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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der portugiesischen Botschafterkonferenz

04.01.2023 - Rede

Es bedeutet mir sehr viel, dass mich meine erste Reise im neuen Jahr nach Portugal führt, auch persönlich, denn hier in Portugal habe ich als kleines Kind im Alter von eineinhalb Jahren laufen gelernt. Meine Eltern haben mich nach der Nelkenrevolution in Ihr wunderschönes Land mitgenommen.

Hierher zurückzukehren, privat, aber auch in meiner neuen Position als Außenministerin, ist immer ein besonderes Gefühl – zum Beispiel an Orte wie Ihre wunderbaren Leuchttürme in Sagres oder Cabo da Roca.

Das ist der westlichste Punkt Europas. Er wird auch „fim da Europa“ genannt – das Ende Europas. Auf einer Landkarte stimmt das natürlich, aber wir alle wissen, dass Portugal ganz im Herzen Europas liegt.

Ich glaube, die wunderbare Sängerin Mariza hat wohl nicht an die Europäische Union gedacht, als sie ihren Fado „A nossa voz“ schrieb. Aber diese Stimme, von der sie singt, könnte gut unsere europäische Stimme sein. Der Liedtext lautet: „Und aus einem werden wir tausend Herzen sein. Und aus tausend eine einzige Stimme.“

Ich hoffe, ich spreche das richtig aus: „uma só voz“. Letztes Jahr war diese gemeinsame Stimme, diese Einheit nötiger denn je. Und diese Einigkeit haben wir bewiesen.

Für Europa war 2022 eines der bittersten Jahre in unserer Nachkriegsgeschichte.

Aber die optimistische Lektion, die wir gelernt haben, lautet, dass Europa zusammenhält, wenn es darauf ankommt. Uma só voz.

Wenn ich über das vor uns liegende Jahr nachdenke, geben mir drei Dinge Anlass zur Hoffnung.

Zuallererst starke Freundschaften wie die zwischen unseren beiden Ländern. Darüber haben wir bereits gestern gesprochen, lieber João: Wir wollen diese Freundschaft noch weiter vertiefen. Wir haben deshalb vereinbart, regelmäßig Konsultationen zu Kernthemen abzuhalten, die für die kommenden Jahre von entscheidender Bedeutung sein werden: zu europäischen Angelegenheiten, zu unserer Zusammenarbeit mit portugiesischsprachigen Ländern in Afrika und Lateinamerika, zu unseren Beziehungen mit China und zur Bewältigung der Klimakrise. Unser Ziel ist es, diese Themen stärker strategisch anzugehen. Am meisten aber wünschen wir uns, dass unsere Partnerschaft konkrete Projekte hervorbringt, die sich spürbar auf das Leben der Menschen in unseren beiden Ländern auswirken, denn bei Außenpolitik geht es nicht nur um ministerielle Tagungen und diplomatischen Meinungsaustausch. Bei Außenpolitik geht es um Menschen. Und deshalb bringen wir beim diesjährigen Deutsch-Portugiesischen Forum führende Köpfe aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen – ältere wie jüngere –, um voneinander zu lernen und das digitale Gesundheitswesen oder den Finanzierungsmechanismus für Start-ups zu verbessern.

Ein weiteres Beispiel für Bereiche, in denen wir neue Projekte auf den Weg bringen wollen, ist die Hochseefischerei. Dazu zählt auch das Projekt “Seatraces”, bei dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Europa an Methoden zur Bestimmung der Herkunft von Fischen und Meeresfrüchten forschen werden, damit Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, woher der Fisch, der auf ihrem Teller landet, eigentlich kommt. Dabei geht es nicht nur um Verbraucherschutz, sondern auch um die Bekämpfung des illegalen Fischfangs. Und es geht um die Förderung kleiner örtlicher Fischereibetriebe, die sich auf nachhaltigen Fischfang konzentrieren.

Um solche Projekte zu organisieren, bedarf es Ihrer aller Unterstützung, sehr geehrte Botschafterinnen und Botschafter, sehr geehrte Generalkonsuln und -konsulinnen. Und deshalb bin ich überaus dankbar, dass Sie mich heute hierher eingeladen haben. Denn Ihr Fachwissen, Ihr Engagement und Ihre Initiative sind es, die unsere Beziehung so dynamisch machen.

Der zweite Grund, der mich zu Beginn des neuen Jahres hoffnungsfroh stimmt, ist etwas, für das sich Portugal schon seit Jahren engagiert: die europäische Einheit. Uma só voz. In den vergangenen elf Monaten haben wir als Europäerinnen und Europäer entschlossen auf den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine reagiert. Obwohl Lissabon mehr als 3000 km von Kiew entfernt ist, hat Portugal die Ukraine von Anfang an gemeinsam mit seinen Partnern und Freunden unterstützt. Sie haben gezeigt, dass Einheit und Solidarität nichts mit geografischer Entfernung zu tun haben.

Und ich weiß, dass du, lieber João, dabei persönlich eine besondere Rolle gespielt hast.

Dafür möchte ich dir aufrichtig danken. Dein Land hat wie viele andere in Europa deutlich gemacht, dass Neutralität keine Option ist. Denn wenn man in einer Situation neutral bleibt, in der es um Gerechtigkeit versus Ungerechtigkeit geht, unterstützt man nicht das Opfer, sondern ergreift Partei für den Aggressor.

Ich denke, wir alle wünschen uns für 2023 nichts sehnlicher als Frieden. Doch leider ist die Welt nicht so, dass man sich einfach eine bessere Zukunft herbeiwünschen kann. Man muss eine bessere Zukunft aufbauen. Die Ukraine wird gezielt angegriffen, mit Bomben, Raketen und Drohnen – an Heiligabend, an Silvester. Krankenhäuser, Stromnetze, Kraftwerke. Familien, Kinder, Seniorinnen und Senioren. Dies ist ein Angriff auf die Menschlichkeit. Und deshalb müssen wir den Ukrainerinnen und Ukrainern so lange zur Seite stehen, wie sie uns brauchen. Wir müssen auf der Seite der Opfer und der Gerechtigkeit stehen.

Unsere eigene Geschichte in Deutschland lehrt uns, dass wir in solchen Situationen sehr vorsichtig sein müssen. Aber wenn wir mit dieser Entscheidung konfrontiert sind, haben wir gesagt, dass wir nicht nur auf der Seite der Ukraine stehen müssen, sondern auch auf der Seite des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen.

Wir in Deutschland mussten erkennen, dass unsere europäische Friedensordnung nicht in Stein gemeißelt ist. Seit ich hier in Portugal laufen lernte, hatte ich bis heute, über vierzig Jahre später, immer das Glück, in einem friedlichen Europa und – die meiste Zeit meines Lebens – im wiedervereinigten Deutschland zu leben, im Herzen Europas. Doch offenkundig ist diese europäische Friedensordnung nicht unumstößlich, und wir dürfen unsere Sicherheit nicht für selbstverständlich halten.

Wir erarbeiten derzeit eine Nationale Sicherheitsstrategie. Damit wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, auch mit Blick auf unsere früheren Beziehungen zu Russland.

Das bedeutet, dass wir uns alle Aspekte unserer Sicherheit im Rahmen eines sogenannten integrierten Sicherheitsansatzes anschauen. Denn Sicherheit ist ein zentrales Thema in so gut wie allen Politikbereichen, ob in unserer Verteidigung, unserer Energieversorgung, im Handel oder in Sachen Lieferketten und Cyberspace.

Unsere Verwundbarkeit beschränkt sich nicht auf militärische Angelegenheiten. Wenn große Krankenhäuser oder Zugverbindungen infolge von Cyberangriffen ausfallen, ist das auch eine Sicherheitsfrage. Wenn wir keine Medikamente für unsere Kinder besorgen können, wie zum Beispiel aktuell gegen Fieber in Deutschland, weil die Lieferketten gestört sind, dann ist das auch eine Sicherheitsfrage. Wenn Klimaereignisse wie Überschwemmungen und Dürren unsere Wälder, unsere Dörfer und unsere Lebensgrundlagen zerstören, ist das offenkundig eine der gefährlichsten Sicherheitsfragen unserer Zeit. Und im schlimmsten Fall überlagern sich diese Ereignisse noch.

Deshalb arbeiten wir an einem integrierten Ansatz für unsere Sicherheit. Wir müssen innere und äußere Sicherheitsaspekte zusammendenken, denn wir können sehen – und zwar nicht nur bei Russlands Krieg, sondern auch davor –, dass mehr als eine Grauzone dazwischenliegt. Beides lässt sich nicht trennen. Dies sind einige der zentralen Themen, die wir uns bei der Erarbeitung unserer Nationalen Sicherheitsstrategie anschauen.

Mit Blick auf Russlands grausamen Krieg ist uns klar, dass unsere stärkste Antwort in unserer Einheit als Partner und Verbündete liegt. Das haben wir in den vergangenen Monaten unter Beweis gestellt, so wie wir es auch weiterhin tun werden, nicht nur durch Unterstützung für unsere ukrainischen Partner, sondern auch, indem wir Partnern in anderen Teilen der Welt dabei helfen, die negativen Folgen dieses Kriegs für ihre Bevölkerung und für ihre Wirtschaft zu bewältigen.

Lassen Sie uns als europäische Diplomatinnen und Diplomaten in jedem bilateralen Gespräch, bei jeder öffentlichen Veranstaltung, bei jeder Verhandlung deutlich machen: Ein Angriffskrieg ist kein isoliertes Ereignis. In einer eng vernetzten Welt betrifft er jede und jeden. Doch wenn wir in einer eng vernetzten Welt zusammenhalten, können wir stärker sein als dieser Krieg. Das ist für mich die wichtigste Botschaft für das neue Jahr.

Und damit uns das gelingt, müssen wir imstande sein, wirksam und schnell zu handeln. Ich bin überzeugt, dass wir bei unseren Entscheidungen in der Europäischen Union schneller werden müssen, insbesondere in außenpolitischen Belangen. Meiner Ansicht nach können wir es uns nicht länger leisten, dass Entscheidungen von einzelnen Mitgliedstaaten aus innenpolitischen Gründen blockiert werden, weil vielleicht regionale Wahlen anstehen oder in einem nationalen Kabinett Streit herrscht. Deshalb bin ich der Meinung, dass eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit für uns alle zu besseren und wirksameren Ergebnissen führen kann.

An dieser Stelle muss ich sagen, dass ich mich auch deswegen jeden Monat auf Sitzungen in Brüssel freue, weil ich immer neben meinem portugiesischen Amtskollegen sitze. Und wir haben uns viel über dieses Thema ausgetauscht, denn wie Sie wissen steht es auch in unserem Koalitionsvertrag, dass wir über Einstimmigkeit und Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in der Außenpolitik sprechen müssen.

Und ich habe Ihre Bedenken, aber auch die Bedenken anderer hinsichtlich einer Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten vernommen. Ich würde hier gern meine Gedanken dazu darlegen, denn ich glaube, das könnte einige Denkanstöße bieten, vielleicht für Ihr Gespräch im Anschluss. Denn natürlich haben Sie recht, dass es mit Blick auf die Frage der Sicherheit, wenn es ein Land berührt – denn unsere Länder sind verschieden, auch wenn wir eine Union bilden –, Momente geben kann, in denen nationale Bedenken bestehen, die andere nicht teilen. Und ich weiß, dass es nicht sehr angenehm ist, bei qualifizierten Mehrheitsbeschlüssen überstimmt zu werden. Deutschland selbst hat das beispielsweise unlängst vor Weihnachten bei der Abstimmung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln zu spüren bekommen.

Obwohl ich weiß, dass diese Situation für größere und kleinere Staaten unterschiedlich sein kann, bin ich fest überzeugt, dass jetzt kein guter Zeitpunkt für theoretische Diskussionen ist, wo manche sagen: „Ich bin zu 100 % für eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in außenpolitischen Fragen“, und andere erklären: „Ich bin zu 100 % dagegen“, und wir lange Abhandlungen über beide Standpunkte verfassen können. Ich glaube, jetzt ist die Zeit reif, um uns gemeinsam hinzusetzen und zu schauen, wie wir die Probleme lösen können. Wir haben manchmal Situationen, in denen wir als Europäische Union handeln wollen, aber leider nicht einmal imstande sind, eine Pressemitteilung zu formulieren, weil wir uns nicht auf den gesamten Wortlaut einigen können. Deshalb schlage ich vor, dass wir die Möglichkeiten, die die EU-Verträge heute schon bieten, besser nutzen.

Ein Beispiel dazu: Vor Kurzem haben wir eine Ausbildungsmission für ukrainische Streitkräfte ins Leben gerufen, mit einer Entscheidung, die Einstimmigkeit erforderte. Nach langer Debatte hat Ungarn beschlossen, sich „konstruktiv zu enthalten“, und damit den anderen ermöglicht, voranzugehen.

Wir wollen an solche pragmatischen Lösungen anknüpfen, sodass wir als EU unserer Verantwortung als starker globaler Akteur gerecht werden können – ob durch diese Form der konstruktiven Enthaltung oder die Passerelle-Klausel, die bereits in den Verträgen enthalten ist, oder durch eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in besonderen, spezifisch festgelegten Politikbereichen wie klimabezogenen Fragen, Sanktionen oder Menschenrechten.

Und damit komme ich zum dritten Grund, der mich für das neue Jahr hoffnungsvoll stimmt: unsere starken Partnerschaften in aller Welt, jenseits von Europa.

Denn wir haben in den letzten elf Monaten bewiesen – nicht nur, wenn wir als die EU 27 geeint auftraten –, dass wir in der Tat etwas bewirken können, auch für andere Länder. Wenn wir nicht sagen mussten: Tja, warten Sie die nächste Tagung des Außenrates ab, dann können wir Ihnen vielleicht antworten. Sondern unseren internationalen Partnern unmittelbar eine Antwort geben konnten.

Wir müssen uns klarmachen, wie wichtig diese starke europäische Partnerschaft mit anderen Teilen der Welt ist. Was wir meiner Meinung nach jetzt tun müssen, ist, Partnerschaften anzubieten, die im Interesse beider Seiten liegen.

Denn das alte Narrativ, demzufolge hier der Westen ist, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, und dort gewissermaßen der Rest oder der sogenannte Globale Süden, bildet nicht mehr die Realität ab, in der wir leben.

Nicht, wenn man sich die verschiedenen Länder oder die Stärken verschiedener Länder auf verschiedenen Kontinenten ansieht. Aber auch nicht, wenn man sich die Menschen überall auf der Welt ansieht. Wenn man 23-jährige Studentinnen und Studenten fragt – sei es in Berlin oder in Lissabon oder in Libyen oder Äthiopien –, wie sie sich selbst sehen.

Dann wird man, denke ich, keinesfalls die Antwort bekommen: „Ich sehe mich als Person aus dem Globalen Süden.“ Vielleicht wäre die Antwort: „Ich sehe mich als Äthiopierin“ oder „als 23-jähriger Student“. Und in Europa sehen sich hoffentlich viele als Europäerinnen und Europäer und nicht in erster Linie als Deutsche oder Portugiesinnen.

Deshalb bin ich der Meinung, dass wir mit Blick auf die heutige Situation nicht mehr in den alten Gegensätzen des Kalten Krieges denken sollten. Sondern wahrnehmen, dass wir in eine Zeit zunehmender systemischer Rivalität eintreten. Zwischen denen, die die internationale Ordnung aufrechterhalten wollen und die Einhaltung des Völkerrechts befürworten. Und anderen, die sich dieser Ordnung und der VN-Charta entgegenstellen.

Bei den Abstimmungen in der Generalversammlung haben wir festgestellt, dass dies keine 50:50-Spaltung ist, dass dies auch keine geographische Spaltung ist. Mehr als zwei Drittel der Länder der Welt haben sich für das Völkerrecht, für die internationale Ordnung und für die Charta der Vereinten Nationen stark gemacht.

Und wir müssen insbesondere die Länder in den Blick nehmen, die so mutig waren, sich zu positionieren und Haltung zu zeigen, obwohl sie unter Druck gesetzt wurden oder in Abhängigkeit von Russland oder anderen stehen.

Wenn wir Russlands Imperialismus betrachten, so ist dieser nur der sichtbarste Ausdruck einer der VN-Charta entgegengesetzten Haltung.

Wir beobachten auch, wie andere Akteure ihren Einfluss auszuweiten versuchen, indem sie Geschäfte anbieten, die auf den ersten Blick gut und lukrativ scheinen, aber langfristige Abhängigkeiten zu schaffen drohen.

China hält nach wie vor aus politischen Gründen seine handelsbezogenen Zwangsmaßnahmen gegen Litauen aufrecht. In Afrika und Lateinamerika kauft Peking mit billigen Krediten politischen Einfluss. Im VN-System versucht China, etablierte Menschenrechtsnormen auszuhöhlen.

Zwar brauchen wir die Zusammenarbeit mit China in globalen Fragen wie Artenvielfalt und Klimawandel, aber wir erkennen auch eine immer offenkundiger werdende systemische Rivalität.

Für mich ist es daher von größter Bedeutung, dass wir unseren globalen Partnern Angebote unterbreiten, die gerecht und nachhaltig sind und die die Interessen aller Seiten widerspiegeln.

Genau dieses Ziel verfolgt das Global-Gateway-Programm der Europäischen Union. Die Ideen und Konzepte dafür sind schon vorhanden: von Solarkraftwerken in Botsuana und Namibia über eine Eisenbahnstrecke in Burkina Faso bis hin zu einer Windkraftanlage in Ghana.

Jetzt ist die Zeit reif, mit der konkreten Arbeit an solchen Leuchtturmprojekten zu beginnen.

Und wie du, lieber João, bereits in deiner Rede gesagt hast, kann Portugal dabei eine wichtige Rolle spielen – indem es auf seinen starken Partnerschaften mit portugiesischsprachigen Ländern wie Angola und Mosambik und mit Ländern in Lateinamerika aufbaut.

Und wie ich in den letzten 24 Stunden gelernt habe, ist die von dir praktizierte globale Außenpolitik von besonderem Nutzen für die gesamte Europäische Union. Denn sie zielt nicht – wie in anderen postkolonialen Staaten – mit bescheidenem Erfolg nur auf bestimmte Regionen ab, sondern Portugal pflegt aufgrund seiner Geschichte enge Verbindungen zu einer Vielzahl von Regionen. Diese basieren auch auf gemeinsamen Werten – echte Partnerschaften, auf die Europa, so denke ich, bauen kann.

Ich fand richtig, was du in deiner Rede über den Außenhandel und seine Stärken gesagt hast. Ja, wir müssen uns wieder engagieren, nach außen orientieren und diese Kooperation für das 21. Jahrhundert aufbauen.

Es geht aber nicht nur um Handel. Weltwirtschaftliche Themen sind eng verzahnt mit geopolitischen Fragen.

Wenn wir beispielsweise die Stärkung unserer Zusammenarbeit mit Lateinamerika im Bereich der Rohstoffe in den Blick nehmen, die wir für unsere Energiewende brauchen, sind die Zahlen durchaus aufschlussreich.

Bei fast allen diesen kritischen Rohstoffen ist die EU von Importen abhängig – zu 75 bis 100 Prozent.

Insbesondere für den eigenen Bedarf an E‑Auto-Batterien und zum Erreichen von Klimaneutralität wird Europa bereits im Jahr 2030 etwa 18‑mal mehr Lithium benötigen als heute.

Der größte Teil des von der EU importierten Lithiums kommt aus Chile und Australien. Doch es wird in China verarbeitet. Das ist nicht nur schlecht für unseren CO2-Fußabdruck, sondern schwächt auch die Lieferkettensicherheit.

Wenn wir also unsere Partnerschaft mit Lateinamerika und anderen Partnern weltweit intensivieren wollen, müssen wir all diese verschiedenen Aspekte berücksichtigen, denn die Lieferkettensicherheit ist wichtig.

Und deshalb sind gerade die Beziehungen zu Lateinamerika, zur neuen brasilianischen Regierung – du warst ja gerade dort – so wichtig.

Wenn wir diese Partnerschaften neu beleben wollen, müssen wir auch erkennen, welches die wichtigsten Bedürfnisse unserer Partner sind. Und die haben im Moment nicht viel mit Russland zu tun, sondern mit der Wiederankurbelung ihrer Volkswirtschaften. Wir müssen uns also in unsere Partner hineinversetzen und verstehen, was für sie die wichtigsten Probleme sind.

Deshalb glaube ich, dass der Neustart von Projekten wie demjenigen mit Mercosur, vielleicht mit einem anderen Namen, zu den wichtigsten Themen gehört, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn wir auf Lateinamerika zugehen.

Wir müssen verstehen, dass ihre größte Sicherheitsbedrohung heute nicht Russlands Krieg ist. Es sind auch nicht die Lieferketten mit China. Es ist vielmehr die Klimakrise. Für die meisten Länder ist das die wichtigste Sicherheitsfrage.

Deshalb bin ich auch sehr froh, dass wir unter den EU-Außenministerinnen und -ministern eine Gruppe gegründet haben, die sagt: Wir wollen die Frage der Klimasicherheitspolitik intensiver angehen.

Und ich bin auch sehr froh darüber – das habe ich auch in Spanien und Frankreich gesagt –, dass Frankreich bereit ist, das enorme Potenzial der iberischen Halbinsel zu nutzen, um grünen Wasserstoff in das restliche Europa zu transportieren.

Es war eine sehr gute Nachricht, dass Ministerpräsident Costa kürzlich mit seinen Amtskollegen aus Spanien und Frankreich die Pläne für diese wichtige Pipeline von der Iberischen Halbinsel nach Marseille vorgestellt hat.

Denn unsere Glaubwürdigkeit im Kampf gegen die Klimakrise ist überaus bedeutend – wir müssen beweisen, dass wir unsere Emissionen verringern. Und ich sage in aller Deutlichkeit: Auch für uns ist das eine sehr wichtige Sicherheitsfrage. Nicht trotz, sondern wegen Russlands Angriffskrieg ist unser Ziel, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, wichtiger denn je.

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

mit Blick auf 2023 bin ich mir bewusst, dass große Herausforderungen vor uns liegen.

Aber wir haben gute Gründe, das neue Jahr mit Optimismus zu beginnen: Denn die Europäische Union gründet auf Freundschaften wie der unseren.

„Aus einem werden wir tausend Herzen sein.“ So heißt es in dem Lied von Mariza.

Das ist es auch, was die Europäische Union ausmacht:

450 Millionen Herzen und eine starke Stimme in der Welt.

Uma só voz!

Ich danke Ihnen.

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