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Außenministerin Annalena Baerbock zur Lage in der Ukraine sowie zur europäischen Sicherheit

01.03.2025 - Pressemitteilung

Zur Lage in der Ukraine sowie zur europäischen Sicherheit erklärte Außenministerin Annalena Baerbock heute (01.03.) bei einem Statement im Auswärtigen Amt:

„Viele von Ihnen werden heute Nacht angesichts der unsäglichen Videos aus dem Weißen Haus unruhig geschlafen haben. Ich ehrlich gesagt auch.

Leider war das kein schlechter Traum, sondern heftige Realität. Unser Entsetzen ist heute größer als zuvor – aber ebenso unser Commitment: für die Menschen in der Ukraine, für unsere eigene Sicherheit und für den Frieden in Europa.

Der gestrige Abend hat unterstrichen: Eine neue Zeit der Ruchlosigkeit hat begonnen.

Eine ruchlose Zeit, in der wir die regelbasierte internationale Ordnung und die Stärke des Rechts mehr denn je gegen die Macht der Stärkeren verteidigen müssen. Denn sonst kann kein freies Land mehr ruhig schlafen, das einen stärkeren Nachbarn hat.

Das alles hat sich bereits seit geraumer Zeit abgezeichnet und deswegen haben wir seit Längerem an neuen, gestärkten Bündnissen mit all denen in der Welt gearbeitet, die bereit sind, weiter für eine regelbasierte internationale Ordnung und die Stärke des Rechts anstatt des Rechts des Stärkeren einzustehen.

Wir müssen selbst als Europäerinnen und Europäer stärker als jemals zuvor vorangehen und entschlossen für unsere Interessen und das Völkerrecht einstehen – und zwar ohne Wenn und ohne Aber.

Für uns ist deshalb klar: Wir stehen felsenfest an der Seite der souveränen und freien Ukraine. Die Ukraine ist Teil des freien und demokratischen Europas.

Wer in diesem Krieg gegen die Ukraine brutaler Aggressor und wer mutiger Verteidiger ist, wer hier Täter und wer Opfer ist, das steht vollkommen außer Frage.

Vor drei Jahren hat Putins Russland die Ukraine ohne Grund völkerrechtswidrig angegriffen, Menschen auf furchtbare Weise ermordet, Frauen brutal vergewaltigt, Kinder verschleppt, Eltern von ihren Kindern getrennt. Dieser Terror hält bis heute an. Gerade erst wurde in Budscha, also unweit von Kyjiw, eine bekannte ukrainische Journalistin mit einer Drohne in ihrem Zuhause getötet. Dieser jüngste Luftkrieg geht jeden Tag und jede Nacht unvermindert weiter.

Daher sage ich klar und über den Atlantik hinweg: Was richtig und was falsch ist, darf uns nie egal sein.

Niemand braucht und niemand wünscht sich sehnlicher Frieden als die Ukrainerinnen und Ukrainer. Die diplomatischen Bemühungen der USA sind dabei natürlich wichtig – aber ein solcher Frieden muss gerecht und dauerhaft sein und nicht nur die Ruhepause bis zum nächsten Angriff Russlands.

Niemand sollte sich daher im Feind irren: Er sitzt allein im Kreml, nicht in Kyjiw oder Brüssel.

Eine Täter-Opfer-Umkehr können wir niemals akzeptieren. Denn eine Täter-Opfer-Umkehr ist das Gegenteil von Sicherheit. Es ist das Gegenteil von Frieden und kann daher kein guter Deal sein.

Eine Täter-Opfer-Umkehr wäre das Ende des internationalen Rechts und damit auch das Ende der Sicherheit der allermeisten Staaten.

Und es wäre zu Ende gedacht auch fatal für die Zukunft der Vereinigten Staaten. Denn kaum ein Land könnte mehr auf die Glaubwürdigkeit der ältesten Demokratie und der stärksten Militärmacht vertrauen, wenn es zu einer Täter-Opfer-Umkehr käme.

Wir wollen all das gerade nicht. Wir wollen die transatlantische Partnerschaft und die gemeinsame Stärke erhalten. Aber der gestrige Tag hat einmal mehr als deutlich gemacht, wir Europäer, gerade als Transatlantiker, dürfen nicht naiv sein. Wir müssen für unsere eigenen Interessen, unsere eigenen Werte und unsere eigene Sicherheit für unsere Menschen in Europa einstehen.

Sechs Elemente sind jetzt zentral:

  • Erstens: Wir müssen unsere deutsche Unterstützung für die Ukraine noch einmal ausbauen – und zwar unverzüglich.
    Ich appelliere an alle im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien, daher jetzt die blockierten 3 Milliarden Euro Hilfsgelder für die Ukraine freizugeben.
  • Zweitens: Am nächsten Donnerstag trifft sich der Europäischen Rat, also die Staats- und Regierungschefs, in Brüssel. Es braucht dort Entscheidungen für ein umfassendes europäisches Finanzpaket für die Ukraine, für die humanitäre, für die wirtschaftliche und vor allen Dingen für die verteidigungspolitische Unterstützung.
  • Drittens: Wir müssen uns endlich wirklich Hand-in-Hand mit unseren engen Partners Frankreich, Großbritannien und Polen nicht nur abstimmen, sondern engstens miteinander Schritte gehen. Kein Blatt darf zwischen uns passen. Das gilt mit Blick auf den Ausbau der ukrainischen Luftverteidigung genauso wie für die Lieferung weitreichender Waffensysteme zur Verteidigung.

Diese drei Elemente werden dazu beitragen, dass die Ukraine der russischen Aggression weiter, auch ohne die jetzt angekündigte, oder mögliche Streichung, der US-Unterstützung, standhalten kann, um einen Frieden zu erreichen und keine Kapitulation.

  • Viertens: Unsere beste Verteidigung gegen Putins Aggression ist geschlossene europäische Stärke. Nur das schafft und sichert Frieden in Europa.
    Ansonsten stehen Putins Truppen demnächst im Baltikum oder gar direkt vor den Türen unseres Nachbarn Polen. Wir können diese Realität nicht weiter ausblenden.
    Beim Europäischen Rat braucht es daher auch Entscheidungen für massive Investitionen in unsere gemeinsame europäische Verteidigungsfähigkeit.
    Ich setze mich deshalb mit aller Kraft dafür ein, dass der Europäische Rat durch die Flexibilisierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts dazu beiträgt.
    Für einige Staaten mit bereits hoher Staatsverschuldung und geringem Spielraum in ihren Haushalten wird das aber nicht reichen. Wir müssen als Europäer deshalb auch über einen europäischen Verteidigungsfonds sprechen, der der Höhe der Herausforderungen entspricht.
    Dabei dürfen wir aber nicht stehenbleiben. Mehr muss und mehr wird in den nächsten Monaten folgen – sowohl national als auch europäisch. Spätestens beim Haager Gipfel der NATO müssen wir ein starkes Signal europäischer Entschlossenheit senden.
  • Fünftens bedeutet das für mich, dass wir uns in Deutschland unter Demokratinnen und Demokraten zusammensetzen müssen, um über die grundsätzliche Reform der Schuldenbremse zu sprechen, so wie das bereits auch in der nationalen Sicherheitsstrategie unter Sicherheitsgedanken vor zweieinhalb Jahren angelegt wurde.
    Ich weiß, dass derzeit auch ein erneutes Sondervermögen diskutiert wird. Es ist aber – wie die Erfahrung zeigt, weil wir haben ja bereits ein Sondervermögen – die schlechtere Variante: Sie hilft der Ukraine nicht. Und wir können sie nicht für alle Bereiche einsetzen, die für unsere Verteidigung wichtig sind, wie z.B. Maßnahmen gegen hybride Angriffe oder Bedrohungen aus dem Cyberraum.
    Auch das haben wir in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung deutlich gemacht, was diese derzeitige hybride Kriegsführung für unsere Sicherheit bedeutet. Nämlich dass hybride Angriffe auch darauf zielen, unsere freie und demokratische Gesellschaft zu spalten. Das heißt, Investitionen in unsere Infrastruktur, in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, in unsere Demokratie, sind alles auch Investitionen in unsere Sicherheit. Weil Putin auch in jüngerer Vergangenheit immer wieder unterstrichen hat, Ziel seiner hybriden Kriegsführung ist auch und gerade die Spaltung der liberalen und freien Gesellschaften Europas.
  • Sechstens: Auch wenn das der wohl heißeste Moment seit Ende des Kalten Krieges ist, müssen wir weiter besonnen und mit einem kühlen Kopf handeln.
    Das heißt auch: Wir betrachten Investitionen in unsere europäische Sicherheit weiter auch als Investitionen in unsere transatlantischen Beziehungen. Auch dauerhaften Frieden für die Ukraine wird es eher mit als ohne oder gar gegen Washington geben.

Bei all dem gilt: Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wir müssen jetzt schnell handeln - europäisch und national. Bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung können wir damit nicht warten, denn die Lage ist ernst.

Deutschland muss an dieser historischen Wegmarke Führung einnehmen. Das sollten in den Wochen des Übergangs in Berlin alle demokratischen Parteien in engster Abstimmung zwischen der amtierenden und der künftigen Bundesregierung tun. Die Welt schaut auf uns, insbesondere in Europa, aber niemand auf der Welt wartet, bis wir hier Verhandlungen in Deutschland abgeschlossen haben.

Wir leben in unsicheren Zeiten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Aber wenn wir in diesen Momenten, in diesen Tagen, erneut, wie schon einmal vor drei Jahren, in Deutschland und in Europa die richtigen Weichen stellen, dann wird Europa zeigen, was es im Kern ausmacht: Ein starkes Friedensprojekt. Frieden in Freiheit für seine Millionen Bürgerinnen und Bürger. Ein Friedensprojekt, das in die Welt ausstrahlt.

Slava Ukraini. Es lebe Europa!“

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