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Rede von Bundesaußenminister Steinmeier zu den Ergebnissen des Europäischen Rates (8./9.03.2007) vor dem Europäischen Parlament in Straßburg
-- Es gilt das gesprochene Wort --
Herr Präsident,
gestatten Sie mir, im Anschluss an unsere Aussprache zur Berliner Erklärung, das Hohe Haus nun über die Ergebnisse des Frühjahrsgipfels des Europäischen Rates zu unterrichten.
Ich tue das gern, denn lassen Sie es mich gleich vorwegnehmen: Aus Sicht des Vorsitzes war es eine erfolgreiche Ratstagung. Ein Gipfel, der Antworten gegeben hat in Feldern, in denen die Bürgerinnen und Bürger mit Recht ein entschlossenes europäisches Handeln erwarten.
Ein Gipfel, der gezeigt hat, dass die Europäische Union – allen Unkenrufen zum Trotz – auch im erweiterten Kreis handlungsfähig sein kann. Dass die Mitgliedstaaten – unterstützt und vorangetrieben von Kommission und Parlament – in der Lage sind, ihre Differenzen zu überwinden und sich ehrgeizige gemeinsame Ziele zu setzen – auch wenn die Entscheidungen im Einzelnen nicht immer leicht fallen mögen.
Es war ein Gipfel, der gezeigt hat, dass die Union bereit ist, sich den drängenden Aufgaben der Zukunft zu stellen. Ein Gipfel, der Schwung verleiht und der Mut macht, dass es uns gelingen kann, auch den ins Stocken gekommenen Reform- und Erneuerungsprozess der EU in den kommenden Monaten mit neuem Leben zu erfüllen.
Das ist – neben den konkreten inhaltlichen Ergebnissen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme – , das ist die Botschaft, die von unserem letzten Gipfeltreffen ausgeht. Das ist das Signal, das wir in zwei Wochen aufgreifen wollen, wenn wir in Berlin und in ganz Europa den 50. Jahrestag der Union begehen. Das ist der Impuls, den wir auch in die zweite Hälfte unserer Präsidentschaft mit hinübernehmen möchten.
Im Mittelpunkt der Frühjahrstagung der Staats- und Regierungschefs standen die Energie- und Klimapolitik.
Beide Themen sind – zu Recht – sehr weit oben auf der Sorgenliste der Menschen in Europa. Gerade die letzten Jahre und Monate – zuletzt der Erdölstreit zwischen Weißrussland und Russland – haben uns noch einmal eindringlich vor Augen geführt, wie abhängig wir von Energieimporten sind und wie verwundbar die europäische Wirtschaft in dieser Frage ist.
Ebenso offenkundig geworden sind die Folgen des Klimawandels. Umweltkatastrophen, das Abschmelzen der Gletscher, der Anstieg des Meeresspiegels, Dürre – dies alles sind alles sind keine abstrakten Schlagworte mehr. Es sind sehr reale Bedrohungen geworden. Internationale Studien belegen, welchen Preis es hat, wenn wir jetzt nicht handeln; welche Kosten wir unseren Kindern und Enkeln aufbürden, wenn wir untätig bleiben.
Sie kennen das Ergebnis der Gipfelberatungen, und ich hoffe, Sie stimmen mir in meiner Einschätzung zu: Mit ihren Beschlüssen haben die Staats- und Regierungschefs die Tür aufgestoßen hin zu einer ambitionierten, zu einer verantwortungsvollen Klima- und Energiepolitik in Europa. Hin zu einer Politik, die das Ausmaß der Probleme, vor denen wir stehen, nicht beschönigt, sondern wirksame Strategien sucht, um diesen Problemen zu begegnen.
Wir sind einen großen Schritt gegangen in Richtung einer integrierten Klima- und Energiepolitik. Integriert deshalb, weil das eine ohne das andere nicht möglich ist. Weil das weitaus größte Klimarisiko heute die Erzeugung und der Verbrauch von Energie durch den Menschen ist.
Das gilt insbesondere für die Treibhausgasemissionen. Mit den Beschlüssen von Brüssel bleibt die EU Vorreiter beim internationalen Klimaschutz. Sie ermöglichen uns einen glaubwürdigen Einstieg in die anstehenden Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll.
Die EU verpflichtet sich einseitig und unabhängig, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Dies ist ein ehrgeiziges Ziel, und es wird großer Anstrengungen in allen Mitgliedsstaaten bedürfen, dieses Ziel zu erreichen.
Die Staats- und Regierungschefs sind aber noch weitergegangen: eine Reduktion im selben Zeitraum sogar um 30 Prozent, sofern andere Industrie- und wirtschaftlich fortgeschrittene Entwicklungsländer mitziehen.
Erreichen können wir diese Ziele nur, wenn wir uns auch energiepolitisch auf den Weg in die Zukunft machen. Deshalb wurde in Brüssel zusammen mit den Klimazielen ein umfassender energiepolitischer Aktionsplan beschlossen.
Herzstück des Aktionsplans sind zwei weitere wegweisende Zielvorgaben: Der Energieverbrauch in der EU soll, gemessen an der erwarteteten Entwicklung bis 2020, durch mehr Energieeffizienz um 20 Prozent gesenkt werden. Und der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch soll auf mindestens 20 Prozent erhöht werden.
Sie wissen, dass wir gerade um die Verbindlichkeit des letzten Ziels sehr gerungen haben. Einige Mitgliedsstaaten hatten Vorbehalte, die Vorgabe könnte zu ehrgeizig sein. Ich bin sehr froh, dass wir uns am Ende auf die Verbindlichkeit einigen konnten. Denn gerade an diesen drei Zielen wird deutlich, wie sehr Klima- und Energiepolitik zusammenhängen: Ohne die Anstrengungen bei erneuerbaren Energien und bei Energieeffizienz könnte die EU das selbst gesteckte Klimaziel nicht erreichen!
So, wie wir uns gemeinsam auf die Verbindlichkeit des Ziels bei erneuerbaren Energien verständigt haben, so gemeinschaftlich und fair werden wir nun auch vorgehen, wenn es daran geht, das europäische Ziel in nationale Vorgaben aufzuteilen. Wir werden dabei die unterschiedliche Ausgangslage und die Möglichkeiten der Mitgliedsstaaten berücksichtigen, und die Kommission ist aufgefordert, noch in diesem Jahr hierzu einen Vorschlag vorzulegen.
Es ist dies nicht der Ort, den Energie-Aktionsplan in allen Details wiederzugeben. Wichtiger ist eine Gesamtwürdigung. Und da bleiben, neben den genannten Zielen, die strategischen Weichenstellungen festzuhalten, die in den Bereichen der Ausgestaltung des Energiebinnenmarktes, der Versorgungssicherheit, der internationalen Energiepolitik, zur Energieforschung und zu neuen Energietechnologien getroffen wurden.
Ein Aspekt sei herausgegriffen: Versorgungssicherheit werden wir auf mittlere und lange Sicht nur gewährleisten können, wenn es gelingt, Energiequellen und Transportrouten zu diversifizieren. Das heisst konkret: Intensivierung der Beziehungen zu den wichtigen Erzeugerländern, Gestaltung tragfähiger „Energie-Aussenbeziehungen“ mit den Ländern Zentralasiens, den Anrainernstaaten des Schwarzen und Kaspischen Meeres, den Golfstaaten und Nordafrika.
Das heißt auch: zuverlässige und transparente Energiebeziehungen mit Russland. Auch deshalb setzt sich die Präsidentschaft weiterhin für einen baldigen Beginn der Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland ein.
Gewiss: die Ergebnisse beim Klimaschutz und der Energiepolitik sind besonders wichtig. Der Europäische Rat hat sich, auch in seinen Schlussfolgerungen, aber nicht darauf beschränkt.
Der Frühjahrsrat ist traditionell eine Bestandsaufnahme der „Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“. Wichtig ist zunächst: Die reformierte Lissabon-Strategie greift! Es gibt sichtbare Erfolge, die sich europaweit in gestiegenen Wachstumszahlen und sinkenden Arbeitslosenzahlen niederschlagen.
Aber die Botschaft lautet auch: Dies ist nicht die Zeit, die Hände in den Schoss zu legen! Im Gegenteil: Wir wollen das positive Momentum nutzen. Die Fortsetzung der Strukturreformen und die konsequente Konsolidierung der öffentlichen Haushalte sind alternativlos. Der europäische Binnenmarkt muss in wichtigen Bereichen – ich nenne an dieser Stelle: Strom und Gas, Postdienstleistungen und Finanzmärkte – ausgebaut und vollendet werden.
Dazu gehört auch der Abbau des Defizits bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht. Hier sind wir in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Betrug das Umsetzungsdefizit im Jahr 2000 noch 3 Prozent, so sind im europäischen Durchschnitt heute nur noch 1,2 Prozent verfristeter Binnenmarktrichtlinien nicht in nationales Recht überführt. Auch hier gilt es, die Anstrengungen fortzusetzen, und der Europäische Rat hat eine weitere Minderung des Defizits auf 1 Prozent bis 2009 beschlossen.
Die Lissabon-Strategie wird in den Augen der Bürgerinnen und Bürger aber nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, auch ihre soziale Dimension weiterzuentwickeln. Das gilt gerade angesichts der positiven Entwicklung auf den Arbeitsmärkten. In diesem Zusammenhang haben die Staats- und Regierungschefs betont, wie wichtig angemessene Arbeitsbedingungen, die Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sowie eine familienfreundliche Arbeitsorganisation sind.
Ein weiteres Element der Beschlüsse sei hervorgehoben: die „Bessere Rechtsetzung“ und der Abbau von Bürokratielasten. Auch hier wurden bereits Fortschritte erzielt. Aber auch hier dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Insbesondere wollen wir den Verwaltungsaufwand – die „Bürokratielasten“ – von EU-Rechtsvorschriften bis 2012 um 25 Prozent verringern. Und die Mitgliedstaaten sind aufgerufen, sich im Laufe des nächsten Jahres ähnlich ambitionierte nationale Ziele zu setzen.
Kommissionspräsident Barroso hat in der abschließenden Pressekonferenz ein sehr freundliches Wort zur Einschätzung der gerade beendeten Ratstagung gefunden: In Bezug auf die Ergebnisse und formulierten Ziele sei dies der bedeutendste Gipfel gewesen, an dem er in seiner Amtszeit teilgenommen habe.
Dieser Erfolg wäre nicht möglich gewesen ohne die ausgezeichneten Vorarbeiten der Kommission, ohne die Unterstützung aus dem Europäischen Parlament, für das Sie, sehr verehrter Herr Pöttering, als neugewählter Präsident erstmals am Gipfel teilgenommen haben.
Die Europäische Union ist auf dem Weg zu einer modernen und zukunftsgerechten Klima- und Energiepolitik. Die Staats- und Regierungschefs haben gezeigt, dass Europa in wichtigen globalen Fragen eine Vorreiterrolle übernehmen kann. Das Signal des Gipfels ist: Wenn wir Europäer unsere Kräfte bündeln, wenn wir gemeinsam handeln, dann können wir die Zukunft erfolgreich gestalten.
Ganz im Sinne des Mottos der deutschen Präsidentschaft, das wir als Leitsatz auch den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vorangestellt haben – ich habe es in der vorigen Debatte bereits erwähnt: „Europa gelingt gemeinsam!“
Ich danke Ihnen.