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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth beim Menschenrechtsempfang im Lichthof des Auswärtigen Amts

19.12.2017 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrte Damen und Herren,

dieses kleine Büchlein hier enthält ein ganz großes Versprechen. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, so lautet der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Für mich ist das auch nach 69 Jahren immer noch einer der wichtigsten und klangvollsten Sätze, der jemals aufgeschrieben worden ist.

Seit 1948 feiern wir jedes Jahr am 10. Dezember den Internationalen Tag der Menschenrechte. Wir tun das heute hier im Auswärtigen Amt mit ein paar Tagen Verspätung, aber dennoch aus voller Überzeugung und mit vielen wunderbaren Gästen.

Ich freue mich, dass heute so viele engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter gekommen sind, die sich für die Universalität der Menschenrechte, für ein wertebasiertes Europa, für Respekt und Toleranz einsetzen. Danke für Ihren großartigen Einsatz im Dienste der Menschenrechte!

Ganz besonders möchte ich unseren heutigen Ehrengast aus Schweden willkommen heißen: Ann Linde, die schwedische Ministerin für Europa und Handel. Schweden war in Sachen Menschenrechte seiner Zeit schon immer ein Stückchen voraus. Denn es war 1766 das erste Land weltweit, das die Pressefreiheit eingeführt hat.

Und auch heute, liebe Ann, seid Ihr in Schweden immer noch Vorreiter und Vorbild. Die sozialdemokratisch geführte Regierung, der Du angehörst, bezeichnet sich selbst stolz als „erste feministische Regierung der Welt“. Da kann ich auch als Mann nur anerkennend sagen: Chapeau! Davon bräuchten wir noch viel, viel mehr!

Seit 1948 haben wir viel erreicht, um die Achtung der Menschenrechte weltweit durchzusetzen. Doch auch nach fast sieben Jahrzehnten ist das große Versprechen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte leider noch nicht überall eingelöst worden. Unser gemeinsames Engagement für die Menschenrechte bleibt also auch weiter dringend geboten.

Fast überall, wo ich hinreise, treffe ich mich mit Vertreterinnen und Vertretern von Minderheiten – seien es geflüchtete Menschen, Mitglieder der jüdischen Gemeinde, Sinti und Roma oder LGBTI. Und sie alle berichten mir: Immer noch werden an viel zu vielen Orten dieser Welt Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, ihres Geschlecht oder ihrer sexuellen Identität diskriminiert. Immer noch erfahren viel zu viele Menschen Ablehnung, Ausgrenzung, Hass und Gewalt.

Auch während wir hier heute Abend zu diesem Empfang zusammenkommen, wird die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an vielen Orten verletzt. Unsere Botschaft ist klar: Jede einzige Verletzung der Menschenrechte ist eine zu viel. Es muss gelten: null Toleranz gegenüber den Intoleranten! Null Toleranz gegenüber Antisemitismus, Homophobie, Antiziganismus, Rassismus und Nationalismus!

Bisweilen erscheint es wie ein Wettlauf: Einerseits haben wir heute auf der ganzen Welt stärkere, selbstbewusstere und besser vernetzte Zivilgesellschaften als jemals zuvor. Gleichzeitig werden jedoch die Versuche, Menschenrechtsaktivisten und kritische Journalisten zum Schweigen zu bringen, immer perfider und ausgeklügelter.

Eigentlich hat der Staat die Pflicht, die Achtung der Menschenrechte zu garantieren und diejenigen zu schützen, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Toleranz, für eine lebendige Demokratie und eine vielfältige Gesellschaft einsetzen. Leider sieht die Wirklichkeit oft anders aus. Denn in vielen Ländern sind es gerade staatliche Akteure, von denen massive Menschenrechtsverletzungen ausgehen.

Diese Entwicklungen sehe ich mit Sorge in einer Vielzahl von Autokratien, aber durchaus auch in Demokratien. Ja, selbst in einigen Mitgliedstaaten der EU sehen wir leider entsprechende Tendenzen, die gegen unsere gemeinsamen Grundwerte verstoßen. Hier dürfen wir nicht wegschauen! Wir müssen dagegenhalten! Diejenigen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, brauchen unsere Solidarität und unsere Unterstützung für ihre mutige Arbeit.

Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern engagiert sich die Bundesregierung auf vielfältige Art und Weise für den Schutz der Menschenrechte weltweit: Wir tun dies bilateral, in politischen Gesprächen, in Menschenrechtsdialogen und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit vielen NGOs in aller Welt. Und wir tun dies in den multilateralen Gremien wie den Vereinten Nationen, dem Europarat und der OSZE.

Bei unserer Menschenrechtspolitik nutzen wir den ganzen Instrumentenkasten: Mal mit deutlichen öffentlichen Worten, die Missstände klar benennen und notfalls auch Sanktionen nach sich ziehen. Und in anderen Fällen suchen wir eher das direkte Gespräch hinter verschlossenen Türen. Wir gehen dabei stets so vor, wie es die besondere Lage erfordert und wir den Betroffenen am besten helfen können. Denn unser oberster Leitsatz ist: Wir wollen denjenigen, die wir vor Menschenrechtsverletzungen schützen wollen, keinen Schaden zufügen.

Aber eines ist auch klar: Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechts-ministerium. Aber wir sind nicht Amnesty International! Uns darf es nicht vorrangig darum gehen, mit plakativen Kampagnen und Aktionen möglichst viel öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Auch das ist wichtig. Opfern von Menschenrechtsverletzungen nachhaltig zu helfen, gelingt aber eben nur selten mit dem Lautsprecher, sondern vielmehr im vertraulichen Gespräch.

Und dafür müssen wir auch mit den schwierigen Staaten im Gespräch bleiben – mit China, Iran, Saudi-Arabien oder auch der Türkei. Beziehungen abbrechen, Reisen absagen und Belehrungen über die heimischen Medien erteilen – wer glaubt, dass Außenpolitik so funktioniert, der irrt. Wenn wir etwas bewirken wollen, wenn wir tatsächlich politische Prozesse anstoßen wollen, dann gelingt das nur, wenn wir miteinander reden. Und das tun wir.

Auch Du, liebe Ann Linde, kannst davon ein Lied singen: Im Februar 2017 bist Du mit einer schwedischen Regierungsdelegation zur Unterzeichnung mehrerer Handelsabkommen in den Iran gereist. Damals gab es heftige Kritik, weil Du und andere weibliche Delegationsmitglieder bei den offiziellen Terminen Kopftuch getragen haben. Prompt hieß es, die schwedische Regierung beuge sich den Regeln eines frauenfeindlichen Regimes und opfere die Prinzipien ihrer Menschenrechtspolitik.

Du hast damals öffentlich klargestellt, dass Du schlichtweg die geltenden Gesetze im Iran nicht brechen wolltest. Und Du hast auch deutlich gemacht, was die eigentliche Botschaft des Besuchs war: Eure 15-köpfige Delegation war mit zwölf Frauen besetzt. Auch die schwedische Botschaft im Iran wird von einer Frau geleitet. Und in allen Gesprächen hast Du die schwierige Lage der Frauen im Iran offen angesprochen.

Ein provozierter Eklat auf offener Bühne hätte vermutlich jeglichen Dialog mit der iranischen Seite unmöglich gemacht. Keiner unterdrückten Frau wäre damit geholfen worden.

Wir können unsere Werte im Ausland nur dann glaubwürdig einfordern, wenn wir sie auch zu Hause strikt achten. Es reicht eben nicht, wenn Menschenrechte nur auf dem Papier Bestand haben. Sie müssen auch im täglichen Miteinander gepflegt und verteidigt werden – auch vor der eigenen Haustür in Deutschland oder Schweden. In einer offenen, liberalen Gesellschaft ist das nicht die Kür, sondern die Pflicht – für jeden von uns. Menschenrechte sind kein generöses Geschenk, sondern eine unverhandelbare Grundlage unseres Zusammenlebens!

Und auch in westlichen Ländern gibt es noch viel zu tun! Die jüngsten antisemitischen Demonstrationen in Berlin haben mich zutiefst schockiert – gerade vor dem Hintergrund unserer wechselhaften Geschichten. Wer so etwas in Deutschland tut, der steht weder auf dem Boden unseres Grundgesetzes noch unseres Wertefundaments. Hier gilt es, mit der vollen Härte des Gesetzes zu reagieren. Antisemitismus und Hass auf Israel haben bei uns keinen Platz - weder der in islamischen oder arabischen Milieus noch der von neuen und alten Nazis.

Ebenso beunruhigt mich nach wie vor die Lage der Sinti und Roma: Heute leben in Europa zwischen acht und zwölf Millionen Sinti und Roma, davon etwa 70.000 bis 100.000 in Deutschland. Bis heute ist die größte ethnische Minderheit Europas aber eben immer noch die am meisten diskriminierte Minderheit Europas. Wer Roma ist, wird ausgegrenzt, stigmatisiert, beleidigt, seiner Würde beraubt. Das ist der Alltag – für viel zu viele.

Antiziganismus ist auch heute noch tief in unseren Gesellschaften verwurzelt – auch hier bei uns in Deutschland.

Der vielerorts offenen Diskriminierung und Stigmatisierung von Roma und Sinti müssen wir noch viel entschiedener entgegentreten. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn Menschen ohne Perspektive in ärmsten Verhältnissen und von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen leben. Unser Auftrag lautet: Wir kämpfen dafür, dass den Sinti und Roma endlich das zuteil wird, was ihnen zusteht – nämlich Würde, Achtung und die faire Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Ihr Platz ist in der Mitte und nicht am Rand unserer Gesellschaft.

LGBTI-Politik ist Menschenrechtspolitik: Homosexualität ist immer noch in etwa 80 Staaten strafbar. In einigen Staaten droht die Todesstrafe. LGBTI-Personen werden bedrängt, kriminalisiert, verhaftet, misshandelt, verschleppt und ermordet.

Auch in Europa, sogar in Deutschland erleben LGBTI in ihrem Alltag immer noch Diskriminierung, manchmal auch Gewalt. Selbst in einer so liberalen und weltoffenen Metropole wie Berlin werden schwule Paare auf der Straße körperlich angegriffen oder übelst beschimpft.

Die Lage von LGBTI in einem Land ist ein guter Indikator für die Menschenrechtslage insgesamt. Fortschritte in diesem Bereich – wie wir sie zuletzt in Lateinamerika und in den Staaten des Balkans gesehen haben – gehen oft einher mit weiteren positiven Entwicklungen in Staat und Gesellschaft.

Dagegen spitzt sich in Staaten, in denen sich die Menschenrechtslage insgesamt verschlechtert, regelmäßig auch die Situation für LGBTI zu, so etwa in den vergangenen Jahren in Russland, Ägypten und der Türkei.

Dieser Zusammenhang ist kein Zufall: Ein Staat, der sich in den privatesten Bereich seiner Bürger einmischt, der regeln will, wen man lieben darf, mit wem man zusammenleben darf, ein solcher Staat wird auch sonst keine Grenzen seiner Macht akzeptieren.

Der Einsatz für LGBTI-Rechte ist kein Thema nur für eine Minderheit. Es ist in unser aller Interesse, LGBTI-Rechte zu verteidigen und damit für uns alle eine offene Gesellschaft zu erstreiten, eine Gesellschaft, in der die Menschenrechte für alle gleichermaßen gelten, in der alle gleichermaßen rechtsstaatlich und mit Respekt behandelt werden.

Erfolge sind wichtige Etappen. Jeder dieser Erfolge wurde mühsam erstritten, von einer mutigen Zivilgesellschaft. Sie alle setzen sich mit Mut und Entschlossenheit, mit Kreativität und Leidenschaft für den Schutz der Menschenrechte ein. Sie alle haben sich im Einsatz für die Universalität der Menschenrechte verdient gemacht. Dafür danke ich Ihnen von Herzen! Viel Erfolg bei unserem gemeinsamen Ziel, das Versprechen der Menschenrechte für alle endlich Wirklichkeit werden zu lassen.

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