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Interview: Westerwelle in der Bild am Sonntag zum deutschen Engagement in Afghanistan

24.01.2010 - Interview

Herr Westerwelle, im Sommer 2007 haben Sie noch als Oppositionsführer in einem BamS-Interview auf die Frage, ob Sie als Minister Soldaten in den Tod schicken könnten, geantwortet: „Wenn es für Deutschland sein müsste – notfalls ja. Deswegen bedeutet Macht schlaflose Nächte und Albträume“. Wie gut schlafen Sie als Vizekanzler?

Gerade im Vorfeld einer Konferenz wie der zu Afghanistan diese Woche prüft man sich sehr genau, dass man das, was man dort beschließen und anschließend durchsetzen will, auch mit seinem Gewissen vereinbaren kann.

Auf der Londoner Konferenz wird von Deutschland die Entsendung von mehr Soldaten erwartet. Welche Zusagen bringen Sie mit?

Wir werden in Afghanistan beim zivilen Aufbau sowie bei der Schulung und Ausbildung von Polizisten und Soldaten mehr tun. Denn wir wollen uns in den kommenden vier Jahren eine Abzugsperspektive erarbeiten. Wir wollen den Prozess der schrittweisen Übergabe der Verantwortung beginnen und solide fortsetzen.

Wollen Sie nach Möglichkeit die Entsendung zusätzlicher Bundeswehrtruppen nach Afghanistan vermeiden?

Ich habe nie gesagt, dass wir keinesfalls zusätzliche Soldaten zum Beispiel für die Ausbildung afghanischer Truppen schicken werden, aber ich gebe auch keine Blankozusagen. Die Reihenfolge muss stimmen. Erst müssen wir uns über die Ziele verständigen: Wie verhindern wir, dass Afghanistan wieder zum Rückzugs- und Aufmarschgebiet des Weltterrorismus wird? Wie kommen wir der selbsttragenden Sicherheit in Afghanistan näher? Welche Mittel für den Wiederaufbau brauchen wir, wie schützen wir den Aufbau und die Aufbauhelfer? Was müssen wir für die Ausbildung der Sicherheitskräfte mehr tun? Ich möchte, dass wir die Möglichkeiten der klugen Umschichtung innerhalb des bestehenden Bundeswehr-Kontingents für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte auch nutzen.

Im Augenblick gewinnen die Fundamentalisten eher an Stärke...

Darum wird es in London auch einen völlig neuen Ansatz zur Wiedereingliederung von Aufständischen in die Gesellschaft geben. Es gibt viele Mitläufer der Taliban-Terroristen, die nicht aus fanatischer Überzeugung, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen auf einen falschen Weg geraten sind. Wir wollen diesen Menschen eine wirtschaftliche und soziale Perspektive für sich und ihre Familien bieten. Dafür werden wir auch zusätzliches Geld in die Hand nehmen.

Was sagen Sie zu Forderungen nach einem sofortigen Abzug aus Afghanistan?

Ein kopfloser Abzug ist nicht zu verantworten. Wegen unserer eigenen Sicherheit nicht, und weil wir die Menschen in Afghanistan, die heute für eine gute Zukunft des Landes arbeiten, nicht den Henkern der Taliban überantworten können.

Das müsste Bischöfin Käßmann doch auch wissen...

Wenn jemand sagt, nichts ist gut in Afghanistan, dann vergisst er, dass es heute jedenfalls viel besser ist als zur Zeit der Taliban-Herrschaft. Als evangelischer Christenmensch könnte ich es mit meinem Gewissen nicht verantworten, dass in Afghanistan wieder Jugendliche gehängt und Frauen gesteinigt werden, nur weil sie sich nicht von Taliban unterdrücken lassen wollen. Wir dürfen das Land und seine Menschen nicht einfach gleichgültig ihrem Schicksal überlassen.

Die EKD-Ratsvorsitzende fordert eine Konzentration auf nicht-militärische Maßnahmen...

Ich bin ein friedliebender Mensch, aber ich bin kein Pazifist. Natürlich müssen wir uns ganz intensiv um den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan kümmern. Aber: Deutschland ist zurecht eine wehrhafte Demokratie – nach innen und außen. Sie richtet sich auch gegen Fanatiker, die uns nur deshalb nach dem Leben trachten, weil wir liberal und aufgeklärt leben. Deshalb müssen wir den Wiederaufbau in Afghanistan auch militärisch schützen. Die Anschläge in London und Madrid und die versuchten Anschläge der Sauerland-Gruppe in Deutschland zeigen doch, dass es dabei auch um unsere Sicherheit in Europa geht.

Im Vorfeld der Konferenz hat ISAF-Oberkommandierender McChrystal von den deutschen Soldaten mehr Risikobereitschaft gefordert. Muss die Bundeswehr in Zukunft wieder mehr Fußpatrouillen machen und Kontakt mit der Bevölkerung aufnehmen, statt in gepanzerten Fahrzeugen durch die Gegen zu fahren?

Die Männer und Frauen der Bundeswehr sind mutig und tapfer. Sie leisten einen aufopfernden Dienst. Bei der Frage, wie oft unsere Soldaten zu Patrouillen ausrücken und mit der Bevölkerung in Kontakt treten, geht es nicht nur um das Wünschbare, sondern auch um das Machbare. Da stehen schließlich Gesundheit und Leben unserer Soldaten auf dem Spiel.

Steht einem US-General eine solche Kritik zu?

Ich habe General McChrystal zuletzt in Brüssel gehört und keinerlei Vorwürfe gegen unsere Bundeswehr vernommen. Ich würde sie mir auch verbitten. Die Bundesregierung entscheidet zunächst in Verantwortung vor unserer Verfassung und vor dem eigenen Volk. Insgesamt bin ich dankbar für den fairen Umgang unter den Verbündeten. Das gilt besonders auch für meine US-Kollegin Hillary Clinton.

Entscheidet 2010 über Erfolg oder Misserfolg der Afghanistan-Mission?

Kein Politiker kann heute versprechen: Am 31.12.2013 ist alles gewonnen und alles vorbei. Wer das aus der Opposition verspricht, dem geht es nicht um die Sache, sondern um Punkte bei der nächsten Wahl oder Umfrage. Damit lädt man doch die Terroristen ein, noch zwei, drei Jahre durchzuhalten, bis wir verschwunden sind und sie ihr Unwesen wieder treiben können. Wir wollen in London vereinbaren, dass wir 2010 und 2011 mit dem Prozess der Übergabe der Verantwortung an die Afghanen beginnen. Es geht darum, eine Abzugsperspektive zu schaffen. Ein vorab verkündeter Stichtag stärkt die Falschen.

Die Kanzlerin bemüht sich um einen Konsens mit der SPD für ein neues Afghanistan-Mandat. Unterstützen Sie das?

Ja, ohne Wenn und Aber. Auch ich werbe für eine breite Mehrheit im Bundestag für unsere Afghanistan-Politik. Ich habe in der vergangenen Woche zwei Mal in größeren Runden mit allen Fraktionen gesprochen. Aber ich werde mich nicht von der Opposition und irgendwelchen parteipolitischen Manövern abhängig machen. Nur weil in Nordrhein-Westfalen Wahlkampf ist, kann ich nicht Dinge unterlassen, die für das Sicherheitsinteresse unseres Landes von fundamentaler Bedeutung sind. Der Einsatz wurde von einer rot-grünen Regierung begonnen und von der schwarz-roten Regierung fortgesetzt. Die FDP stand auch in der Opposition zu ihrer staatspolitischen Verantwortung. Ich appelliere an diejenigen, die den Einsatz in Regierungszeiten gestartet haben, sich nicht in Oppositionszeiten aus der Verantwortung zu stehlen.

Die SPD will keine weiteren Kampftruppen. Wie weit geht Ihre Kompromissbereitschaft gegenüber der Opposition?

Ich sehe Übereinstimmung, dass wir mit unseren Möglichkeiten mehr für Ausbildung und für Training bewirken können. Wir werden mit unserem Konzept nach London fahren. Dieses Konzept wird von der Regierung noch in dieser Woche im Bundestag vorgestellt und mit ihm erörtert. Und wenn in London Übereinstimmung auch über die zivile Entwicklung und nicht zuletzt über afghanische Selbstverpflichtungen herzustellen ist, werden wir unsere Bereitschaft, mehr zu tun, zügig umsetzen.

Mitten in die entscheidende Phase des Afghanistan-Konflikts kommt jetzt der Untersuchungsausschuss zu Kunduz. Die Opposition will Verteidigungsminister zu Guttenberg in den Mittelpunkt rücken – zu Recht?

Zunächst einmal ist es das Recht des Parlaments zu untersuchen, und es ist die Pflicht und der Wunsch der Regierung, dabei mitzuwirken. Auch wir haben ein Interesse an einer umfassenden Aufklärung.

Glauben Sie dem Verteidigungsminister, dass er von der militärischen Führung unzureichend unterrichtet wurde und deshalb das Bombardement zunächst falsch beurteilt hat?

Ich habe Vertrauen in den Bundesverteidigungsminister und die Arbeit seines Ministeriums. Aber ich kann keine eigenen militärischen Lagebeurteilungen vornehmen. Wenn es offene Fragen gibt, dann ist es Sache des Ausschusses und der Justiz, sie aufzuklären.

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