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„Rückblick auf die deutsche Präsidentschaft“ - Rede des Bundesaußenministers anlässlich der Botschafterkonferenz im ungarischen Außenministerium

30.07.2007 - Rede

-Es gilt das gesprochene Wort-

Sehr geehrte Frau Außenministerin, liebe Kinga,
sehr geehrte Botschafterinnen und Botschafter,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

nichts ist so langweilig wie der Schnee von gestern, und kaum etwas hat man so schnell vergessen wie eine zurückliegende Präsidentschaft. Und tatsächlich: Es ist kaum zu glauben, wie schnell die Erinnerung an die zahllosen Drittstaatentreffen verblasst, an die vielen Räte, denen man vorgesessen hat, an die Nachtsitzungen der Gipfel, kurz: an die Hektik und Faszination, die eine europäische Präsidentschaft ausmacht.

Und noch ist die Tinte nicht trocken auf dem letzten Coreu, das man verschickt hat, da kämpft eine neue Präsidentschaft schon mit der nächsten Krise.

Der rotierende Vorsitz in der EU ist schnelllebig, und man sollte nicht zu viel Zeit darauf verwenden, den Erfolgen eines halben Jahres nachzuhängen. Denn notwendigerweise ist nach 6 Monaten nicht alles beendet, sondern vieles begonnen und wenig vollendet. Und neue Aufgaben verlangen wieder nach neuen kreativen europäischen Lösungen.

Bevor ich dennoch einen kleinen Rückblick wage, eines vorab: Ungarn wird die Präsidentschaft im Jahre 2011 übernehmen, und meine Botschaft an Sie ist: Freuen Sie sich auf diese Zeit! Freuen Sie sich auf die Gestaltungsmöglichkeiten. Ich bin mir sicher, Sie werden sie gut nutzen, um das europäische Haus weiterzubauen.

Sehr geehrte Frau Außenministerin, liebe Kinga,

ich danke Dir für diese Einladung nach Budapest. Als Minister vor den Botschaftern eines befreundeten Landes zu sprechen – das zeigt, wie nahe und vertraut uns Europa geworden sind. Als deutscher Minister vor ungarischen Botschaftern – das ist ein schönes Symbol, wie sehr wir die künstliche Spaltung unseres Kontinents überwunden haben.

Uns Deutsche und Ungarn verbindet eine lange, gemeinsame und wechselvolle Geschichte. Eine Geschichte, die uns nicht aber nicht nur verbindet, sondern auch verpflichtet. Peter Esterhazy hat das für die Literatur einmal so formuliert: „Die Funktion der Literatur kann dabei helfen, dem Vergessen eine Erinnerung entgegenzusetzen“. Und ich möchte hinzufügen: gerade wir, die wir in der Außenpolitik Verantwortung tragen, sollten unseren Beitrag zu einer tätigen Erinnerung leisten. Denn wir erfahren doch tagtäglich, wie sehr unsere aktuellen Diskussionen bestimmt sind von dem, was in der Vergangenheit geschehen, aber noch heute gegenwärtig ist.

Und so möchte ich Ihnen heute als deutscher Außenminister sagen: Dass wir in Deutschland und dass wir in Europa heute die süße Luft der Freiheit atmen, das verdanken wir auch den mutigen Menschen in Budapest und ganz Ungarn, die sich 1956 gegen die sowjetischen Panzer auflehnten und die 1989 als erste die Grenzen öffneten und damit im wörtlichen Sinne die Mauer zum Einsturz brachten, die Europa teilte.

Seien Sie versichet, niemand in Deutschland und in ganz Europa wird diesen 10. September 1989 vergessen – den Tag, als zum ersten Mal die Schlagbäume des kalten Krieges fielen.

Ungarn hat seither einen weiten Weg in das vereinte Europa zurückgelegt. Einen Weg, der angesichts der großen Anstregungen und vielen Mühen wohl manchmal endlos erschien – und der doch dahin führte, wo Ungarn eigentlich schon immer war: in das Herz Europas.

Das hat auch das deutsch-ungarische Verhältnis befruchtet. Natürlich war der Balaton war schon immer ein beliebtes Reiseziel für Deutsche aus Ost und West. Dennoch begegnen sich Ungarn und Deutsche (und Österreicher) heute in einer Intensität und Dichte, wie es sie wohl selbst in Zeiten der Doppelmonarchie kaum gegeben hat. Unser bilateraler Handel hat Zuwächse um die 15 Prozent. Deutsche Unternehmen liegen vorn bei den Investitionen. An der deutschsprachigen Andrássy-Universität studieren junge Deutsche und Ungarn gemeinsam, das Thomas-Mann-Gymnasium hier in Budapest erfreut sich einer regen Nachfrage.

Solche Kontakte zwischen den Menschen unserer beiden Länder zu leben und zu gestalten, das ist die Essenz unserer bilateralen Beziehungen!

Und dass Außenministerin Göncz und ich im Anschluss ein Abkommen über Beamtenaustausch und Verwaltungszusammenarbeit unterzeichnen – das ist nur ein weiterer Beweis für die Selbstverständlichkeit und Nähe, die unser Verhältnis prägt. Das gilt ebenso für die ungarische Gesandte, die in Kabul unter dem Dach der deutschen Botschaft arbeitet, oder die 15 deutschen Botschaften, die – im Rahmen des Schengen-Abkommens – ab 2008 auch ungarische Staatsangehörige konsularisch vertreten.

Meine Damen und Herren,

wo stehen wir in Europa nach der deutschen Ratspräsidentschaft?

Es sind viele Bilanzen gezogen worden. Ich will das nicht in allen Details nachzeichnen. Eines vor allem ist mir wichtig: Gemeinsam haben wir es geschafft, Europa neuen Schwung zu verleihen. Das wird besonders deutlich, wenn wir uns noch einmal die Situation vor Augen führen, vor der wir vor einem Jahr standen. Sie haben sicherlich, genau wie ich, noch all die Reden in den Ohren, die Europa den „kranken Mann der Globalisierung“ nannten, die Reden über die sogenannte „Europa-Malaise“, die Reden über eine Europäische Union, die Gefahr laufe, die Entwicklungen und Chancen in einer sich immer schneller verändernden Welt zu verschlafen.

Nun, von einer Europa-Euphorie sind wir auch heute noch weit entfernt. Aber ein wenig mehr Europa-Zuversicht verspüren wir doch. Und ich möchte vier Aspekte nennen, die für den – lassen Sie mich das in aller Vorsicht so formulieren – Aufbruch stehen, den wir gemeinsam zu Wege gebracht haben.

Erstens, wir haben die Menschen zurückgeholt ins europäische Projekt. Die Stimmung hat sich gedreht.

Zweitens haben wir gezeigt, dass die EU auch zu 27 noch handlungsfähig ist und dass sie in der Lage ist, geschlossen zu agieren.

Drittens: Wir haben gezeigt, dass die Union bei wichtigen Themen eine Vorreiterrolle in der Welt übernehmen kann.

Und, viertens, es ist uns gelungen, die Weichen zu stellen für erneuerten Arbeitsgrundlagen der EU, für eine Reform der Verträge, die uns zukunftsfähig macht.

Zum ersten Punkt, der gewandelten Stimmungslage: Das war eines unserer wichtigsten Ziele. Wir wollten die Vertrauenskrise in der EU überwinden. Einen Zustand, in dem viele Menschen sich einfach abgehängt fühlten vom europäischen Prozess.

Auch hier, bleiben wir realistisch: Das „Lateinisch“ der Ratsitzungen, die komplizierten Geschäftswege und die verschlungenen Verfahren in Brüssel, das alles reißt die Menschen in unseren Ländern nach wie vor noch nicht vom Stuhl. Aber wenn ich mir die Schlagzeilen der großen europäischen Tageszeitungen ansehe, so scheint mir: es hat sich etwas getan. Ging vor einem Jahr die Kontroverse darüber, wie gestaltungs-ohnmächtig die EU ist, so wird heute, durchaus ebenso kontrovers, darüber debattiert, welche Gestaltungs-möglichkeiten wir haben.

Und die jüngsten Zahlen des Eurobarometers sprechen für sich: Die Zustimmungsrate zur EU ist europa-weit so hoch wie schon lange nicht mehr. Ein, wie ich finde, sehr ermutigender Befund!

Zum zweiten Punkt, Handlungsfähigkeit und Geschlossenheit: Lassen Sie mich das an zwei Beispielen demonstrieren.

Beispiel 1: Nahost. Wir haben die EU als ernstzunehmenden Akteur zurückgebracht in den Nahostfriedensprozess. Wir haben demonstriert, was möglich ist, wenn wir verantwortungsvoll und geschlossen agieren. Es ist doch vor allem unserem europäischen Bemühen zu danken, dass das Nahost-Quartett wieder aktiv ist.

Gerade hier sehen wir aber auch, dass es ein stetes Ringen ist, einmal wiedergewonnene Handlungsfähigkeit zu bewahren. Immer wieder stehen wir vor der Frage, bei jeder Erklärung, bei jeden Ratsschlussfolgerungen: wollen wir eine deklaratorische Diplomatie des erhobenen Zeigefingers, oder wollen wir das Vertrauen der Konfliktparteien vertiefen, um für die Menschen, für den Frieden etwas zu bewegen.

Beispiel 2: Kosovo. Ich muss hier in Ungarn niemandem etwas über die Probleme des Westlichen Balkans erzählen. Aus direkter Nachbarschaft wissen Sie das alles im Zweifel sehr viel besser als ich, genauso wie Sie aus direkter Erfahrung mit der Minderheitenproblematik vertraut sind. Sie haben alle verfolgt, welche Mühe es gekostet hat, die Einigkeit der EU zum Thema Kosovo zu halten.

Dass dies bisher gelungen ist, halte ich für einen großen Erfolg. Ich wünsche mir, dass wir daraus die Kraft ziehen, den anstehenden schwierigen Entscheidungen mutig, entschlossen und geschlossen ins Auge zu sehen. Ich glaube, wir haben da in den vergangenen Tagen einen guten Schritt nach vorne getan. Indem wir nach dem vorläufigen Ende der Bemühungen in New York, den Einstieg in einen nochmaligen ernstgemeinten und glaubhaften Verhandlungsprozess, unter Einbeziehung auch Russlands möglich machen wollen.

Zum dritten Punkt, Vorreiterrolle bei Zukunftsthemen: Ich meine hier vor allem die wegweisenden Klima- und Energiebeschlüsse beim Frühjahrsgipfel. Wieviel Skepsis gab es da im Vorfeld: Es werde sowieso nicht gelingen, sich auf feste Ziele zu verständigen.

Am Ende standen nicht nur feste, sondern auch verbindliche Reduktionsziele. Keinem Mitgliedsstaat fiel es leicht, diese Verpflichtungen einzugehen. Am Ende gab der gemeinsame europäische politische Wille den Ausschlag. Und eines steht fest: ohne das beispielhafte Vorangehen der EU wäre die Einigung beim G8-Gipfel nicht möglich gewesen, eine Folgevereinbarung zum Kyoto-Protokoll unter dem Dach der Vereinten Nationen anzustreben.

Zum vierten Punkt, erneuerte Arbeitsgrundlagen: ich erinnere mich noch gut, wie im Juni 2006 der Arbeitsauftrag an die deutsche Präsidentschaft formuliert wurde. Ein „Fahrplan“ sollte entwickelt werden, um den Prozess der Vertragsreform wiederzubeleben. Ich erinnere mich noch genau, wie viele fragten: wie soll das möglich sein? In einer Situation, wo einigen die Verfassung viel zu weit zu gehen schien, gleichzeitig andere aber meinten, sie greife deutlich zu kurz.

Dass wir dort stehen, wo wir heute stehen, das hätten doch nur kühne Optimisten für möglich gehalten!

Wir haben einen exakten Fahrplan, wir haben aber noch viel mehr: Wir haben eine genaue inhaltliche Festlegung, wie die erneuerten Arbeitsgrundlagen aussehen sollen. Es ist uns gelungen, im Mandat für die Regierungskonferenz die wesentliche Substanz des Verfassungsvertrags zu erhalten.

Meine Damen und Herren: die Nacht beim Gipfel, die uns schließlich zu diesem Ergebnis führte, war quälend lang. Letztlich war es aber eine gute Nacht für Europa!

Die portugiesische Präsidentschaft hat den Ball zügig aufgenommen. Vor einer Woche wurde die Regierungskonferenz feierlich eröffnet. Nun geht es darum, die inhaltliche Einigung schnell in eine rechtsfeste Form zu gießen. Ich hoffe sehr, dass es – wie geplant – gelingt, den Prozess noch in diesem Jahr zum Abschluss zu bringen.

Wenn wir die erneuerten Verträge bekommen, dann wird sich das Arbeitsumfeld auch für europäische Diplomaten sehr ändern. An die Seite der nationalen Dienste tritt dann ein starker Europäischer Auswärtiger Dienst. In meinen Augen ein Quantensprung, was die außenpolitische Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit Europas betrifft. Und wer weiß, vielleicht treffe ich ja den einen oder anderen von Ihnen in ein paar Jahren bei einer Botschafterkonferenz der EU-Botschafter?

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

es gibt eine Reihe von Themen, die ich jetzt nicht behandelt habe: so unser gemeinsames Engagement in Afghanistan, die Beziehungen der EU zu Russland, der Ausbau der europäischen Nachbarschaftspolitik, die Beziehungen zur Ukraine oder zu Zentralasien – um nur einige zu nennen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie das eine oder andere besonders interessiert, und biete an, dass wir es im Gespräch vertiefen.

Zunächst erst einmal möchte ich mit einem Zitat des berühmten ungarischen Schriftstellers und großen Europäers György Konrád schließen. Der hat gesagt, als ihm 2001 der Karlspreis verliehen wurde: „Die Herausbildung einer europäischen Nation am Ende des zweiten Jahrtausends ist nicht weniger bedeutsam als die Entstehung des christlichen Europas ausgangs des ersten Jahrtausends. Europa ist ein Prozess, eine Aktion, eine Unternehmnung, etwas, das in Bewegung ist“.

In der Tat: Europa braucht einen schöpferischen Prozess, es lebt davon, dass wir es tätig weiter entwickeln.

Lassen Sie uns dieses Europa gemeinsam in Bewegung halten!

Ich danke Ihnen und freue mich auf das Gespräch.

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