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Syrien: „Die Verantwortlichen sollen vor Gericht“

19.09.2013 - Interview

Außenminister Westerwelle im Interview zur aktuellen Situation in Syrien. Erschienen in der deutschsprachigen Ausgabe der türkischen Tageszeitung Hürriyet am 19. September 2013.

Außenminister Westerwelle im Interview zur aktuellen Situation in Syrien. Erschienen in der deutschsprachigen Ausgabe der türkischen Tageszeitung Hürriyet am 19. September 2013.

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Wenn Sie jeden Tag die Akten auf Ihren Schreibtisch bekommen, welche Akte liegt zur Zeit ganz oben?

Syrien. Es besorgt mich sehr, dass Russland so lange seine schützende Hand über das Regime in Damaskus gehalten hat. Gestern haben die Chemiewaffeninspektoren der Vereinten Nationen bestätigt, dass in Syrien fürchterliche Chemiewaffen tatsächlich eingesetzt wurden. Jetzt sollte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Internationalen Strafgerichtshof anrufen, damit die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Wissen Sie schon, wer die Täter sind?

Die Indizien sprechen dafür, dass die Verantwortung für die Giftgasangriffe beim Assad-Regime liegt. Der internationale Strafgerichtshof ist die dafür berufene neutrale Instanz. Er sollte jetzt seine Arbeit aufnehmen können. Dafür muss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen grünes Licht geben.

Muss es erst zum Gebrauch von Chemiewaffen kommen, damit der Internationale Strafgerichtshof einschreitet?

Der Bürgerkrieg ist schrecklich und hat furchtbare Opfer gefordert, über 100.000 Tote, Millionen Flüchtlinge. Aber nicht alle, die auf Seiten der Opposition kämpfen, stehen wirklich auf unserer Seite. Die Tatsache, dass ein Terrorrist gegen Assad kämpft, macht ihn nicht zu unserem Freund. Der Einsatz von chemischen Waffen ist ein zivilisatorisches Verbrechen; das ist im 21. Jahrhundert zum ersten Mal geschehen. Wenn wir dagegen nicht mit den Möglichkeiten des internationalen Rechts vorgehen, ist die Gefahr groß, dass andere es nachahmen.

Sehen Sie eine Lösung ohne Assad?

Diese Frage stellt sich auf der zweiten Genfer Konferenz, die den Weg in eine politische Lösung weisen soll. Die erste Genfer Konferenz hat die Richtung vorgegeben. Eine syrische Übergangsregierung mit echten exekutiven Befugnissen, echter Regierungsgewalt und zusammengesetzt im Konsens der Konfliktparteien. Manche glauben immer noch, eine militärische Lösung sei möglich. Ich glaube das nicht. Am Ende einer militärischen Lösung wird es nur mehr Terror und einen zerfallenen Staat geben. Es werden Bewaffnete in den Untergrund gehen, unabhängig davon, wer den Bürgerkrieg gewinnt. Es wird neuer Terror entstehen. Und dieser Terror wird die Türkei bedrohen und auch uns in Mitteleuropa. Das ist meine ernste Sorge. Wir sehen manches davon schon am Beispiel Irak.

Was wird passieren, wenn Assad nicht freiwillig geht?

Russland hat viel zu lange das Regime von Assad unterstützt. Aber jetzt gibt es wieder eine kleine Chance für eine politische Lösung. Dieses Momentum, diese Gelegenheit müssen wir nutzen. Nächste Woche bereits kommt die internationale Gemeinschaft in New York bei der UN-Vollversammlung zuammen. Dort braucht der politische Prozess einen neuen Schwung. Das ist auch der Grund, warum ich schon am Tag nach der Bundestagswahl nach New York reisen werde.

Es gibt Kritik, dass die Einigung der beiden Außenminister in Genf eigentlich Zeit für das Überleben von Assad geben haben. Teilen Sie diese Meinung?

Ich glaube nicht an eine militärische Lösung. Und deswegen begrüße ich die Bewegung, die in Genf entstanden ist.

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Wie beurteilen Sie die Syrien-Politik von Erdogan?

Wir sind Partner auf Augenhöhe, auch NATO-Partner. Wir stimmen uns engstens ab. Aber natürlich ist die Lage für die Türkei vor dem Hintergrund der vielen Flüchtlinge aus Syrien anders. Je größer der militärische Konflikt in Syrien wird, je länger in Syrien gekämpft wird, desto mehr Menschen werden auch in die Nachbarländer fliehen. Ich habe allergrößten Respekt für die Aufnahmebereitschaft in der Türkei für die Flüchtlinge aus Syrien.

Die USA wollten militärisch eingreifen. Aber dann hat der Außenminister Kerry in London gesagt, dass wenn Syrien seine Chemiewaffen vernichtet, ein Angriff nicht nötig ist. Hat Kerry sich da versprochen?

Wir haben schon in den Tagen zuvor, beim G20-Treffen in Sankt Petersburg und beim Treffen der europäischen Außenminister in Vilnius, sehr intensiv über mögliche Lösungen für das Unschädlichmachen der syrischen Chemiewaffen gesprochen. Die Öffentlichkeit war überrascht, aber die Diplomaten hatten das schon seit einiger Zeit im Gespräch. Außenminister Kerry hat dann in London den richtigen Zeitpunkt gesehen, vielleicht auch etwas spontan. Eine Woche später haben wir vernünftige Ergebnisse in Genf, unter Mitwirkung von Russland.

Die Spanier und Griechen haben ein besonderes Augenmerk auf die Bundestagswahlen. Weil Deutschland das stärkste Land in der EU ist, gleichzeitig auch das stärkste NATO-Mitglied. Sowohl die Griechen als auch die Spanier fragen sich, ob Deutschland weiter helfen wird.

Deutschland hat Garantien in Höhe von einem nationalen Jahresbudget übernommen. Das ist vorbildliche europäische Solidarität. Aber Geld alleine löst das Problem nicht. Die Türkei hat es vorgemacht, wie es geht: Wenn man beherzt Reformen anpackt, wenn man sich den neuen Zeiten der Globalisierung anpasst, wenn man bereit ist, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, dann erreicht man vieles: Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitsplätze, steigende Löhne und mehr Wohlstand. Deswegen ist es ein Kernanliegen meiner Politik, dass wir nicht in die alte Schuldenpolitik zurückfallen. Die Länder in Europa, die zu viel Schulden gemacht haben, erleben heute Massenarbeitslosigkeit und schlimmer noch: hohe Jugendarbeitslosigkeit. Schuldenpolitik bringt Massenarbeitslosigkeit. Wer investiert schon in einem Land, dass überschuldet ist? Deswegen führt kein Weg daran vorbei, dass der begonnene Kurs der Reformen in ganz Europa konsequent fortgesetzt wird. Ich erinnere mich gut, wo die Türkei vor 15 Jahren stand. Und wo steht sie heute? Das geht nur mit harter Arbeit, Disziplin und mit Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Hürriyet.

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