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„Unsere Waffenlieferungen schützen Leben“

14.10.2022 - Interview

Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit der SZ

Frage: Frau Ministerin, US-Präsident Joe Biden warnt, die Gefahr eines nuklearen Armageddon sei so groß, wie seit der Kubakrise nicht mehr. Teilen Sie das?

Außenministerin Annalena Baerbock: Putins Krieg hat offensichtlich unsere Welt aus den Angeln gehoben. Wir sehen, dass in dem Maße, in dem Russlands militärische Möglichkeiten abnehmen, die unverantwortlichen nuklearen Drohungen zunehmen. Wir müssen daher besonnen handeln. Zugleich dürfen wir als Weltgemeinschaft keinesfalls den Anschein erwecken, dass wir uns erpressen lassen. Wenn Putins Methode Schule macht, mit Kriegsverbrechen und Atomwaffen zu drohen, werden unsere Kinder in einer noch gefährlicheren Welt aufwachsen.

Frage: Also kein Zurückweichen etwa bei Waffenlieferungen an die Ukraine?

Außenministerin Annalena Baerbock: Genau. Denn wenn wir nicht helfen, den brutalen russischen Angriff zurückzudrängen, würden wir an noch mehr ukrainischen Orten Horror und Leid sehen. In dieser Woche erst hat Russland Kiew mit Raketen beschossen, die direkt neben Spielplätzen und auch der deutschen Visa-Stelle einschlugen. Wenn die Ukraine nicht etliche der Raketen abgefangen hätte, hätte es noch mehr Tote und Verletzte gegeben. Unsere Waffenlieferungen an die Ukraine, etwa zur Luftverteidigung, schützen Leben.

Frage: Sie haben vor einem Monat gesagt, dass man die Entscheidung über die Lieferung westlicher Kampfpanzer nicht mehr lange hinauszögern dürfe. Wie lange muss die Ukraine noch warten?

Außenministerin Annalena Baerbock: Waffenlieferungen sind kein Selbstzweck. Als ich in Kiew war, konnten die ukrainischen Truppen schwer nachrücken, weil ihnen Panzer fehlten. Inzwischen kommen Lieferungen aus dem Ringtausch an, und die Ukraine hat in den befreiten Gebieten enorm viele zurückgelassene Panzer der russischen Armee übernommen, die sie jetzt nutzen können. Trotzdem müssen wir immer wieder überprüfen, ob wir weiteres Material liefern können, das hilft, Menschen zu befreien - und das tun wir.

Frage: Soll die Ukraine die Krim und den gesamten Donbass zurückerobern?

Außenministerin Annalena Baerbock: Befreien ist das richtige Wort. Die Menschen in der Ostukraine sind doch nicht freiwillig unter russischer Besatzung. Überall, wo die russischen Truppen vertrieben werden, werden Massengräber und Folterkeller gefunden. Die Ukraine war, ist und wird ein souveräner Staat bleiben, zu deren international anerkanntem Staatsgebietes auch der Donbas und die Krim gehören. Schon 2014 war die Besetzung der Krim und des Donbass völkerrechtswidrig und offensichtlich der Auftakt für den jetzigen brutalen Angriffskrieg. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn die Ukraine den Krieg nicht gewinnt, sind auch wir in Europa nicht sicher. Putin würde das als Anreiz sehen, mit Gewalt auch gegen andere vorzugehen und hat das ja auch bereits ausgesprochen. Und man darf nicht unterschätzen, welche Botschaft an andere autokratische Herrscher davon ausginge: Kein kleineres Land könnte mehr ruhig schlafen, wenn wir mörderischen Landraub und Erpressung akzeptieren.

Frage: Der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich fordert, dass Sie an der Seite der USA diplomatische Initiativen ergreifen.

Außenministerin Annalena Baerbock: Seit dem 24. Februar tut die halbe Welt nichts anderes, als durch gemeinsame Initiativen Putin von diesem furchtbaren Krieg abzubringen. Jeder einzelne Tag dieses Krieges ist eine Katastrophe. Jeder einzelne Tag ist ein Tag zu viel. Deshalb lässt auch diese Bundesregierung nicht in ihren Friedensbemühungen nach, trotz aller Rückschläge. Deswegen verhandeln wir über die Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja. Deswegen arbeiten wir mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes daran, Zivilisten aus Städten zu bekommen, die bombardiert werden und helfen, dass ukrainisches Getreide in die Welt exportiert werden kann. Das sollte auch der SPD-Fraktionsvorsitzende mitbekommen haben. Wenn man sich nicht mit hehren Worten begnügt, sondern Menschenleben retten will, muss man der Realität ins Auge blicken: Die Antwort des russischen Präsidenten auf jedes unserer Gesprächsangebote ist immer nur mehr Gewalt.

Frage: Der ukrainische Präsident Selenskij sagt, er sei nicht mehr bereit, mit Präsident Putin zu verhandeln. Haben Sie dafür Verständnis?

Außenministerin Annalena Baerbock: Eine Verhandlungslösung setzt voraus, dass der russische Präsident tatsächlich Frieden will. Er macht aber jede Woche aufs Neue deutlich, dass sein Ziel die Vernichtung der Ukraine ist. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg – all das sehen wir seit Monaten und der internationale Strafgerichtshof sichert gerade die Beweise, um das zur Verantwortung zu bringen. Die letzten Monate haben uns bitter gelehrt, dass Putin nicht durch gutes Zureden und Konzessionen zur Umkehr bewegt werden konnte, nur durch die Stärke der Ukraine sich zu verteidigen und ihre Menschen zu schützen. Erst nach seinem militärischem Scheitern in den Vororten von Kiew hat er die Eroberung der ukrainischen Hauptstadt aufgegeben.

Frage: Drei der vier Nord-Stream-Pipelines sind Ziel von Sabotage geworden. Experten machen Russland verantwortlich. Sie auch?

Außenministerin Annalena Baerbock: Wir leben zum Glück in einem Rechtsstaat. Auch wenn man eine Vermutung hat, gilt, dass man Beweise sichern muss. Deswegen haben wir gemeinsam mit Dänemark und Schweden Experten damit betraut aufzuklären, was der Hintergrund dieser Zerstörung ist. Aber schon vorher war klar, dass Russland unsere Gasversorgung als Waffe gegen uns einsetzt. Wir leben in einem wirtschaftlich so starken Land, dass wir uns wehren können. Mit der Gas- und Strompreisbremse schaffen wir als Bundesregierung Sicherheit für den Winter, die – das muss man sich klarmachen – andere Länder nicht haben und noch massiver unter Putins Energiekrieg leiden. Wenn wir uns unterhaken und die demokratischen Kräfte zusammenstehen in dieser wirtschaftlich und damit auch für viele persönlich nicht einfachen Zeit, werden wir gemeinsam gut durch diese Krise kommen.

Frage: Am Wochenende gab es einen Sabotageakt gegen die Bahn. Können Sie sich vorstellen, dass dahinter ebenfalls Russland stecken könnte?

Außenministerin Annalena Baerbock: Angesichts der Brutalität, mit der Russlands Präsident gegen Zivilisten in der Ukraine vorgeht, ist nicht auszuschließen, dass er auch vor zivilen Objekten andernorts keinen Halt macht. Und daher ist es so wichtig, dass wir als Europäer unsere Infrastruktur viel besser schützen – auch wenn wir nicht tausende Kilometer Strom-, Bahn- und Kommunikationstrassen 24 Stunden am Tag überwachen können. Mit Blick auf die besonders verwundbaren Untersee-Kabel haben wir mit Dänemark zusammen Vorschläge bei der Nato gemacht, wie wir die Überwachung kritischer Knotenpunkte sicherstellen können.

Frage: Wie sicher ist denn Deutschlands kritische Infrastruktur?

Außenministerin Annalena Baerbock: Sicher, aber verwundbar. Vor allem weil ja die Cyberdimension dazu kommt. Ich hatte daher dafür geworben, dass wir mit dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr auch in die Sicherheit kritischer Infrastruktur investieren, dagegen hat sich leider die Union gesperrt. Daher stehen keine finanziellen Sondermittel zur Verfügung. In der Nationalen Sicherheitsstrategie, die wir als Bundesregierung erstmals schreiben, wird der Schutz von kritischer Infrastruktur aber eine zentrale Rolle spielen. Ich will, dass wir uns damit auch institutionell besser aufstellen, etwa bei der Cyberabwehr braucht es klare Zuständigkeiten. Zugleich sind schnelle Reaktionsketten essentiell, so wie es am Wochenende bei der Bahn gut funktioniert hat.

Frage: Welche Lehren ziehen Sie aus den Fehlern der Russlandpolitik für den Umgang mit China?

Außenministerin Annalena Baerbock: Dass wir uns von keinem Land mehr existentiell abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt. Komplette wirtschaftliche Abhängigkeit basierend auf dem Prinzip Hoffung macht uns politisch erpressbar. Diesen Fehler dürfen wir– diesmal gegen besseres Wissen – nicht ein zweites Mal machen. So bedauerlich das ist: Auch China hat sich in den letzten Jahren verändert, schottet sich von der Welt ab, droht mit militärischem Vorgehen gegen Taiwan und versucht anstelle internationaler Normen seine eigenen Regeln zu setzen. Wir müssen unsere politischen, aber vor allem wirtschaftlichen Beziehungen an dem China ausrichten, wie es heute ist. Das heißt nicht komplette Abkopplung, was bei einem der größten Länder nicht geht. Aber Erschließung alternativer Märkte im asiatischen Raum, Diversifizierung und Risikomanagement.

Frage: Sieht das auch die Wirtschaft so?

Außenministerin Annalena Baerbock: Viele Mittelständler fahren ihr Chinageschäft zurück und sagen deutlich: wir müssen uns schützen. Weil sie nicht nur ihre kurzfristigen Gewinne, sondern auch die geopolitischen Risiken sehen. Unternehmer sind ja auch Staatsbürgerinnen, die sehen, dass wir als Staat, als Gesellschaft gerade mit Milliarden an Steuergeldern Energieunternehmen retten müssen, die alles auf die Karte Russland gesetzt haben. Aufgabe von verantwortungsvoller Wirtschaft, aber erst recht Politik ist es, nicht zuzulassen, dass wir vielleicht in einigen Jahren wieder in die Situation geraten, diesmal Chemie- und Autokonzerne mit Steuermilliarden retten zu müssen, weil sie sich auf Gedeih und Verderb von dem chinesischen Absatzmarkt abhängig gemacht haben.

Frage: China will hier investieren, in den Hamburger Hafen etwa. Kann die Bundesregierung zulassen, dass sich der Konzern Cosco mit 35 Prozent an einem Containerterminal beteiligt?

Außenministerin Annalena Baerbock: Der Hamburger Hafen ist ja nicht irgendein Hafen, sondern einer der Schlüsselhäfen nicht nur für uns als Exportnation, sondern für Europa insgesamt. Wir müssen uns bei jeder Investition in deutsche kritische Infrastruktur fragen, was das in jenem Moment bedeuten könnte, in dem sich China gegen uns als Demokratie und Wertegemeinschaft stellen würde. Wir erleben in anderen Ländern, was es bedeutet, wenn China kritische Infrastruktur besitzt oder auch nur teilweise besitzt – seien es Flughäfen, Eisenbahnnetze, Stromnetze.

Frage: Sind Sie sich da einig mit dem Bundeskanzler? Er scheint als früherer Hamburger Bürgermeister die Beteiligung von Cosco zu befürworten…

Außenministerin Annalena Baerbock: Wir stimmen uns natürlich nicht nur in der Koalition ab und erarbeiten gerade gemeinsam erstmals für Deutschland eine China-Strategie, die deutlich macht, dass es ein einfaches „Weiter so“ nicht geben kann. Wir sind uns einig, dass wir unsere Verwundbarkeit drastisch reduzieren müssen. Wir haben auch von der EU-Kommission eine Einschätzung eingeholt. Denn es geht hier um eine gemeinsame europäische Haltung. Und die meisten europäischen Staaten verfolgen bereits den Grundsatz, China nicht nur als Partner bei globalen Fragen zu sehen, sondern eben auch als Wettbewerber und Systemrivale.

Frage: Die Bundesregierung will in Saudi-Arabien und anderen Golf-Staaten trotz großer Menschenrechtsverletzungen Gas kaufen und langfristig Wasserstoff. Wie geht das Zusammen mit einer wertegeleiteten Außenpolitik?

Außenministerin Annalena Baerbock: Entscheidend ist, dass wir uns von keinem Land so abhängig machen, dass wir uns dann aus Rücksichtnahme nicht mehr trauen, uns laut und deutlich für Menschenrechte einzusetzen. In meinen Gesprächen mit solchen Ländern sage ich sehr klar: Ihr habt eigentlich ein Potenzial für grünen Wasserstoff, aber für langfristige Investitionen müssen wir darauf vertrauen können, dass grundlegende internationale Regeln eingehalten werden. Dazu zählen natürlich die allgemeinen Menschenrechte, aber auch Umwelt- und Sozialstandards.

Frage: Im Koalitionsvertrag steht, dass keine Waffen geliefert werden an Länder, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Und doch erhält Saudi-Arabien deutsche Rüstungsprodukte. Wie wollen Sie das auf dem Parteitag der Grünen erklären?

Außenministerin Annalena Baerbock: Mit Verlaub: Saudi-Arabien erhält eben keine direkten deutschen Rüstungslieferungen. Der Rüstungsexportstopp nach Saudi-Arabien gilt. Vorgänger-Regierungen haben in Gemeinschaftsprojekten mit Großbritannien und Spanien jedoch Verträge geschlossen, wonach Deutschland Einzelteile für den Eurofighter liefert, die auch nach Saudi-Arabien gelangen. Aus diesen alten Gemeinschaftsprojekten kann man nicht einfach so aussteigen. Angesichts der Bedrohung der europäischen Sicherheit durch Russland seit dem 24. Februar ist Verlässlichkeit unter europäischen Partnern wichtiger als je zuvor - denn wir müssen als Europäer verteidigungspolitisch enger zusammenarbeiten, um uns gemeinsam schützen zu können. Deshalb haben wir uns in diesem konkreten Altfall in der Abwägung zwischen lauter schwierigen Optionen entschieden, die Zulieferung in dem Gemeinschaftsprojekt nicht zu blockieren, für Neuverträge aber gemeinsame Kriterien festzuschreiben, die den Ausstieg mit Blick auf Menschenrechtskriterien ermöglichen. Mit unserem deutschen Rüstungsexportkontrollgesetz wollen wir diesen Werten in Europa mehr Verbindlichkeit geben, damit wir gemeinsame Entscheidungen bekommen statt einer Konkurrenz, in der sich die niedrigsten Standards durchsetzen. Alles andere als eine einfache Entscheidung,daher verstehe ich die Kritik. Aber ich persönlich bin überzeugt, dass man sich gerade diesen europäischen Dilemmata stellen muss, um gemeinsam Lösungen zu finden, anstatt sich davor wegzuducken.

Frage: Was sagen Sie, gerade als Verfechterin einer feministischen Außenpolitik, zur blutigen Niederschlagung der sogenannten Kopftuchproteste in Iran?

Außenministerin Annalena Baerbock: Ich hoffe doch mal, dass jede und jeder auch ohne die Nennung einer feministischen Außenpolitik diese brutale Gewalt massiv verurteilt. Dass es Frauen so hart trifft und der Kopftuchzwang eine Rolle spielt, ist für mich aber kein Zufall. Daher habe ich vom ersten Tag meiner Amtszeit im Sinne der feministischen Außenpolitik in jedem Land deutlich gemacht: Frauenrechte sind ein Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft. Wer die Hälfte seiner Bevölkerung unterdrückt, hat offensichtlich mit Demokratie nichts am Hut. Und die brutale Art und Weise, mit dem das Regime seit jetzt fast vier Wochen gegen Frauen vorgeht, zeigt, wie rücksichtslos es sich gegen die eigene Bevölkerung stellt. Schreckliche Beispiele dafür sehen und hören wir täglich: Es werden Frauen auf der Straße verschleppt, verprügelt, gefoltert, 15-jährige Mädchen von zu Hause abgeholt. In Iran sehen wir nicht nur die systematische Unterdrückung von Frauen. Feministische Außenpolitik heißt auch aufzuzeigen, wie andere Gruppen betroffen sind. Es geht auch um die Rechte von Sunnitinnen und Sunniten, Bahai, Kurdinnen und Kurden, von Homosexuellen. Ich arbeite mit Hochdruck daran, dass die Verantwortlichen dieser Menschenrechtsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden, dass sie ein Einreiseverbot für Europa bekommen und ihre Vermögen in der EU eingefroren werden- zusätzlich zu den bereits bestehenden 550 sanktionierten Personen und Organisationen. Und dieses erste Sanktionspaket bezüglich der Niederschlagung von Frauen wird nur der Anfang sein, um den Menschen wirksam zu helfen.

Interview: Daniel Brössler, Paul-Anton Krüger und Nicolas Richter

www.sueddeutsche.de

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