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Rede von Außenminister Heiko Maas bei der Eröffnung der FUTUROMA

10.05.2019 - Rede

Es war im November 1968, da sorgte ein Filmkuss für einen Aufschrei in den USA. Auf der Brücke der Enterprise küsste Captain Kirk Lieutenant Uhura. TV-Stationen im konservativen Süden weigerten sich diese Folge von Star Trek auszustrahlen.

Im vollen Bewusstsein, dass das das Aus der Serie bedeuten könnte, entschieden die Macher, die Szene zu senden – und damit ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen.

Als Kommunikationsoffizierin sorgte die dunkelhäutige Uhura auf dem Raumschiff Enterprise für die Verständigung zwischen den Welten.

Der Traum von Martin Luther King, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, sondern ihrer Persönlichkeit beurteilt würden – zumindest auf der Enterprise, in fernen Galaxien, war er Wirklichkeit geworden.

Bei Science Fiction geht es nicht nur um technologische Fortentwicklung.

Es geht auch um die Utopie einer idealen Gesellschaft, einer Welt ohne Rassismus und Diskriminierung. Eine Welt, in der Menschen unterschiedlicher Hautfarbe oder gleichen Geschlechts sich öffentlich küssen können, ohne dafür angefeindet zu werden.

Dass eine solche Selbstverständlichkeit, ein Kuss zwischen zwei Frauen, selbst hier in Italien heute noch ein virales Feuerwerk im Netz auslösen kann, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Aber es zeigt, dass wir die Errungenschaften, dass wir unsere liberale Demokratie überall verteidigen müssen. Auch hier in Europa. Nach außen, aber eben auch leider wieder häufiger nach innen.

Meine Damen und Herren,
diese Ausstellung hier trägt den Namen FUTUROMA. Und auch wenn wir heute kein Raumschiff betreten, dürfen wir uns aber trotzdem auf eine Reise durch Länder und Zeiten freuen. Eine Reise, bei der Kunst und Kultur der größten Minderheit Europas, der Roma, die Route bestimmt.

Zeitgenössische Roma Künstlerinnen und Künstler setzen sich damit auseinander, was den Roma in der Vergangenheit widerfahren ist, wo sie heute stehen und wo sie sich in der Zukunft verorten. Sie entwerfen ein Bild einer Zukunftsgesellschaft, in der Roma selbstverständlich ihren Platz haben.

Ich freue mich sehr, dass die 58. Biennale von Venedig mit dieser Veranstaltung ein Zeichen für die Sichtbarkeit der Kunst und Kultur der Roma setzt.

Dies verdanken wir ERIAC, dem Europäischen Roma-Institut für Kunst und Kultur, das FUTUROMA in Auftrag gegeben und Daniel Baker als Kurator bestellt hat.

ERIAC wurde 2017 gegründet, um Künstlerinnen und Künstler der größten ethnischen Minderheit des Kontinents zu vernetzen und Kunst und Kultur der Roma europaweit zugänglich zu machen.

Die Bundesregierung hat sich nachdrücklich dafür eingesetzt, das Institut nach Berlin zu holen, schon aufgrund unserer historischen Verantwortung.

Wir wollen aber auch ein Signal an andere europäische Regierungen senden, sich der Förderung von Kunst und Kultur der Roma stärker anzunehmen. Bis heute ist Roma-Kunst in herkömmlichen Kunstsammlungen unterrepräsentiert. Ich hoffe sehr, dass sich das auch durch Ausstellungen wie diese ändern wird.

Leitgedanke von ERIAC ist es, Identität und Selbstbewusstsein der Roma zu stärken und das Bild ihrer Kultur in der europäischen Gesellschaft mitzugestalten.

Auch in dieser Ausstellung geht es darum.
14 Künstlerinnen und Künstler aus acht Ländern im Alter zwischen 27 bis 95 erzählen ihre Geschichten.

Sie eröffnen uns ihre Perspektiven auf die Zukunft, sie berichten von ihren Wünschen und Träumen, aber auch von ihrer harten Lebensrealität und ihrer leidvollen Vergangenheit.

Meine Damen und Herren,
500.000 Sinti und Roma wurden in der Zeit des Nationalsozialismus grausam ermordet. Oder sie starben an Hunger, Entkräftung, Krankheit oder den Folgen von Folter. 500.000 Geschichten, 500.000 Schicksale, von denen wir viel zu wenige kennen.

In der Öffentlichkeit ist der Völkermord an Sinti und Roma immer noch zu wenig bekannt. Zu Recht sprechen wir vom „vergessenen Holocaust“.

Auch in Deutschland hat es bis 2012 gedauert, dass wir ein „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“ im Herzen der Hauptstadt einweihen konnten.

Doch zum Glück gibt es Menschen und Institutionen, die sich auf die Suche nach diesen Geschichten gemacht haben.

Über viele Orte, an denen Roma interniert, deportiert und ermordet wurden, ist

Gras gewachsen – bildhaft gesprochen, aber auch ganz real. Viele werden bis heute in unwürdiger Weise genutzt. Das ist eine Schande! Valérie Leray nimmt uns mit ihren Fotographien mit auf die Reise zu diesen Orten.

Nehmen wir zum Beispiel das ehemalige Konzentrationslager Lety in Tschechien, das nach der Befreiung lange – das muss man sich mal vorstellen – Standort einer Schweinemast war. Es soll nun zu einer würdigen Gedenkstätte umgebaut werden.

In der Ukraine wurden an drei Stätten von Massenerschießungen von Roma Gedenk- und Informationsorte errichtet – auf Initiative der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und mit Unterstützung des Auswärtigen Amts.

Solche Orte helfen zu erinnern. Und Zukunft braucht Erinnerung. Denn: Der Rassismus gegenüber Sinti und Roma, den besonders die Nationalsozialisten geschürt haben, ist auch nach über sieben Jahrzehnten nicht verschwunden. Ob hier in Italien oder in Deutschland – immer wieder machen Populisten Stimmung gegen Sinti und Roma.

Das beginnt bei verbaler und sozialer Ausgrenzung und reicht bis zu rassistischen Übergriffen. Und die Gesellschaft sieht viel zu oft weg. Übrigens schließt das auch Behörden ein, die diese Fälle oft nachlässig behandeln.

Ich bin froh, über die EU-Roma-Strategie 2020. Es gibt große Defizite bei der Integration von Roma bei Bildung, Beschäftigung, Wohnraum und Gesundheit. Die menschenrechtliche Lage von Sinti und Roma ist in vielen Staaten Europas unwürdig. Damit dürfen wir uns nicht abfinden!

Wir wollen diese Defizite abstellen und während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine Nachfolgestrategie voranbringen, bei der die Mitgliedsstaaten auch weiterhin für Fortschritte in ihren Ländern in die Pflicht genommen werden.

Meine Damen und Herren,
ich sprach eingangs von der Aufregung um Lieutenant Uhura, die gespielt wurde von Nichelle Nichols. Als sie schon mit dem Gedanken spielte, die Serie zu verlassen, war es ausgerechnet Martin Luther King, der sie bat zu bleiben. Nichols war eine der ersten afroamerikanischen Frauen in einer Hauptrolle. Eine der ersten Afroamerikanerinnen, die eine stereotypfreie Rolle spielte. Ein Symbol der Hoffnung. Sie blieb.

Hoffnung. Darum geht es auch bei FUTUROMA - neben all den schwierigen Themen aus Vergangenheit und Gegenwart.

Aus der Kunst und Kultur der Roma schöpfe ich Hoffnung für das Europa der Zukunft. Roma sind von jeher nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden. Ihre Wege sind jahrhundertealte Verbindungslinien zwischen den Ländern Europas. Ihre Kultur ist Teil unserer europäischen DNA. In Zeiten, in denen der Nationalismus wieder Einzug erhält, ist dies kostbarer denn je.

Vielen Dank!

(Die Rede wurde auf Englisch gehalten.)

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