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Das ist ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht

06.09.2020 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit der Bild am Sonntag.

Herr Außenminister, werden Sie Alexej Nawalny in der Charité besuchen?

Wenn es sein Gesundheitszustand zulässt, würde ich Herrn Nawalny gern besuchen.

Wie sicher sind Sie, dass der russische Staat hinter dem Giftanschlag steckt?

Es gibt dafür viele Indizien, deswegen ist jetzt die russische Seite gefordert. Wir haben hohe Erwartungen an die russische Regierung, dass sie dieses schwere Verbrechen aufklärt. Sollte sie nichts mit dem Anschlag zu tun haben, dann ist es in ihrem eigenen Interesse, das mit Fakten zu belegen.

Was für Indizien haben Sie?

Die tödliche Chemiewaffe, mit der Nawalny vergiftet wurde, befand sich in der Vergangenheit im Besitz russischer Stellen. Nowitschok ist nur einer sehr kleinen Gruppe von Menschen zugänglich. Und das Gift wurde von staatlichen Stellen bereits für den Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal verwendet. Wenn sich die russische Seite nicht an der Aufklärung des Verbrechens an Herrn Nawalny beteiligt, wäre das ein weiteres Indiz für die Tatbeteiligung des Staates. Sollte es über Verschleierungen und Nebelkerzen nicht hinaus gehen, müssen wir davon ausgehen, dass Russland etwas zu verheimlichen hat.

Russland behauptet, Nawalny sei auf russischem Boden noch nicht vergiftet gewesen.

Das ist so absurd, dass ich es nicht weiter kommentiere.

Sie wollen, dass der Hauptverdächtige die Tat aufklärt. Wie lange geben sie der russischen Regierung?

Ultimaten helfen niemandem weiter. Aber: Wenn es in den nächsten Tagen auf der russischen Seite keine Beiträge zur Aufklärung gibt, werden wir mit unseren Partnern über eine Antwort beraten müssen. Dieser Anschlag ist mit einem international verbotenen tödlichen chemischen Kampfstoff begangen worden. Das ist ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht. Deswegen hat die internationale Gemeinschaft so breit reagiert. Wir haben die OPCW, die die Einhaltung des Chemiewaffen-Abkommens überwacht, eingeschaltet.

Muss jetzt die Bundesregierung das Pipelineprojekt Nordstream 2 stoppen, mit dem noch mehr russisches Gas direkt nach Deutschland fließen soll?

Ich hoffe jedenfalls nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nordstream 2 zu ändern. Und: Wer das fordert, muss sich der Konsequenzen bewusst sein. An Nordstream 2 sind mehr als 100 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt, etwa die Hälfte davon aus Deutschland.

War die Genehmigung von Nordstream 2 ein Fehler?

Jedenfalls war die versuchte Ermordung von Herrn Nawalny nicht nur ein schwerer Fehler, sondern ein brutales Verbrechen. Die Debatte jetzt allein auf Nordstream 2 zu verengen, wird dem Fall nicht gerecht.

Putin kann also machen, was er will, ohne dass Deutschland ihm die Gasfreundschaft kündigt?

Wir stimmen mit unseren Partnern ab, welche Reaktion angemessen ist. Am Ende wird es darauf ankommen, welche Antworten Moskau liefert. Klar ist: Wenn wir über Sanktionen nachdenken, sollten diese möglichst zielgenau wirken.

Welche tun das denn? Nach dem Anschlag auf Skripal wurden nur ein paar russische Diplomaten aus Europa ausgewiesen.

Dazu werden wir uns insbesondere in der EU abstimmen, sobald die russische Seite unsere Fragen beantwortet hat. Dieses heimtückische Verbrechen ist ein so schwerwiegender Verstoß gegen das internationale Chemiewaffen-Abkommen, dass es nicht ohne eine spürbare Reaktion bleiben kann.

[...]

Dürfen Alexej Nawalny und seine Frau dauerhaft in Deutschland bleiben?

Wir haben Herrn Nawalny und seine Frau hier aus humanitären und medizinischen Gründen aufgenommen. Sie sind auch weiterhin eingeladen, unsere Gäste zu sein.

In Belarus geht Diktator Lukaschenko nach der gefälschten Wahl weiter mit Gewalt gegen die Demonstranten vor. Was muss passieren?

Lukaschenko muss endlich bereit sein zum Dialog. Ich fordere von Lukaschenko, dass er mit der Opposition verhandelt, dass die Wahl wiederholt wird, dass Lukaschenko sofort damit aufhört, friedliche Demonstranten einzusperren und zu misshandeln, dass er die Menschenrechte und die Pressefreiheit achtet. Wir erkennen als Europäische Union die Wahl nicht an und haben Sanktionen beschlossen. Diese setzen wir jetzt um. Wenn Lukaschenko nicht reagiert, wird es weitere Sanktionen geben.

Sie haben in dieser Woche den chinesischen Außenminister getroffen. Wie gefährlich ist China angesichts der Menschenrechtsverletzungen und dem Bekämpfen der Hongkonger Demokratiebewegung?

Wir müssen Missstände deutlich ansprechen. Und das tun wir als EU auch. Die Zeiten, in denen China andere mit Bedrohungen überziehen und auf diese Art und Weise mundtot machen konnte, sind vorbei. Ich habe meinem chinesischen Kollegen bei unserem Treffen in dieser Woche klar gesagt, dass die Europäische Union souveräner und selbstbewusster auftreten wird - auch gegenüber China. Wir wollen ein gutes Verhältnis zu China, allerdings auf Augenhöhe und mit Respekt.

US-Präsident Donald Trump ruft seine Wähler zum doppelt Wählen per Brief und im Wahllokal und damit zum Wahlbetrug auf. Ist die Wahl gefährdet?

Wir haben den USA unglaublich viel zu verdanken und sie bleiben einer unser engsten Partner. Aber: Ja, es ist verstörend, dass ein amerikanischer Präsident glaubt, so etwas nötig zu haben. Ich setze auf die Vernunft und den gesunden Menschenverstand der Amerikaner, damit der ruchlose Versuch scheitert, Zweifel an der Gültigkeit der Wahl zu sähen, um später womöglich eine Wahlniederlage nicht zu akzeptieren.

Wie bewerten Sie die Proteste gegen Rassismus in den USA?

Gerade als Deutsche sollten wir zunächst mal unsere eigenen Probleme mit strukturellem Rechtsextremismus klären und nur sehr vorsichtig über Rassismus in anderen Ländern urteilen. Vielen Verantwortlichen aus beiden politischen Lagern in den USA ist es gelungen, die Rassismusprobleme, die es dort seit Jahren gibt, sehr klug zu benennen. Die Amerikaner erwarten zu Recht von ihrem Präsidenten, dass er kein Öl ins Feuer gießt, sondern die schwerwiegenden Konflikte in der amerikanischen Gesellschaft Stück für Stück auflöst. Leider ist jedoch zu befürchten, dass im Wahlkampf die Auseinandersetzungen weiter angeheizt werden. Es wird die große Aufgabe des nächsten Präsidenten, Amerika wieder zu versöhnen.

Wie ungerecht sind die Reisewarnungen? Auf Mallorca gibt es nur in Palma sehr viel Corona-Infektionen, nicht aber im Rest der Insel.

Wer nach Mallorca will, muss in der Regel über Palma einreisen. Wir können nicht davon ausgehen, dass in den Urlaubsländern betroffene Orte hermetisch abgeriegelt werden und sich die Leute nur genau dort aufhalten, wo es gerade mal sehr wenige Infektionen gibt. Deshalb können die Reisewarnungen nur für ganze Regionen oder Länder ausgesprochen werden. Insofern ist das auch nicht ungerecht, sondern leider nötig. Wir reagieren immer gemeinsam mit den Urlaubsländern, die ja vor Ort selbst auch Corona-Maßnahmen ergreifen. Bis zu 40 Prozent der Neuinfektionen derzeit sind Touristen, die aus einem Auslandsurlaub zurückkommen.

Interview: Angelika Hellemann und Thomas Block

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