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Interview von Staatsminister Werner Hoyer mit der ukrainischen Tageszeitung Den, 26.02.2010

27.02.2010 - Interview

Welche Botschaften haben Sie Herrn Janukowitsch und vielleicht auch Frau Timoschenko überbracht?

Die Menschen in der Ukraine haben sich bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen in fairen, freien und demokratischen Wahlen für einen neuen Präsidenten entschieden – das begrüßen wir!

Die Ukraine ist ein sehr wichtiger Partner – für Deutschland, aber auch für ganz Europa. Wir teilen eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Werte. Ein stabiler und prosperierender ukrainischer Staat ist in unser aller Interesse.

In den letzten Jahren hat die Ukraine beachtliche Modernisierungsleistungen erbracht. Immer noch aber kämpft das Land mit den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise. Deshalb ist es jetzt umso vordringlicher, dass die Ukraine auf dem Weg der inneren Reformen weiter vorankommt. Deutschland und Europa sind bereit, die Ukraine dabei nach Kräften zu unterstützen – wenn die Führung in Kiew gewillt ist, den Weg der Reformen entschlossen weiterzugehen.

Haben Sie von Herrn Janukowitsch Zusicherungen erhalten, dass Errungenschaften der „Orangefarbenen Revolution“ wie die Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit unangetastet bleiben?

Ich darf daran erinnern, dass sich Präsident Janukowitsch gleich nach seiner Wahl für eine enge Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ausgesprochen und sich zu europäischen Werten bekannt hat. Seine erste Auslandsreise wird ihn nach Brüssel führen. Das alles zeigt uns doch: Die Ukraine scheint entschlossen, ihren Weg der Annäherung an Europa fortzusetzen. Das begrüßen wir sehr – nicht zuletzt, weil wir überzeugt sind, dass die Ukraine langfristig eine wichtige Vorbildfunktion für ihre Nachbarstaaten einnehmen kann.

Wie wurden Janukowitschs – an ein russisches Publikum gerichtete – Äußerungen bezüglich eines Gaskonsortiums, eines eventuellen Beitritts der Ukraine zur Zollunion mit Russland, Belarus und Kasachstan und einheitlicher Wirtschaftsräume sowie einer längeren Verweildauer der russischen Flotte auf der Krim in Deutschland aufgenommen?

Erlauben Sie mir, zunächst grundsätzlich etwas klarzustellen: Eine Zusammenarbeit der Ukraine mit der Europäischen Union und gleichzeitig auch mit Russland schließen sich nicht aus. Im Gegenteil! Insofern haben wir die Ankündung von Präsident Janukowitsch, dass er eine Verbesserung des ukrainisch-russischen Verhältnisses anstrebt, sehr positiv aufgenommen. Ich könnte mir zum Beispiel sehr gut eine trilaterale Kooperation der Ukraine mit der Europäischen Union und Russland im Energiebereich vorstellen. Warum nicht ein trilaterales Gas-Konsortium gründen? Jede Idee, die alle Beteiligten einbindet – Transitländer wie Energieproduzenten, Konsumenten wie Modernisierer – bringt uns weiter. Dabei brauchen wir die Ukraine als verlässlichen Partner – auch und gerade im Gassektor.

Gleiches gilt im Bereich der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Letztlich geht es doch für die Ukraine darum, durch Freihandel ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Dabei ist es nur natürlich, dass die Ukraine ihre Märkte nach Westen und nach Osten öffnen will. Deshalb spielt ja auch gerade der Freihandel bei den Verhandlungen der Europäischen Union mit der Ukraine über ein Assoziationsabkommens eine ganz besondere Rolle. Ich sage Ihnen aber auch ganz offen: Der Beitritt der Ukraine zu einer Zollunion mit nicht-EU-Staaten könnte diese Verhandlungen technisch erheblich erschweren. Wir sehen diese Ankündigungen deshalb mit großer Skepsis.

Könnten diese Äußerungen die Unterzeichnung des Assoziations- und Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine beeinflussen – und wenn ja, wie?

Ich kann Ihnen dazu versichern: In der Europäischen Union sind wir auch weiterhin fest entschlossen, die Verhandlungen zum Abschluss eines Assoziierungsabkommens mit der Ukraine schnellstmöglich zu einem guten Abschluss zu bringen.

Glauben Sie nicht, dass die EU sich gegenüber der Ukraine aufgeschlossener zeigen sollte und ihr in der einen oder anderen Weise die EU-Mitgliedschaft oder eine Beitrittsperspektive für die Zukunft zusagen müsste?

Wir setzen uns für eine möglichst enge Einbindung der Ukraine im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union ein. Und: Wenn wir die Verhandlungen der Euroäischen Union mit der Ukraine über das Assoziierungsabkommen zügig zu einem Abschluss bringen, wird die Ukraine automatisch einen Großteil des so genannten „EU-Aquis“ übernehmen – und damit noch ein gewaltiges Stück näher in Richtung Europa rücken.

Sie sehen: die Bindung an Europa besteht, und wir unterstützen sie nach Kräften. Langfristig wird die Führung in Kiew natürlich zeigen müssen, dass sie weitere Reformen konsequent anpackt und umsetzt – nur so wird sie auf ihrem Weg in Richtung weiterer EU-Annäherung Kurs halten können.

Würden Sie zustimmen, dass der erste Schritt in diese Richtung die Aufhebung der Visumpflicht sein müsste, da in der Ukraine viele Menschen den Eindruck haben, dass die EU eher in Bezug auf Russland die Visumpflicht abschaffen würde, obwohl die Ukraine bereits seit 2005 gegenüber den EU-Staaten auf Visa verzichtet?

Sie wissen sicherlich, dass dieses Thema auch in der deutschen innenpolitischen Diskussion eine große Rolle spielt. Von der Deutschen Botschaft in Kiew weiß ich, dass sie alles tut, um das Visumsverfahren so unbürokratisch wie möglich zu gestalten. Vor kurzem erst erhielt das deutsche Konsulat Bestnoten in einer Umfrage Ihrer Zeitung. Ich finde, das sind doch durchweg positive Entwicklungen!

Janukowitsch ist nun der Präsident der Ukraine – welchen Einfluss hat diese Tatsache auf die deutsch-ukrainischen Beziehungen bzw. auf Deutschlands Ostpolitik?

Wir freuen uns natürlich auf die Zusammenarbeit mit Präsident Viktor Janukowitsch und darauf, unsere bilaterale Zusammenarbeit auch in Zukunft für alle Seiten gewinnbringend weiterzuführen. Aus diesem Grunde hoffen wir auch, dass die Ukraine jetzt schnell zu stabilen politischen Verhältnissen findet. Hier sehe ich alle politisch Verantwortlichen in der Pflicht. Die Ukraine braucht eine handlungsfähige Führung, sie braucht konstruktive und zukunftsgerichtete Politik.

Und wir brauchen die Ukraine – als verlässlichen Partner, sowohl für fruchtbare Handelsbeziehungen als auch im Bereich des Gastransits, aber auch ganz allgemein bei politischen Fragestellungen. Deshalb streben wir mit der Ukraine eine breit gefächerte Zusammenarbeit an, auf der Grundlage eines EU-Assoziierungsabkommens und im Rahmen der Projekte der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union.

Diese Zusammenarbeit hat aber nur dann Zukunft, wenn auch die Ukraine ihren Teil dazutut. Deshalb gilt auch hier: Wenn die Ukraine Reformen weiter voranbringt, kann Kiew auf eine aktive EU-Unterstützung in allen Bereichen zählen.

Können Sie etwas dazu sagen, was man in Deutschland von Präsident Medwedjews Initiative zur Unterzeichnung einer neuen europäischen Sicherheitsübereinkunft hält?

Europäische Sicherheit ist ein Thema, das uns alle betrifft, und alle gleichermaßen. Der Vorschlag von Präsident Medwedew hat einen wichtigen Impuls für die Gesamtdiskussion geliefert. Aus unserer Sicht verdient er eine eingehende und konstruktive Betrachtung. Mit dem Korfu-Prozess innerhalb der OSZE haben wir auch einen geeigneten Rahmen, darüber ins Gespräch zu kommen.

Grundsätzlich teilen wir den Geist des russischen Vorschlags – eine gemeinsame Sicherheit von Vancouver bis Wladiwostok. Dabei wollen wir auf bewährte Institutionen und Instrumente im euro-atlantischen Raum aufbauen und sie stärken. Wenn uns ein konstruktiver Dialog in diesem Rahmen gelingt, können wir erreichen, was in unser aller Interesse ist: mehr gemeinsame Sicherheit in Europa, miteinander.

Und wie kann man sich den Wunsch so mancher europäischer Politiker erklären, Russland nicht mit Problemen wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu belästigen – beide dürfen ja in Russland nicht ausgeübt werden, obwohl sie in Artikel 31 der Verfassung garantiert sind?

Deutsche Außenpolitik ist nicht nur interessens-, sondern auch wertegeleitet. Die Bundesregierung setzt sich deshalb kontinuierlich und konsequent für die Einhaltung der Menschenrechte ein – ob in Russland oder anderswo.

Was den konkreten Fall Russland betrifft, so sind die Ankündigungen von Staatspräsident Medwedew, die rechtsstaatlichen Probleme Russlands entschlossen anzupacken, durchaus ermutigend. Entscheidend ist natürlich – wie bei allen politischen Ankündigungen, ob in der Ukraine, in Russland oder in Europa – dass entschlossenen Worten auch Taten folgen.

Interview: Mykola Siruk, Redakteur für Außenpolitik

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