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100. Geburtstag von Adam von Trott zu Solz - Rede von Staatssekretär Silberberg
-- Es gilt das gesprochene Wort --
Sehr geehrte Frau Clarita von Trott zu Solz,
sehr geehrte Angehörige der Familie von Trott zu Solz,
meine Damen und Herren,
im Archiv des Auswärtigen Amts befindet sich die Personalakte von Adam von Trott zu Solz. Die letzte Seite darin ist eine einfache, unscheinbare Kassenanweisung. Sie trägt das Datum des 25. September 1944. Adam von Trott ist da schon einen Monat tot, hingerichtet am 26. August 1944 in Plötzensee. Er war gerade 35 Jahre alt.
In dem unscheinbaren Verwaltungsdokument steht zu lesen, von einer Rückforderung zu viel bezahlter Dienstbezüge werde abgesehen, da diese „nach Maßgabe der Verhältnisse“ weder anrechenbar noch einziehbar seien.
Mit diesem Papier wickelte die Legationskasse ein Menschenleben ab. Diese bürokratische Korrektheit im System des Terrors schockiert und erfüllt mit Scham, auch nach mehr als sechzig Jahren. Was damals geschah, ist nicht vergessen und darf nicht vergessen werden. Ich gehe jeden Morgen im Auswärtigen Amt an der Gedenktafel vorbei, auf der an Adam von Trott zu Solz und andere erinnert wird, die sich in Zeiten des nationalsozialistischen Terrorregimes dem Recht und der Moral verpflichtet sahen. Sie bezahlten diese konsequente Haltung mit ihrem Leben.
Am 9. August jährt sich der Geburtstag von Adam von Trott zu Solz zum 100. Mal. Dies ist Anlass zu Ihrer Tagung, zu der ich Sie beglückwünsche. Es ist wichtig, dass wir den prägenden Persönlichkeiten des Widerstands gegen Diktatur und Unrecht ein lebendiges Andenken bewahren, gerade auch um dieses Wissen an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Adam von Trott zu Solz steht für die Spannung zwischen Tradition und Moral, zwischen der Vaterlandsliebe, zu der er sich immer und entschieden bekannte, und dem Widerstand, dem er sich verschrieben hatte - bis hin zur Unterstützung des Attentats vom 20. Juli 1944. Ebenso war er deutscher Diplomat, verbunden mit dem Auswärtigen Amt. Für ein Deutschland nach dem Nationalsozialismus entwarf er die außenpolitischen Grundzüge, in den Oppositionszirkeln galt er als der „Außenminister des Widerstands“.
Franz Josef Furtwängler, weit weniger bekannter Mitverschwörer und Mitarbeiter von Trotts im Auswärtigen Amt, schrieb nach dem 2. Weltkrieg in seinen Erinnerungen: „Drei Dinge kennzeichneten Adam von Trott: diplomatisches Genie, echte Menschenliebe und Verachtung jeder persönlichen Gefahr. [...] Oft hat mich zu seinen Lebzeiten und nach seinem Tode die Vorstellung beschäftigt, was dieses junge Genie nach dem Ende der Hitler-Katastrophe unserem niedergebrochenen Volke wohl sein konnte – durch sein bloßes Vorbild und durch schöpferische Tat. Jetzt lebt und wirkt Adam von Trott im Gedächtnis derer, die ihn kannten.“
Von Trott genoss große Wertschätzung und Vertrauen. Wäre das Attentat vom 20. Juli geglückt, viele hätten ihn als Staatssekretär im Auswärtigen Amt gesehen - und ich wäre stolz gewesen, in dieser Funktion einer seiner Nachfolger zu sein.
Für den Beruf des Diplomaten brachte von Trott alle Voraussetzungen mit, die jedenfalls in seiner Zeit idealiter dazu gehörten: die Beamtentradition in seiner Familie, seine Juristenausbildung, die protestantische Konfession und – die Herkunft. Der Sohn eines preußischen Kultusministers war in einem liberalen, weltoffenen Klima erzogen worden. Unter seinen Nachbarn in der nordhessischen Idylle waren Menschen unterschiedlicher Herkunft, sehr viele davon jüdisch. Ein enges Verhältnis verband den jungen Adam mit der Familie Seeliger. Oft machte er auf dem Weg vom Lateinunterricht nach Hause bei der Arbeiterfamilie Halt. Hier gab es regelmäßig ein Stück Kuchen, hier lernte er auch die Tradition des Anzündens der Kerzen zum Sabbat kennen. Zeit seines Lebens pflegte er enge Kontakte mit jüdischen Freunden.
Nach dem Abitur studierte von Trott Rechts- und Staatswissenschaften in Göttingen, München und Berlin. 1931 wurde er mit einer Arbeit über Hegels Staatsphilosophie und Internationales Recht promoviert. Er erörtert die Idee von unbeschränkten Menschenrechten, die mit den Mitteln eines anerkannten internationalen Rechts unter Umständen auch durch Sanktionen außenpolitisch durchzusetzen seien. Die aktuellen Bezüge dieses Gedankens sind augenfällig!
Die Weltsicht des jungen v. Trott wird auch entscheidend durch seine reiche Auslandserfahrung geprägt. Dank eines Stipendiums der Cecil-Rhodes-Stiftung studiert er in Oxford. Zurück in Deutschland ist er ab 1933 Rechtsreferendar, seine Bewerbung um anschließende Beschäftigung im Justizdienst scheitert jedoch an seiner Weigerung, der NSDAP oder einer ihrer Organisationen beizutreten.
Die Rhodes-Stiftung ermöglicht ihm stattdessen weitere Studienaufenthalte in den USA und Asien.
Als er auf dem Weg aus China nach Europa über die Progromnacht 1938 in Deutschland erfährt, schreibt er an seinen Freund Wilfried Israel, junger Geschäftsmann, Kunstmäzen und Mitglied der Berliner Jüdischen Gemeinde: „Du weißt, dass wir es sind, die durch das, was vorgefallen ist, erniedrigt werden und dass es uns überlassen ist, zu überlegen, ob unsere früheren Freunde noch etwas mit uns zu tun haben wollen, da wir schließlich den vollen Anteil der Verantwortung übernehmen müssen, besonders in meinem Fall durch meine Abwesenheit.“
1939 und 1940 unternimmt von Trott im Auftrag des Auswärtigen Amts Reisen nach Großbritannien und in die USA und wird schließlich am 15. April 1940 Angehöriger des Auswärtigen Dienstes. Er nutzt den Freiraum als Leiter des Sonderreferates Indien zu Kontakten zu verschiedensten Regimegegnern im In- und Ausland. Zu ihnen gehörte Hans von Dohnányi ebenso wie Dietrich Bonhoeffer. Gemeinsam mit Persönlichkeiten im „Kreisauer Kreis“, mit Peter Graf Yorck von Wartenburg und Helmuth James Graf von Moltke, arbeitete von Trott als deren außenpolitischer Sprecher an einer umfassenden Neuordnung für ein Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus und formulierte dabei auch den visionären Gedanken, Deutschland in eine zu gründende europäische Föderation zu integrieren.
1944 beteiligte er sich aktiv an den Vorbereitungen der Widerstandsgruppe um Graf von Stauffenberg für ein Attentat auf Adolf Hitler. Ich zitiere noch einmal Franz Joseph Furtwängler, wie er das konspirative Treffen im Vorzimmer des Staatssekretärs Wilhelm Keppler im Jahre 1951 beschrieben hat: „Wenn ich ihn auf das Groteske aufmerksam machte, dass nebenan der Freund und treueste Gefolgsmann des Führers sitze, derweil hier staatsfeindliche Aktionen beredet werden, meinte er, man niste am sichersten in den Taschen der Vogelscheuche – und lachte.“
Das dramatische Scheitern des 20. Juli bedeutete zugleich von Trotts Todesurteil. Er wurde am 25. Juli verhaftet und am 26. August nach einem Unrechtsurteil des sogenannten Volksgerichtshofes in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Von Trotts Vorstellungen von Deutschland als Teil eines geeinten friedlichen Europas leben indessen fort. Aktueller denn je klingt für uns, heutige Diplomaten, seine Feststellung, dass der Krieg als mittel nationaler Behauptung mittlerweile „Absurdität“ geworden sei. Eine „Selbstbehauptung des Staates (sei) auf dem Weg der Rechtsentwicklung, nicht dem des Krieges“ zu erreichen – schrieb Adam von Trott damals. Wie Recht er hatte!
In diesem Jahr feiern wir das 60. Jubiläum des Grundgesetzes, das am 23. Mai 1949 unterzeichnet wurde und mit dem sich die Bundesrepublik eine freiheitliche und demokratische Verfassung gegeben hat. Damit war der Grundstein für eine erfolgreiche Integration Deutschlands in Europa gelegt. Vor zwei Jahren haben wir an den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge mit Deutschland als Gründungszeichnerstaat erinnert. Inzwischen hat die Union 27 Mitgliedstaaten, eine Entwicklung, die nur durch den friedlichen Mauerfall vor 20 Jahren möglich wurde und der die Folgen des 2. Weltkriegs - die Teilung Deutschlands und Europas - endlich überwunden hat. Wir alle wissen, kein Land in Europa kann die Herausforderungen mehr alleine lösen, vor denen wir aktuell stehen. Um sie zu gestalten, müssen immer wieder neue Visionen für Europa entwickelt werden – Adam von Trott zu Solz hatte dies wie einige wenige bereits zu einer Zeit getan, wo der Begriff „Utopie“ wohl die mindeste Bezeichnung für derartige Vorstellungen gewesen sein mag.
Einer der Vorträge dieser Tagung lautet: „Kein Hort des Widerstands. Das Auswärtige Amt im Zweiten Weltkrieg“. Ja, dies ist ein Thema, mit dem wir uns befassen und beschäftigen müssen. Im Amt in der Wilhelmstraße war das gesamte Spektrum von Zustimmung und Gleichgültigkeit vertreten. Die Mehrheit der Diplomaten waren keine Helden, es gab Zuschauer, Mitläufer, aber auch Täter. Unter „Hitlers willigen Helfern“ waren auch Diplomaten. Im Ausland deckten und verdeckten sie politisch und propagandistisch die Diktatur in Deutschland. Sie bereiteten den Zweiten Weltkrieg mit vor, halfen bei der Ausbeutung der Rohstoffe und Nahrungsmittel in Südost- und Osteuropa, legten gelegentlich selbst Hand an beim Raub von Kulturgütern. Nach der militärischen Besetzung großer Teile des Kontinents zeigten sich auch die deutschen Diplomaten effizient darin, Juden zu erfassen, zu enteignen, zu internieren und damit der Vernichtung in den Vernichtungslagern zuzuführen. Ein Vertreter des Auswärtigen Amtes hat auch an der Wannsee-Konferenz teilgenommen. Deutsche Diplomaten haben damit zum Holocaust beigetragen.
Gleichzeitig gab es aber auch Dissens, Opposition und Widerstand im Auswärtigen Dienst und aus dem Auswärtige Amt heraus, leider viel zu wenig. Es gab in allen Laufbahnen Gegner des totalitären Staats. Es waren Gewissensgründe, ideologische oder religiöse Überzeugungen, die sie dazu brachten, sich erst gar nicht mit den Nationalsozialisten zu arrangieren oder sich später von ihnen abzuwenden. Friedrich Wilhelm von Prittwitz wollte dem Regime nicht als Botschafter in Washington dienen und trat von seinem Posten zurück. Georg Ferdinand Duckwitz half, die Juden in Dänemark vor der Deportation und Ermordung zu bewahren. Fritz Kolbe, Herbert Gollnow und Rudolf von Scheliha gaben ihr Wissen von den Verbrechen und Plänen des „Dritten Reichs“ an dessen Kriegsgegner weiter. Mancher bezahlte die Opposition mit seinem Leben. Gollnow und Scheliha wurden mit der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ verhaftet und dann hingerichtet. Hans Litter verurteilte ein Feldkriegsgericht wegen defätistischer Äußerungen zum Tode. Herbert Mumm von Schwarzenstein gehörte einer Widerstandsgruppe an, wurde verraten und im Zuchthaus erschossen. Im Zusammenhang mit dem Attentatsversuch am 20. Juli 1944 wurden Eduard Brücklmeier, Hans Bernd von Haeften, von Trotts Freund aus Oxforder Studienzeiten, Ulrich von Hassell, Otto Kiep, Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg und auch Adam von Trott zu Solz festgenommen. Alle wurden vom sogenannten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Gleichfalls im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 wurden Albrecht Graf von Bernstorff und Richard Kuenzer in Berlin-Moabit ermordet. An diese Opfer des Nationalsozialismus erinnert - zugleich stellvertretend für jene Oppositionellen, die wir nicht mit Namen kennen - im Auswärtigen Amt heute die Gedenktafel, die ich eingangs erwähnte.
Meine Damen und Herren,
das Auswärtige Amt ist seit jeher eine gleichermaßen selbst- wie traditionsbewusste Institution. In seiner Öffentlichkeitsarbeit stellt sich das Ministerium in eine bald 140jährige geschichtliche Linie. Zu dieser Amtsgeschichte gehört untrennbar die Zeit des Nationalsozialismus hinzu. Das Auswärtige Amt war während der Zeit des Nationalsozialismus kein herausragender Ort des Widerstands. Ihre angebliche Weltläufigkeit hat die Diplomaten nicht davon abgehalten, der Diktatur zu Diensten zu sein, ihren Verbrechen zuzuarbeiten bis hin dazu, auch selbst initiativ zu werden. Das Auswärtige Amt - war einbezogen in das Geschehen, war Teil des Ganzen. Nach dem Krieg war die Versuchung offenbar groß, Täter zu verschweigen, Mitläufern zu vergeben, Zuschauen und Mitwissen zu vergessen.
Heute wissen wir das besser.
2005 entstand eine öffentliche Debatte über das interne Gedenken an einige verstorbene Amtsangehörige. In der Öffentlichkeit war der Eindruck entstanden, manchem Diplomaten käme die Tradition vor der Moral. Das Auswärtige Amt nahm dies zum Anlass für eine kritische Betrachtung von außen. Im Auftrag des Bundesministers erforscht eine Historikerkommission die Rolle des Auswärtigen Dienstes im Dritten Reich und die Frage der personellen Kontinuitäten in der frühen Bundesrepublik. Professor Conze, der hier morgen sprechen wird, ist Koordinator dieser unabhängig arbeitenden Kommission. Mit großem Interesse erwarte ich – und erwarten die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts - die Ergebnisse, welche die Kommission vorlegen wird.
Der heutige Auswärtige Dienst sieht sich auch in der Tradition eines Adam von Trott zu Solz. Seine mutige Haltung, sein Handeln weit über die Pflicht hinaus, sein Einstehen für die Vision einer friedlichen Völkergemeinschaft, ist uns Verpflichtung und Vorbild. Er hat vorgelebt, nach dem eigenen Gewissen rechtschaffen zu handeln.
Ich möchte die Evangelische Akademie zu Berlin ganz herzlich zu dieser Tagung beglückwünschen. Den zahlreichen Personen, die an deren Zustandekommen mitgewirkt haben, allen voran dem Studienleiter Herrn Mehlhorn, und allen Vortragenden gilt mein ausdrücklicher Dank. Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Veranstaltung, die hoffentlich zu einer vertieften Beschäftigung mit der Persönlichkeit und der Gedankenwelt Adam von Trott zu Solz anregt.