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„Antisemitismus ist eine Gefahr für unsere gesamte Gesellschaft!“

Staatsminister Michael Roth mit Zvi Aviram (rechts von ihm) und Anne-Frank-Botschafterinnen und -Botschaftern im Europasaal des Auswärtigen Amts

Staatsminister Michael Roth mit Zvi Aviram (rechts von ihm) und Anne-Frank-Botschafterinnen und -Botschaftern im Europasaal des Auswärtigen Amts, © AA

01.08.2018 - Rede

Beim Zeitzeugengespräch mit dem Holocaust-Überlebenden und Widerstandsaktivisten Zvi Aviram betont Michael Roth die besondere Verantwortung Deutschlands.


-- es gilt das gesprochene Wort --

„Mit dem Mut der Verzweiflung“: Der Titel Ihres Buches, lieber Herr Aviram, lässt nur ahnen, welch emotionale Last Sie getragen haben müssen, als Sie zwischen 1943 und 1945 im Berliner Untergrund Widerstand gegen das Terrorregime der Nationalsozialisten leisteten.

Der Mut, den Sie in sehr jungen Jahren unter Beweis gestellt haben, inspiriert Jugendliche auch heute noch. Es ist uns daher eine Ehre, Sie hier im Auswärtigen Amt begrüßen zu dürfen und Ihrer Geschichte zu lauschen, die auch den jungen Anne-Frank-Botschafterinnen und -Botschaftern aus aller Welt Inspiration sein wird.

Als Sechzehnjähriger traten sie dem „Kreis der Pioniere“ bei, einer Gruppe, die anderen im Untergrund lebenden Juden half, zu überleben und teilweise auch aus Nazideutschland zu fliehen. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben Sie sich aktiv für Holocaust-Überlebende engagiert.

Ich habe gelesen, dass Sie auf Ihrem Weg Halt gemacht haben in Bad Hersfeld, meiner Heimatstadt, wo es Ihnen gelang, für einige schwer kranke Überlebende eine Überführung aus der sowjetischen in die amerikanische Besatzungszone zu erwirken. Leider waren in Bad Hersfeld die Voraussetzungen für eine angemessene Versorgung nicht gegeben, und so setzten Sie sich solange für bessere Verhältnisse ein, bis die Patienten ins Krankenhaus im Aufnahmelager Sankt Ottilien gelangten.

Aber Sie sind heute hier, um Ihre Geschichte zu erzählen, deswegen werde ich nicht weiter ins Detail gehen. Unterstreichen möchte ich, wie dankbar wir sind, dass Sie Deutschland weiterhin eng verbunden bleiben und offen über die dunkelsten Kapitel Ihres Lebens sprechen, auch wenn dies sicher sehr schmerzhaft ist. Der Weg der Versöhnung ist lang und steinig. Es bedeutet uns viel, dass Sie als Zeitzeuge uns die Hand reichen.

Es ist uns eine Ehre, dass Sie hier bei uns im Auswärtigen Amt sind. Auch wenn unser Haus nicht an seinem ursprünglichen Platz steht, so stehen wir doch in der Tradition der Einrichtung. Das damalige Auswärtige Amt war frühzeitig über das Ausmaß der nationalsozialistischen Umtriebe im Bilde und an der systematischen Vernichtung der europäischen Juden beteiligt. Als Auswärtiges Amt müssen wir uns dieser Vergangenheit stets aufs Neue stellen.

Aufgrund seiner historischen Verantwortung für den Holocaust bekämpft Deutschland Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie, Rassismus und alle anderen Formen der Diskriminierung von Minderheiten und wird dies auch weiterhin tun. Niemand sollte im Jahr 2018 seines Glaubens, seiner Herkunft oder seiner sexuellen Identität wegen in Angst leben müssen. Für die Bundesregierung ist das ganz sicher keine Routineangelegenheit, es ist vielmehr eine wichtige politische Priorität.

Aber uns ist auch klar, dass Politiker und Regierungen allein den Antisemitismus nicht bekämpfen können. Er betrifft uns alle – nicht nur die Regierenden! Jeder Einzelne von uns kann dazu beitragen, Antisemitismus zu bekämpfen und Vorurteile gegenüber Menschen jüdischen Glaubens zu entlarven. Dabei verlassen wir uns in starkem Maße auf die Partner aus der Zivilgesellschaft, unter ihnen das Anne-Frank-Zentrum mit seinem Netzwerk junger Botschafter.

Liebe Anne-Frank-Botschafterinnen und -Botschafter,

ich danke euch, dass ihr an diesem Programm in Berlin teilnehmt, um über die Ereignisse jenes schicksalhaften Jahres 1938 zu sprechen und ihre Bedeutung für die Gegenwart zu erörtern.

Es ist traurig, aber wahr: In der jungen Generation schwindet das Wissen um den Holocaust. Politiker der extremen Rechten sitzen in unseren Volksvertretungen und stellen sich öffentlich die Frage, ob wir uns nicht zu viel mit der Nazizeit befassen und ob wir Mahnmale zur Erinnerung an den Holocaust überhaupt brauchen. Das ist eine Schande, und wir müssen alles in unserer Machte Stehende tun, um dieser schrecklichen Entwicklung Einhalt zu gebieten.

Seit kurzem müssen wir eine neue Welle des Antisemitismus überall in Europa und auch in Deutschland erleben. Es spielen sich Szenen ab, von denen wir dachten, dass wir sie in Europa nie wieder erleben würden. Ich möchte unmissverständlich klarmachen: Antisemitismus bedroht nicht nur die jüdischen Gemeinden – er bedroht unsere Gesellschaft als Ganzes. Er ist durch nichts gerechtfertigt, weder in Deutschland noch irgendwo sonst auf der Welt.

Es ist jetzt wichtiger denn je, dass junge Menschen wie ihr bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und ihren Altersgenossen die Lehren der Vergangenheit weiterzugeben.

Hier im Auswärtigen Amt treffe ich fast täglich Botschafter. Ich kann euch versichern, dass das, was ihr tut, um für die Rechte von Minderheiten einzustehen und Hass und Diskriminierung in euren Gemeinden zu bekämpfen, genau so wichtig ist wie das, was sie tun.

Ihr habt heute die seltene Gelegenheit, die Geschichte von Zvi Aviram zu hören und ihm Fragen zu stellen. Nur noch wenige Jahre, dann werden junge Menschen keine Möglichkeit mehr haben, einen Überlebenden persönlich zu treffen.

Ich ermutige euch daher, nicht nur ein Anne-Frank-Botschafter zu sein, sondern auch ein Botschafter für Zvi Aviram zu werden und eure Altersgenossen mit seiner Geschichte und seinem Mut zu inspirieren. Danke für euren Einsatz! Wir alle sind stolz auf euch!

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