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Rede von Außenminister Steinmeier vor der 63. Generalversammlung der Vereinten Nationen

27.09.2008 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Herr Präsident,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,


Ich gratuliere Ihnen, Herr Präsident, zu Ihrer Wahl zum Vorsitzenden dieser 63. Generalversammlung und wünsche Ihnen gutes Gelingen und viel Erfolg!

Frieden und Sicherheit zu wahren und zu schaffen – dieser Auftrag der Vereinten Nationen hat auch im Jahr 2008 nichts von seiner Dringlichkeit verloren.

Die Aufgabe bleibt. Zugleich ist ihre Erfüllung anspruchsvoller denn je.

Als die Mauer in Berlin fiel hatte niemand größere Hoffnung als wir Deutschen, dass neben deutscher Einheit auch ein neues Zeitalter weltweiter Kooperation – jenseits alter Frontlinien – beginnt. Der Eiserne Vorhang hatte die Welt in zwei Blöcke geteilt und bei Krisen und Konflikten hatte Priorität die Loyalität innerhalb der Blöcke; nachrangig war – häufig genug -, was zur Erleichterung des Schicksals von Menschen notwendig gewesen wäre.

Das Ende der Blockkonfrontation in den frühen 90er Jahren schien ein neues Zeitalter effektiven Multilateralismus einzuläuten. Die Vereinten Nationen schienen vor einer großen Renaissance zu stehen.

Die Ernüchterung ist inzwischen eingetreten – schneller und nachhaltiger als wir befürchtet haben. Die erhoffte Friedensdividende kam nicht zur Auszahlung. Im Gegenteil: Die zynischen Gewissheiten des Kalten Krieges waren verschwunden; neue waren nicht an ihre Stelle getreten!

Erkennbar ist die Welt auf der Suche nach einer „neuen Ordnung“; und bei der Suche scheint Multilateralismus nicht immer die erste Wahl zu sein.

Was wir in der Zwischenzeit erleben, ist die Gleichzeitigkeit und Überlagerung von:

  • klassischer Machtpolitik des
    19. Jahrhunderts,

  • Hinterlassenschaften des Kalten Krieges,

  • neuen Herausforderungen des
    21. Jahrhunderts.

Zur selben Zeit streben neue Akteure und Mächte auf die globale Bühne, die ihre Rolle im internationalen Machtgefüge noch finden müssen.

Dabei gehört doch mittlerweile zum Allgemeingut, dass wir diesen neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts von Klimawandel, Ressourcenverknappung, Zugang zu Nahrungsmitteln und Wasser, Kampf gegen Seuchen, Pandemien und Terrorismus nur gemeinsam begegnen können. Und obwohl wir das wissen und wir uns auf gemeinsame Lösungen für Zukunftsfragen dringend konzentrieren müssten, werden wir durch Konflikte, die ihren Ursprung in einer nur scheinbar überwundenen Vergangenheit haben, immer wieder gefordert.

Ein Konflikt der lange schwelte um dann plötzlich und gewaltsam zu eskalieren, ist die Krise in Georgien - wo eine ganze Region an den Rand des Abgrunds von Krieg und Zerstörung geriet und die Vernunft auf allen Seiten versagte.

Die Vereinten Nationen, die OSZE und die Europäische Union sind sich einig: Die Waffen müssen dauerhaft schweigen! Ohne Zögern muss der notleidenden Bevölkerung geholfen werden! Nur der Klarheit wegen sei hinzugefügt: zu beidem beizutragen, heißt nicht den status quo, die Infragestellung der territorialen Integrität Georgiens, zu akzeptieren.

Dennoch: Gemeinsam müssen wir für Wiederaufbau, Rückkehr der Flüchtlinge und dauerhafte Sicherheit in Georgien und in der Gesamtregion sorgen. Die Europäische Union leistet dazu mit der Entsendung einer Beobachtermission einen wesentlichen Beitrag, mein Land hat die Leitung dieser Mission übernommen und sie wird jetzt gemeinsam mit den Vereinten Nationen und der OSZE im Oktober in Genf einen umfassenden Ansatz vorstellen: Es wird darum gehen, über Stabilisierung und Vertrauensbildung den Weg zu einer dauerhaften Lösung dieses Konflikts zu ebnen.

Noch anspruchsvoller stellt sich die selbe Aufgabe in Afghanistan dar. Afghanistan, ein Land, das nicht zur Ruhe kommt.

Uns ist klar: ohne Sicherheit wird und kann es in Afghanistan keine Entwicklung geben. Genauso brauchen wir aber auch wirtschaftliche Entwicklung, um zu mehr Sicherheit, zur Abkehr von Fundamentalismus und Terror zu kommen.

Gemeinsam haben wir in den letzten Monaten und Jahren einiges erreicht. Millionen von Kindern - gerade auch Mädchen - gehen wieder zur Schule. Straßen, Brücken und Krankenhäuser werden gebaut.

Ausbildung und Aufbau der afghanischen Polizei und des Militärs kommen voran. Gemessen an der verschlechterten Sicherheitslage aber nicht schnell genug! Gerade hier wird Deutschland in Zukunft noch mehr tun.

Zugleich können wir uns nicht erlauben, Afghanistan isoliert zu betrachten. Verstärkte Anstrengungen sind nötig, um auch Pakistan bei der Überwindung seiner wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu helfen. Die innere Stabilität Pakistans ist eine Schlüsselfrage für die Stabilität der gesamten Region.

Dazu bedarf es konkreter Unterstützung aller, und mein Land wird dazu seinen Beitrag leisten.

Engagement ist auch weiterhin mit Blick auf den Nahen Osten von Nöten. Wir appellieren an die Konfliktparteien, in der jetzigen Phase innenpolitischer Unsicherheiten in ihren Bemühungen für eine Lösung des Konflikts nicht nachzulassen.

Denn die Erfahrung zeigt, dass „Stillstand“ im Nahen Osten oft „Rückschritt“ bedeutet. Eine neue Welle des Terrors und gewaltsamer Auseinandersetzungen wäre die Folge. Dies können sich weder Israel und Palästina, noch die internationale Gemeinschaft, leisten.

Deutschland sieht sich gerade hier in der Pflicht, konkrete Hilfe zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen zu leisten: gerade erst auf der Konferenz für mehr Sicherheit in Palästina in Berlin – viele von Ihnen waren dabei – haben wir konkrete Maßnahmen zur Stärkung des palästinensischen Sicherheitssektors vereinbart; Maßnahmen, die jetzt schon Wirkung zeigen.

Ein nuklear bewaffneter Iran würde den gesamten Nahen und Mittleren Osten in Unsicherheit versetzen, einen atomaren Rüstungswettlauf auslösen.

Iran muss seine Karten deswegen offen auf den Tisch legen.

Unsere Angebote liegen vor. Die Hinhalte-Taktik der iranischen Seite darf die Geduld der internationalen Staatengemeinschaft nicht überreizen. Wir erwarten ein klares Zeichen des Einlenkens und der Vertrauensbildung.

Und lassen sie mich auch folgendes deutlich sagen: Die Äußerungen des iranischen Präsidenten zu Israel sind unverantwortlich und inakzeptabel. Für mich ist der blanke Antisemitismus auch in seiner diesjährigen Rede unerträglich und verlangt unsere gemeinsame Verurteilung.

In dieser Frage müssen wir zusammenstehen!

Die Probleme in Georgien, in Afghanistan/Pakistan und im Nahen Osten machen eines deutlich: dringender denn je müssen wir die Grundlagen für eine stabile Weltordnung entwickeln.

Dabei steht mein Land für Dialog und Interessenausgleich. Dialog nicht um des folgenlosen Redens Willen. Und Interessenausgleich nicht als Aufgabe eigener Grundsätze: Gewaltverzicht, Fairness und die Anerkennung des Völkerrechts sind dafür die unverzichtbaren Voraussetzungen.

Für uns ist das der Gegenentwurf zu einer Welt der konstruierten Gegensätze, des Blockdenkens und der vereinfachenden Kategorien von Gut und Böse.

Ost gegen West, Nord gegen Süd. Dieses Denken ist von gestern, gehört nicht mehr in unsere Zeit. Denn um die Probleme von heute und morgen zu lösen, brauchen wir alle mehr Partner und nicht mehr Gegner. Das 21. Jahrhundert ist das erste, in dem wir die Probleme nur noch gemeinsam lösen können.

Das gilt auch für die Abrüstungspolitik: Nur eine globale Verantwortungspartnerschaft wird dauerhafte Ergebnisse erzielen können.

Der gefährliche Trend, dass immer mehr Länder nach Zugang zu Nukleartechnologie oder sogar zur Herstellung von Atomwaffen streben, muss gestoppt werden.

Mit meinem Vorschlag zur Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs habe ich einen Weg aufgezeigt, wie die damit verbundenen Risiken zu minimieren sind.

Ich appelliere zudem an alle Staaten, den Kernwaffenteststoppvertrag CTBT zu unterzeichnen, dessen Inkrafttreten einen enormen Sicherheitsgewinn bedeuten würde.

Bei all dem dürfen wir aber eines nicht vergessen: täglich kommen mehr Menschen durch Hunger um als durch Kriege! Unsere Versprechen von der Jahrtausendwende dürfen nicht allein bedrucktes Papier bleiben. Kampf gegen Hunger und Armut: auch das ist Teil einer globalen Verantwortungspartnerschaft.

Deswegen wird Deutschland seine Anstrengungen für Armutsbekämpfung und für globale Gerechtigkeit verstärken. Dies schließt ein, dass wir unsere ODA-Leistungen entsprechend dem Stufenplan der EU steigern werden; allein im kommenden Haushalt um 1,2 Milliarden Dollar.

In diesem Zusammenhang ein Wort zu Afrika. All zu lange haben wir diesen Teil der Welt nur als Kontinent der Kriege und Konflikte wahrgenommen. Ich kenne aber auch das Afrika, was sich mutig und entschlossen auf den Weg in die Zukunft gemacht hat. Dabei verdient es unsere partnerschaftliche Unterstützung.

in diesen Tagen beherrscht die internationale Finanzkrise die Schlagzeilen. Leichtsinn, Gier und Unvernunft bei den Akteuren haben uns um Jahre zurückgeworfen. Die langfristigen Folgen sind noch nicht zu übersehen! Gleichwohl: Ich bin mir sicher: Das schmerzhafte Beben auf den Welt-Finanzmärkten wird die Multipolarisierung des internationalen Finanzsystems beschleunigen. Es wird keine Zukunft ohne Regeln geben und kein Akteur wird künftig die Regeln allein bestimmen können. Kein Land wird mehr so agieren können, als sei es gegen Fehlentwicklungen immun. Europa mit seiner erprobten Politik der Moderation und des Interessensausgleichs kann dabei eine Schlüsselrolle zuwachsen!

Gemeinsam müssen wir jetzt endlich für die längst überfällige Transparenz, Stabilität und Risikovorsorge auch Kontrolle auf den Welt-Finanzmärkten sorgen.

Mein Land hat hierzu bereits vor einigen Jahren konkrete Vorschläge entwickelt. Ich hoffe, dass die internationale Gemeinschaft angesichts dieser tiefgreifenden Krise nunmehr schnell und entschlossen handeln wird. Wir brauchen allgemeingültige Regeln für die internationalen Finanzmärkte.

Dies gilt nicht allein für den internationalen Finanzbereich. Klare Regeln, solide Strukturen, gemeinsames Handeln sind die unabdingbaren Voraussetzungen zur Bewältigung globaler Herausforderungen. Deswegen brauchen wir starke und handlungsfähige Vereinte Nationen, die das Vertrauen der Weltgemeinschaft genießen, die über die notwendige Legitimation verfügen und das Dach einer globalen Verantwortungspartnerschaft bilden.

Wir unterstützen deswegen den Reformprozess der Vereinten Nationen und ihrer Organe. Eine Reform des Sicherheitsrats ist überfällig. Seine Zusammensetzung muss den weltpolitischen Realitäten von heute entsprechen. Deutschland ist bereit, hier größere Verantwortung zu übernehmen. Vor wenigen Tagen hat die Generalversammlung einstimmig beschlossen, bald mit Verhandlungen zu beginnen. Diesem wichtigen Schritt müssen nun weitere folgen.

Deutschland ist der festen Überzeugung, dass wir die Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert dringender brauchen denn je.

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