Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Bundesminister Steinmeier anlässlich der Verleihung des Toleranzpreises der Evangelischen Akademie Tutzing an Seine Hoheit den Aga Khan, 20.05.2006

20.05.2006 - Rede

Es wird oft von der Notwendigkeit eines Dialogs der Kulturen gesprochen - genauso wichtig ist es, auch eine Kultur des Dialoges zu fördern: dafür steht exemplarisch und mit sehr großem Erfolg der Aga Khan. Minister Steinmeier würdigte diese Leistungen am 20.05.2006 anlässlich der Verleihung des Toleranzpreises der Evangelischen Akademie Tutzing an Seine Hoheit den Aga Khan.

Hoheit,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Ilja Trojanow: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall!“

Sie ist nur nicht ganz einfach zu finden! Deshalb sind Außenminister pausenlos unterwegs. Die Rettung für vieles ist noch nicht gefunden, aber auf der Suche habe ich einen Mann kennen gelernt, der gestern mein Gast war und heute Ihr Gast ist.

Wir ehren einen außergewöhnlichen Mann. Wir ehren einen großen Menschenfreund, einen mutigen Visionär, einen Brückenbauer zwischen Glauben und Gesellschaft.

Wir ehren einen Mann, den ich in gemeinsamen Gesprächen als einen außerordentlich klugen, kenntnisreichen und angenehmen Gesprächspartner kennen gelernt habe. Einen Weltbürger, der unerschrocken gegen Ressentiment und Rückständigkeit auf fast allen Kontinenten kämpft.

Einen Mann, der uns ein Gesicht des Islam zeigt, wie es manche von uns nicht kennen, ja leider allzu oft nicht kennen wollen: ein Islam der offen, dialogfähig und tolerant ist. Ein Islam, der nicht im Widerspruch steht zu freien, demokratischen und pluralistischen Gesellschaften. Kurz: Ich kann mir keinen geeigneteren Preisträger für den Toleranzpreis vorstellen als Seine Hoheit Aga Khan!

Armut und Extremismus haben Sie, Hoheit, einmal gesagt, müssen durch ein und dasselbe Mittel bekämpft werden: durch eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen. Nur wo die Menschen Arbeit haben, Zugang zu Bildung und eine ausreichende gesundheitliche Versorgung können demokratische, pluralistische Gesellschaften entstehen.

Das ist Ihr Leitgedanke. Aus diesem Grund schufen Sie das Aga Khan Entwicklungsnetzwerk AKDN, das kulturelle, bildungs- und entwicklungspolitische Projekte durchführt. Heute ist das Netzwerk die weltweit größte private Entwicklungshilfeorganisation.

Ihre Ziele waren und sind ehrgeizig: Sie wollen nachhaltige Strukturen in Krisenregionen schaffen. Sie wollen langfristig pluralistische Zivilgesellschaften aufbauen und dadurch ganze Regionen stabilisieren. Und das gerade dort, wo es zunächst unmöglich erscheint.

„Als Bollwerk demokratischer Prozesse“ so beschreiben und verstehen Sie selbst Ihr Werk. Ihre Stiftung arbeitet für das Gemeinwohl, und zwar unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Religion.

Lassen Sie mich aus den vielen Regionen, in denen AKDN tätig ist, eine herausgreifen, die mehr und mehr im Brennpunkt unseres Interesses steht: Zentralasien.

Die Region hat eine wechselvolle Geschichte.

Vor Jahrhunderten verlief hier die mythische Seidenstraße, die einen fruchtbaren Austausch verschiedenster Kulturen und Religionen ermöglichte. In Buchara, der alten, reichen Handelsstadt im Westen Usbekistans, baute der Herrscher Uleg Beg im 15. Jahrhundert die erste Universität Zentralasiens. Damals gehörten Städte wie Buchara und Samarkand zu den Zentren islamischer Geistesgeschichte. Der Ruf der Künstler und Gelehrten reichte bis ins Europa der Renaissance. Über dem Portal der Hochschule ließ Uleg Beg das Motto einmeißeln: „Streben nach Wissen - das ist die Pflicht aller Muslime: eines jeden Mannes und einer jeden Frau“.

Der Glanz der Seidenstraße ist verblasst. Heute sind die Staaten Zentralasiens mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen konfrontiert. Vielerorts herrschen Demokratiedefizit und Gewalt. Das Geistesleben ist durch Bürgerkriege und Verfolgung eingeschränkt. Das Bildungswesen ist desolat. Tadschikistan gehört sogar zu den ärmsten Ländern der Welt.

Und genau dort, in Tadschikistan, begann vor wenigen Jahren ein besonders ehrgeiziges Projekt des Aga Khan: die Hochschule Zentralasien.

Er gründete gemeinsam mit den jeweiligen Regierungen eine Universität für ganz Zentralasien - länderübergreifend mit Standorten in Tadschikistan, Kirgistan und Kasachstan. Für den Aga Khan ist – gewissermaßen wie für Uleg Beg – der Zugang zur Bildung der Schlüssel für die Zukunft der Region. Und das ausdrücklich für Frauen wie für Männer gleichermaßen. Er orientiert sich an dem Motto: „Streben nach Wissen“ von Frauen und Männern – gleich welcher Religion – ist das oberste Gebot. Die Region braucht neue Köpfe, neue Denker. Nur so gibt es eine Chance, die Probleme zu lösen und die Zukunft zu gestalten.

Die zentralasiatische Universität ist nur eines von vielen Beispielen. Lang und beeindruckend ist die Liste der Hilfsprojekte des Netzwerkes. In über 30 Ländern sind die Mitarbeiter des Aga Khan aktiv.

Allein in Pakistan hat AKDN im Laufe von 20 Jahren fast 4000 Entwicklungsprojekte in den ländlichen Gebieten auf den Weg gebracht.

In Afghanistan ist das Netzwerk in 21 Distrikten tätig.

80 Millionen Dollar hat AKDN dort bereits investiert – mehr als mancher europäische Staat. AKDN betreibt Schulen in Kenia, baut Krankenhäuser in der Elfenbeinküste, vergibt Mikrokredite in Burkina Faso.

Dabei gehört es zu der Politik des Netzwerkes, zahlreiche Partnerschaften einzugehen. Es gibt vielfältige Kooperationen mit staatlichen und privaten Organisationen. Ich bin froh, dass AKDN auch mit Deutschland kooperiert. Und gerade gestern haben wir in Berlin in einem langen und für mich außerordentlich interessantem Gespräch vereinbart, die Kooperation noch enger zu gestalten und weitere gemeinsame Projekte zu entwickeln.

Bereits jetzt arbeitet das Auswärtige Amt mit der Aga Khan Stiftung etwa in Kabul zusammen beim Wiederaufbau einer historischen Gartenanlage aus dem 16. Jahrhundert.

Durch GTZ-Experten und AKDN wurde mitten in Kairo ein ganzes Viertel von einer riesigen Müllanlage in einen weitläufigen Park umgewandelt. Auch in Zentralasien und in einigen afrikanischen Ländern arbeitet die Bundesregierung mit AKDN zusammen.

Wir schätzen diese Partnerschaft sehr, weil sich Entwicklungsprojekte des Aga Khan immer durch zwei Elemente auszeichnen. Sie haben einen umfassenden Ansatz. Das heißt sie beschränken sich nicht auf wirtschaftliche Aspekte, sondern beziehen die soziale und kulturelle Dimension mit ein. Und die Projekte sind – unabhängig von der politischen Konjunktur – langfristig angelegt.

Und wir unterstützen einen Grundgedanken seines Wirkens, der immer große Aktualität hat: Der Aga Khan hat sich in den vergangenen Jahren – übrigens schon lange vor dem 11. September 2001 – unermüdlich für mehr Pluralismus innerhalb der islamischen Welt und für mehr Verständnis zwischen den Weltreligionen eingesetzt.

Der Karikaturenstreit hat uns in den vergangenen Wochen und Monaten vor Augen geführt: In der Wahrnehmung vieler besteht eine Kluft zwischen uns – im „Westen“ – und den Menschen in der islamischen Welt. Und diese Kluft droht, größer zu werden.

Zu viele falsche Wahrnehmungen und Vorurteile bestehen auf beiden Seiten. Zu viele Stereotypen bestimmen das Denken. Diese Unkenntnis wurde und wird von Demagogen und Extremisten missbraucht. Missbraucht zum Beispiel dazu, verletzte religiöse Gefühle umzuwandeln in Hass und Gewalt gegen Andersgläubige oder Andersdenkende. Auch in Europa gibt es Vorurteile – auch wir müssen mehr über Muslime und die islamische Welt lernen. Auch wir müssen verhindern, dass durch Unkenntnis Entfremdung entsteht oder gar befestigt wird!

Dabei zeigt uns doch die Geschichte, dass Orient und Okzident seit über tausend Jahren verbunden sind. Immer gab es einen intensiven Austausch auf wirtschaftlichem, gesellschaftlichem und kulturellem Gebiet. Das Abendland verdankt so manche technischen Erfindung und Entdeckung den Arabern: das Dezimalsystem, den Kompass oder den Magnetismus. Sie alle kennen die Erkenntnisse der arabischen Wissenschaft, von denen wir im Westen enorm profitiert haben.

Es muss uns gelingen, den Menschen diese Verbindung – die soviel Nutzen für beide Seiten gebracht hat – wieder näher zu bringen und stärker zu vermitteln. Wir versuchen das auf vielfältige Weise, auch aber nicht nur in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.

Aber ich freue mich ganz besonders über ein ganz junges gemeinsames Projekt: das Auswärtige Amt möchte gemeinsam mit AKDN künftig eine Einführung in den Islam in die Ausbildung unseres Diplomaten-Nachwuchses aufnehmen.

Wir brauchen mehr Menschen, die sich mutig und entschlossen für Toleranz innerhalb der eigenen Gesellschaften und Religionen sowie gegenüber anderen einsetzen. Ich fürchte, es sind noch zu wenige auf beiden Seiten, die Brücken bauen und sich für Pluralismus und Toleranz einsetzen.

Wir brauchen einen offenen, konstruktiven Dialog und Kooperation.

Aber ein Dialog mit der islamisch geprägten Welt kann nur glaubhaft sein, wenn er kritisch wie selbstkritisch von beiden Seiten geführt wird.

Und wir brauchen ihn übrigens nicht nur wegen des Verhältnisses Europas zur arabischen Welt! Nein, auch wegen der Veränderungsprozesse in unseren europäischen Gesellschaften selbst!

Denn Muslime gehören heute selbstverständlich zum gesellschaftlichen Mosaik in Europa. In Deutschland leben über 3,5 Millionen Muslime. Und so wie es gilt, Verständigungsprozesse zwischen Völkern mit unterschiedlicher kultureller Prägung und Religion zu fördern, so wichtig ist es, auch innerhalb unserer Gesellschaft Toleranz und Verständnis zwischen Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund zu schaffen.

Auch dafür brauchen wir Signale und Symbole!

Erst am Mittwoch habe ich mit deutschen Künstlern zusammen gesessen und diskutiert, deutsche Künstler mit – wie wir neu deutsch sagen –Migrationshintergrund. Mit Künstlern, die eines gemeinsam hatten: sie alle tragen Erfahrungen und Traditionen aus mindestens zwei Kulturen in sich! Und wir haben verabredet, diesen Reichtum sichtbar zu machen. Die deutsche Kulturnation war und ist immer auch eine Nation, die durch Migration kulturell dazu gewonnen hat.

Deutschland verdankt – wie viele wirtschaftlich und technologisch starke Staaten – der Einwanderung auch kulturell enorm viel.

Und wir sind in Deutschland viel zu wenig stolz auf diejenigen, die einst als Ausländer kamen und Deutschland als Ort ihres Lebens gewählt haben.

Toleranz ist eben nicht das Notprogramm, das es uns erlaubt, das zu erdulden, was wir nicht verstehen. Toleranz verlangt Offenheit, Kreativität, Engagement, Beharrlichkeit und vor allem Mut. Alles das lebt uns der heutige Preisträger in seiner täglichen Arbeit vor!

Wir haben Anlass nicht nur für Respekt, sondern für Dankbarkeit!

Danke will ich auch dem Gastgeber sagen!

Meine Damen und Herren,
der Toleranzpreis wird in diesem Jahr zum vierten Mal verliehen. Ich beglückwünsche die Evangelische Akademie Tutzing zu ihrem großen Engagement. Sie ist – ganz ohne Zweifel - zu einer der wichtigsten Institutionen unseres Landes geworden, wenn es darum geht, Verständigungsprozesse aktiv zu fördern.

Die Auszeichnung des Aga Khan zeigt:
Mit seinem persönlichen Einsatz für die Sache und der Klarheit seines Blickes ist der Aga Khan eine Inspiration für uns alle.

„Wir haben den Auftrag“ hat der Aga Khan einmal gesagt, „die Welt als einen besseren Ort zurückzulassen.“

Ich kann mir keinen besseren Leitsatz denken.

Verwandte Inhalte

nach oben