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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Friedliche Revolution 1989/90“

07.05.2009 - Rede

es gilt das gesprochene Wort

Lieber Klaus Wowereit,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Staatsminister Neumann,
sehr geehrter Herr van Dülmen,
sehr geehrter Herr Sello,
sehr geehrter Wolf Biermann,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren!

Heute vor 20 Jahren, am 7. Mai 1989, fanden in der damaligen DDR Kommunalwahlen statt. Eine staatlich organisierte Wahlfälschungsaktion – wie immer. Durch staatlich gelenkte Medien gedeckt – wie immer. Mit dem alleinigen Ziel des Machterhaltes für die SED und ihre Blockparteien – wie immer.

Aber etwas war anders: Kurz vor 18 Uhr machten in drei Ostberliner Bezirken und an vielen weiteren Orten im Land Leute vom Recht der öffentlichen Wahlauszählung Gebrauch.

Heute wissen wir, und die Ausstellung hier zeigt es noch einmal: Dieses Eintreten für freie Wahlen, die Grundvoraussetzung jeder Demokratie, war der Anfang vom Ende des SED-geführten Unrechtsstaates. Es war das „Endspiel“, wie das Buch von Ilko-Sascha Kowalczuk heißt.

Die DDR war am Ende, weil der Bürgersinn sie besiegte.

Wir erinnern mit dieser Ausstellung an die Akteure der friedlichen Revolution. Und die Ausstellung zeigt ganz zu Recht: Die Akteure, das waren in aller erster Linie nicht die, die als Einzelpersonen in der Geschichtsschreibung dazu gemacht werden. Sondern das waren mutige Bürgerinnen und Bürger der DDR, tausende, zehn- und hunderttausende von ihnen.

Und zwar nicht erst 1989, sondern schon weit davor. Und ich finde es sehr wichtig, dass die heutige Ausstellung diesen Beginn besonders würdigt. Zwei Gründe will ich nennen.

Erstens: Weil uns die heutige Ausstellung auch an die erinnert, die mit ihrem Mut oft noch am SED-System gescheitert sind. Die jahrelange Verfolgung und Entbehrung haben erleiden müssen! Ohne sie wäre 1989 nicht möglich gewesen!

Aber es gibt noch einen anderen Grund, und auch daran erinnert die heutige Ausstellung: 1989 ist geboren auch aus dem Geist des gesellschaftlichen Aufbruchs und des bürgerschaftlichen Engagements, der in beiden Teilen der Republik lebendig war.

Drei Beispiele will ich nennen für diese Traditionslinie.

Frieden, Abrüstung, ein atomwaffenfreies Europa – das war ja nicht nur eine Forderung von Robert Havemann. Sondern auch im damaligen Westen. Und seit Barack Obama in den USA regiert, gibt es endlich eine Chance, dass wir da entscheidende Schritte voran kommen!

Die Zerstörung der Umwelt, die Warnung vor den Gefahren der Atomkraft und der Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung. Das war das Thema der Umweltgruppen im Osten und im Westen.

Und schließlich: Ein kritischer Umgang mit staatlicher Autorität und Normen, die nicht nur Beteiligung, sondern freie Meinung verweigerten und sanktionierten. Wir aus dem Westen wissen oft gar nicht, wie wichtig das Theater, die Literatur und das Kino für den freiheitlichen Aufbruch von 1989 waren. Auch das politische Kabarett! Vor ein paar Tagen erst habe ich Peter Ensikat und Wolfgang Schaller für ihr Werk in Ost und West geehrt. Nicht zu vergessen die bildende Kunst in der DDR, die in der Prachtausstellung im Gropius-Bau leider nicht gezeigt wird!

Frieden, Demokratie, eine Kultur der Freiheit. Das sind drei Wurzeln, aus denen sich 1989 speist. Das sind starke Wurzeln. Und wir sollten uns gerade heute an sie erinnern.

Gedenken ist Erinnern! Aber: Ein Gedenkjahr heißt nicht, in Erinnerungen schwelgen. Sondern gerade in Zeiten der Krise gilt es, aus der Erinnerung Kraft für einen neuen Aufbruch zu schöpfen.

Denn der Weg der Freiheit ist nicht zu Ende. Wir wollen und wir müssen ihn weitergehen, damit wir und unsere Kinder weiter in einem offenen, toleranten und solidarischen Deutschland leben können.

Gerade in Zeiten der Krise ist es wichtig, daran zu erinnern: Eine demokratische Gesellschaft kann nur bestehen, wenn die elementaren Regeln von Fairness und Gerechtigkeit eingehalten werden. Und leider muss ich aus aktuellen Anlässen rund um den 1. Mai hinzufügen: Das gilt gerade und auch gegenüber Minderheiten! Es kann nicht sein, dass Menschen, die anders aussehen, durch die Straßen gehetzt werden und Angst um ihr Leben haben.

Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Aber auch immer die Freiheit dessen, der anders aussieht!

Wir wissen genau: Die „geglückte Demokratie“ der Bundesrepublik, wie das der Historiker Edgar Wolfrum genannt hat, ist uns weder in den Schoß gefallen noch ist sie ein für alle Mal garantiert. Auch nicht durch den Text des Grundgesetzes, auf das wir zu Recht stolz sind und dessen 60. Geburtstag wir in zwei Wochen feiern.

Das Grundgesetz gab und gibt Orientierung. Aber freiheitliche Demokratie ist nichts Ererbtes, kein ruhiger Besitz. Sondern Demokratie lebt vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Sie muss jeden Tag aufs Neue verteidigt und erarbeitet werden.

Willy Brandt hat einmal gesagt „Nichts kommt von selbst, und nur wenig ist von Dauer“.

Er hat es gemeint für alles, was uns selbstverständlich zu werden scheint, Frieden, Freiheit und Demokratie. Auch dafür steht das Gedenkjahr 1989: Die Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist das Ergebnis eines hundertjährigen Kampfes von Menschen, die dafür gestritten und gelitten haben.

Ich betone das ausdrücklich an dieser Stelle. Nicht deswegen, weil dieser Kampf so eng mit der Sozialdemokratie verbunden ist. Das auch, aber das ist nicht mein Thema heute.

Sondern ich erinnere an Willy Brandt, weil wir gerade hier in Berlin und gerade in diesem Gedenkjahr die Erinnerung an seine Verdienste um Demokratie, Einigkeit und Freiheit pflegen sollten. Weil sein Name über Partei- und Landesgrenzen hinaus für diese Werte steht. Gerade auch bei unseren osteuropäischen Nachbarn. Und weil wir hier in Deutschland auch umgekehrt unseren osteuropäischen Nachbarn für unsere eigene Geschichte so viel zu verdanken haben:

Den streikenden Arbeitern in Danzig und der Solidarnoscz, den Freunden von der Charta 77 in der damaligen CSSR, den vielen mutigen Dissidenten in den sogenannten Bruderländern, den mutigen Ungarn, die im Sommer 1989 den Eisernen Vorhang durchschnitten haben!

Es ist der Verdienst dieser Ausstellung, daran zu erinnern.

Aber mehr noch: Sie erinnert auch an unsere Verantwortung heute: nämlich einzutreten für Freiheit und Gerechtigkeit!

Wir brauchen die gemeinsame Erinnerung, nicht um ihrer selbst willen, sondern um Orientierung zu geben. Deswegen kann man Erinnerung auch so schwer in ein steinernes oder gläsernes Mahnmal gießen, wie wir zu Anfang dieser Woche gesehen haben.

„Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss“, heißt es in Faust II, den ich gerade in der wunderbaren Aufführung im Deutschen Theater gesehen habe.

Das ist die richtige Erinnerung an 1989.

Wir verdanken sie denjenigen, die mit ihrem Mut die Mauer zu Fall gebracht haben.

Vielen Dank!

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