgliedschaft.

Das deutsche Außenministerium wirkte auf seinen uruguayischen Counterpart dahingehend ein, dass der von der Graf Spee, die weiterhin im Rio de la Plata auf Grund liegt, geborgene Nazi-Adler nicht ausgestellt werden soll. Woher rührt diese Haltung - während in Deutschland durchaus Nazisymbole als Teil der Erinnerungskultur ausgestellt werden? Worum haben Sie den neuen Außenminister in dieser Angelegenheit gebeten?

Wir wollen verhindern, dass die Wrackteile des Schiffes, vor allem der mit einem Hakenkreuz bewehrte Heckadler, in den Militaria-Handel gelangen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Wrackteile nicht zur Verherrlichung oder Verharmlosung von NS-Gedankengut missbraucht werden. Uns ist durchaus daran gelegen, die Aufarbeitung der historischen Ereignisse zu fördern. Deshalb schlagen wir vor, die Wrackteile unter Verantwortung des uruguayischen Staates bei einer Ausstellung im historischen Kontext zu präsentieren.

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