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Rede von Bundesaußenminister Steinmeier zum Thema Abrüstung und Nichtverbreitung vor dem Deutschen Bundestag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich teile nicht alles, was mein Vorredner gesagt hat. Aber in einem Punkt hat er Recht: „Abrüstung“ klingt wie ein Stichwort aus einer vergangenen Zeit. Ich bin mir sicher, dass bei einer solchen Debatte noch vor 20 Jahren nicht nur die unteren Ränge des Hauses sehr viel voller gewesen wären, sondern auch die Pressetribünen. Das Bedrohungsgefühl hat sich hierzulande offensichtlich verändert. Vor 15 Jahren, nach dem Ende der Blockauseinandersetzungen und mit Herstellung der europäischen Einheit, hat die Furcht vor Bedrohung nachgelassen. Man begann zu hoffen, dass sich die Bedrohung durch Massenvernichtungsmittel in Europa verflüchtigt oder irgendwie von selbst erledigt. Das war ein böser Trugschluss.
Der Atomtest in Nordkorea vor zehn Tagen hat - darauf haben bereits viele hingewiesen - die Menschen aufgerüttelt. Wir erleben nun, dass das Zeitalter der Atomwaffen ganz offensichtlich nicht vorbei ist. Im Gegenteil: Manche Machthaber wie die in Nordkorea setzen ganz offenkundig darauf, sich mit atomaren Machtspielen wieder einen Platz in der Weltpolitik zu verschaffen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle und vor Einstieg in das eigentliche Thema einen Dank an das Hohe Haus richten. Der Deutsche Bundestag hat das zur Diskussion stehende Thema [..] nicht nur dann ernst genommen, wenn es im Brennpunkt der medialen Aufmerksamkeit stand. Allen hier vertretenen Parteien ist das Thema Abrüstung immer ein Anliegen gewesen, wenn auch vielleicht mit unterschiedlichen Gewichtungen. Das weiß man auch außerhalb der Grenzen unseres Landes.
Weil man uns in Abrüstungsfragen ernst nimmt, finden Kongresse und Veranstaltungen zu diesem Thema - achten Sie einmal darauf! - häufig in Deutschland statt. Zuletzt fand im Willy-Brandt-Haus eine Veranstaltung zu den Themen „Abrüstung“ und „nukleare Abrüstung“ zusammen mit dem Direktor der Internationalen Atomaufsichtsbehörde, al-Baradei, statt.
Wir diskutieren heute über den Jahresabrüstungsbericht und dokumentieren damit zum 22. Mal in der Geschichte der Republik die Anstrengungen der Bundesregierung bei der Rüstungskontrolle, der Nichtverbreitung und der Abrüstung. Zu Beginn der Vorlage der Abrüstungsberichte stand natürlich die Situation in Deutschland und in Europa - das habe ich vorhin angedeutet - im Vordergrund. Die Bedrohung durch Massenvernichtungsmittel und Trägerraketen war für unser Land allgegenwärtig. Heute stehen wir vor der Aufgabe, dem damals gewählten und noch immer richtigen Ansatz von multilateralen Verpflichtungen und Verträgen zu neuer Geltung und Durchsetzungsstärke zu verhelfen.
Europa und insbesondere Deutschland stehen dabei - das bekenne ich - in ganz besonderer Verantwortung. Wir wollen die Gefahr eines nuklearen Wettlaufs auch in anderen Weltregionen durch eine aktive Abrüstungspolitik verhindern.
Wie dringlich dies ist, zeigt der Atomtest in Nordkorea, auf den ich schon zu Beginn meiner Rede hingewiesen habe. Das nordkoreanische Regime verstößt mit dieser Provokation eklatant gegen die Bestimmungen des Nichtverbreitungsvertrages. Wie Sie wissen, bedeutet die Zündung eines nuklearen Sprengkopfes, wie sie nun stattgefunden hat, eine neue Eskalationsstufe.
Deshalb unterstützen wir - ich bin froh, dass das auch viele andere hier gesagt haben - die eindeutige und deutliche Antwort des Weltsicherheitsrats auf diesen unverantwortlichen Schritt; denn wir dürfen nicht wegsehen, wenn Nordkorea auf diese Weise nicht nur den Frieden in der Region gefährdet, sondern mit seinen Aktivitäten der Welt geradezu einen neuen nuklearen Rüstungswettlauf aufzuzwingen versucht.
Deshalb lassen Sie uns auch von dieser Stelle noch einmal das Regime in Pjöngjang dazu aufrufen, den Weg einer, wie ich finde, völlig sinnlosen Selbstisolation zu verlassen, und dies nicht nur wegen des Rüstungswettlaufs, sondern auch weil Nordkorea damit noch mehr Armut und noch mehr Leid über die eigene Bevölkerung bringt.
Indem ich das sage, bringe ich aber auch in Erinnerung, dass in der Antwort des Weltsicherheitsrats ein Zweites enthalten ist, nämlich auch die Aufforderung an Nordkorea, im Rahmen der Sechsergespräche an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir unterstützen ausdrücklich die schnelle Wiederaufnahme eines politischen Dialogs, nicht nur weil ich ihn für richtig halte, sondern auch weil ich ihn für alternativlos halte.
Mit der gleichen Sorge, aber auch mit dem gleichen Ziel haben wir uns in den Konflikt um das iranische Atomprogramm eingeschaltet und Teheran zu einem frühen Zeitpunkt in diesem Jahr, nämlich schon im Juni, gemeinsam mit anderen ein sehr, sehr weit reichendes Angebot zu Gesprächen und zu Verhandlungen gemacht. Dabei ist auch Ihnen immer wieder offenbar geworden: Wir sprechen Teheran eben nicht das Recht auf zivile Nutzung von Atomenergie ab, aber wir wollen verhindern, dass sich Teheran unter diesem Deckmantel eigene Nuklearwaffen zulegt.
Deshalb besteht die Weltgemeinschaft auf einer internationalen Kontrolle des Atomprogramms. Deswegen pochen wir auf eine Aussetzung der Urananreicherung und deshalb muss Teheran den Nachweis liefern, dass geheime Aktivitäten aus offensichtlich mehr als 18 Jahren weder im Hauptzweck noch im Nebenzweck der Entwicklung einer eigenen nuklearen Waffentechnologie gedient haben.
Die Auseinandersetzungen mit Nordkorea und dem Iran offenbaren - viele andere haben es eben gesagt - eine schleichende Erosion des Nichtverbreitungsvertrages. Auch dieses Thema ist in der Weltpolitik in den vergangenen Jahren zu Unrecht unter den Punkt „Verschiedenes“ gerutscht. Manche hat es kaum beunruhigt, dass die Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Mai 2005 ohne jedes substanzielle Ergebnis auseinander- und zu Ende gegangen ist. Ich will deshalb für uns betonen: Wir müssen das Thema Abrüstung wieder oben auf die Tagesordnung setzen.
Für die Bundesregierung - das verspreche ich Ihnen - bleibt es ein zentrales Anliegen, dass die nächste Überprüfungskonferenz im Jahr 2010 ein Erfolg wird. Herr Mützenich hat darauf hingewiesen, dass die G 8 einen Rahmen dazu bietet, die Arbeiten schon im nächsten Jahr aufzunehmen. Arbeit gibt es reichlich. Erst 41 von 44 Staaten haben den umfassenden Kernteststoppvertrag unterzeichnet. Sieben müssen noch ratifizieren, darunter die wichtigsten. Die Arbeit in der Genfer Abrüstungskonferenz braucht frische Impulse. Auch die Abrüstung der Kernwaffenstaaten und insbesondere die Abrüstung der nuklearen Kurzstreckenraketen von Russland und den USA müssen wieder auf den Tisch kommen.
Zur Logik der Nichtverbreitung gehört aber auch, dass wir glaubwürdige Angebote für die zivile Nutzung der Kernenergie für solche machen, die sie nutzen wollen. Deshalb habe ich - dem einen oder anderen wird das aufgefallen sein - vor wenigen Wochen einen Vorschlag zur Multilateralisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufs in die Diskussion gebracht, nicht etwa deshalb, weil ich meinte, es gebe nicht genügend, sondern weil ich der Meinung bin, dass jedenfalls auf Grundlage der bisherigen Vorschläge kein Fortkommen zu erzielen war und deshalb die Diskussion wieder neu angestoßen werden muss. Es gab Reaktionen auf diesen Vorschlag: Sie waren so ermutigend, dass wir diesen Weg weitergehen werden.
Wir werden diesen Weg fortsetzen, auch wenn er, wie ich weiß, lang, beschwerlich und dornenreich ist. Obwohl das so ist, haben wir der Nuclear Suppliers Group erst am Freitag der vergangenen Woche angeboten, dass Deutschland zum ersten Mal in der Geschichte dieser Gruppe ihren Vorsitz übernimmt. Nach Lage der Dinge wird das etwa im Jahr 2008 der Fall sein. Damit will ich Ihnen nur sagen, dass wir es mit unserem Engagement für eine multilaterale Nichtverbreitung ernst meinen. Wir sind bereit, auch dafür Verantwortung zu übernehmen.
Mit einigen wenigen Worten muss ich einen zweiten Komplex erwähnen: konventionelle Rüstungsgüter, insbesondere Kleinwaffen und Minen. Es handelt sich dabei um eine Kategorie von Waffen - ich habe es hier im Hohen Hause schon einmal gesagt -, mit denen mehr Menschen als mit den Waffen aller anderen Kategorien zusammen umgebracht werden. Wie Sie wissen - es wurde hier gesagt -, werden durch die massenhafte Verbreitung dieser Waffen Konflikte verschärft und wird die Entwicklung in vielen Ländern destabilisiert. Deshalb haben wir uns in diesem Bereich engagiert, vor allen Dingen bei der Entschärfung von Minen. Die Bundesregierung hat zum Beispiel mit dem Internationalen Konversionszentrum Bonn und anderen Nichtregierungsorganisationen, mit der GTZ und der Bundeswehr [..] dafür gesorgt, dass viele dieser Minen entschärft werden. Dadurch wurde das Leben vieler Menschen wieder sicherer gemacht.
Wir werden bei diesem Engagement bleiben, etwa wenn es um die Einführung von Standards für Antifahrzeugminen geht. Wir werden uns im Rahmen dieser Anstrengungen auch für ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von Streumunition einsetzen.
Sie können sich darauf verlassen, dass unser Engagement erhalten bleibt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.