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Rede von Außenminister Wadephul zur Eröffnung der Kiel Security Conference
Übersetzung aus dem Englischen

Die Ostsee ist meine Heimat.
Wenn ich auf diese See schaue, dann fühle ich Weite und Freiheit.
Aber gleichzeitig fühle ich auch eine tiefe Verbundenheit.
An einem klaren Tag kann ich von den Kais und Stränden Kiels unsere europäischen Nachbarn sehen.
Die Fähren aus Göteborg, Tallinn oder Helsinki.
Aber heute hat sich die Aussicht auf dieses Meer verändert.
Wenn Sie aus dem Fenster zu Ihrer Rechten schauen, können sie viel mehr „graue Schiffe“ erkennen als noch vor wenigen Jahren – Marineschiffe aus allen Regionen des NATO-Bündnisses.
Sie sind aus einem Grund hier: Um uns zu schützen.
Denn die Ostsee ist zu einem gefährlichen geopolitischen Hotspot geworden.
Ein Gebiet, in der die Gefahr einer militärischen Konfrontation real geworden ist.
Ein Gebiet, in dem Russlands aggressive hybride Aktivitäten unseren Frieden und unsere Sicherheit untergraben.
Die Ostsee ist eine Schlüsselregion für die Sicherheit Europas.
Die jüngsten Ereignisse erinnern uns daran, wie ernst die Bedrohung geworden ist:
Schiffe, die ihre Anker über den Meeresboden ziehen, um Datenkabel und Pipelines für den Energietransport zu beschädigen. Russische Frachter, die vor deutschen Häfen liegen und unter dem Verdacht stehen, als Plattformen für Überwachungsdrohnen zu dienen. Russische Sicherheitskräfte, die über Nacht Grenzbojen aus estnischen Gewässern entfernen. Russische Kriegsschiffe, die aggressiv agieren - und russische Flugzeuge, die immer häufiger den NATO-Luftraum verletzen.
Diese hybriden Aktivitäten und militärischen Provokationen sind gefährlich.
Und sie folgen einem Muster.
Sie sind darauf ausgerichtet, unsere Gesellschaft zu destabilisieren und unsere Reaktionsfähigkeit zu testen.
Präsident Putin versteht die geostrategische Bedeutung des Ostseeraums.
Und er sucht permanent nach Schwachstellen.
Darum sind wir hier, um zu fragen: Wie können wir die Sicherheit dieser Region weiterhin gewährleisten?
Wie können wir sicherstellen, dass die Ostsee ein Meer der Verbundenheit und der Zusammenarbeit bleibt – und nicht zu einer See der Konfrontation und des Konflikts wird?
Ich möchte drei Bereiche hervorheben, die ich für entscheidend halte.
Erstens brauchen wir eine starke und flexible Militär- und Sicherheitspräsenz im Ostseeraum.
Wenn uns die vergangenen Jahre eines gelehrt haben, dann das: Wir können der russischen Bedrohung nur aus einer Position der Stärke heraus begegnen.
Deswegen sind Übungen wie BALTOPS so wichtig, zu der über 9000 Soldatinnen und Soldaten aus dem gesamten NATO-Gebiet zusammenkamen.
Deswegen trägt auch die deutsche Luftwaffe regelmäßig zum Air Policing bei, also zur Luftraumüberwachung– über der Ostee, Polen und der östlichen NATO-Front, zum Schutz unseres Luftraums vor russischen Provokationen.
Und deswegen stationieren wir eine deutsche Brigade in Litauen. Das ist ein klares Signal aussendet: Deutschland wird helfen, jeden Quadratzentimeter an NATO-Territorium zu verteidigen.
Denn wir wissen: Die Sicherheit des Ostseeraums ist die Sicherheit Deutschlands.
Aber für eine glaubwürdige und rasche Verteidigung und Abschreckung brauchen wir mehr als Schiffe, Flugzeuge und Soldaten.
Wir brauchen auch die Infrastruktur für ihren Transport: Straßen, Brücken, Häfen und Flugplätze.
Jeder in Schleswig-Holstein kann vermutlich eine Straße oder einen Hafen nennen, die bzw. der sanierungsbedürftig ist.
Ein einziger Blick auf die Landkarte lässt zeigt: Ein Land wie Deutschland im Herzen Europas spielt eine entscheidende Rolle für die Reaktion unseres Bündnisses auf Bedrohungen.
Darum unterstützen wir den Vorschlag von NATO-Generalsekretär Rutte, nicht nur 3,5 Prozent unseres BIP für militärische Zwecke aufzuwenden, sondern auch 1,5 Prozent für einschlägige Infrastruktur und Cybersicherheit.
Dies ist gut für unsere Sicherheit und unsere Wirtschaft.
Das zweite Thema, das ich ansprechen möchte, ist dieses: Eine Region, die so eng verbunden ist wie der Ostseeraum, braucht eine kohärente Sicherheitspolitik – auf nationaler Ebene, in der der NATO und innerhalb der EU.
Deshalb arbeiten wir an einem einheitlichen Ansatz im Hinblick auf hybride Bedrohungen.
Einer der effektivsten Wege, hybriden Aktivitäten zu begegnen, ist Prävention.
Und die beste Prävention ist Früherkennung. Dafür braucht es ein klares Lagebild.
Die Mission Baltic Sentry leistet bereits jetzt einen wertvollen Beitrag dadurch, dass sie unser Bild von der Bedrohungslage für die maritime Infrastruktur verbessert.
Und gerade in diesem Monat testet die NATO unbemannte Überwasserfahrzeuge, um die Gewässer der Ostsee zu überwachen – ausgestattet mit KI-betriebenen Navigationssystemen, akustischen Sensoren und modernen Instrumenten zur maritimen Überwachung.
Das Tempo und der Umfang, mit dem die NATO dieses Projekt durchführt, sind beeindruckend.
Wir werden dieses Engagement auch in anderen Bereichen brauchen: etwa beim besseren Abwehren von Cyberangriffen oder beim stärkeren Vorgehen gegen russische Geheimdienstnetzwerke.
Auf nationaler Ebene erfordert das eine Bündelung von Informationen – aus verschiedenen Bundesbehörden, der Polizei, dem Zoll und den lokalen Behörden. Das ist auch das, was wir mit der Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats in Deutschland erreichen wollen.
Für das NATO-Bündnis bedeutet das: mehr Informationen teilen, mehr Abschreckung und eine vertiefte Zusammenarbeit auf allen Ebenen.
Diese Bemühungen werden uns auch dabei helfen, entschlossen gegen Russlands sogenannte Schattenflotte vorzugehen.
Direkt vor unseren Augen nutzt Russland alte, unsichere Schiffe, um Öl zu exportieren und seinen Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren.
Nach jüngsten Schätzungen werden 70 bis 80 Prozent des russischen Rohöls über die Ostsee exportiert.
Deswegen ist es so wichtig, dass die EU beschlossen hat, Hunderte Schiffe der Schattenflotte mit Sanktionen zu belegen.
Wir sollten alle uns zur Verfügung stehenden rechtlichen und behördlichen Instrumente nutzen, um diese Aktivitäten weiter einzudämmen. Dafür setze ich mich ein.
Mein dritter Punkt ist eigentlich die Grundlage für alles andere: Wir müssen als Gesellschaft unsere Resilienz stärken.
Resilienz ist zu einem Modewort geworden, das gerne von Politikern genutzt wird – es klingt gut, aber niemand weiß genau, was damit gemeint ist.
Wenn man einen Psychologen fragt, wird er sagen, dass Resilienz die Fähigkeit einer Person ist, auch unter Stress und Widrigkeiten ihr Wohlbefinden aufrechtzuerhalten.
Präsident Putin testet die Resilienz Europas aus –mit Schiffen und Flugzeugen, aber auch mit Cyberangriffen, Sabotageakten und Desinformationskampagnen.
Was also bedeutet Resilienz für eine Gesellschaft?
Es bedeutet Stärke zu zeigen, wenn wir herausgefordert werden.
Es bedeutet, vorbereit zu sein – nicht nur mit Truppen und Material, sondern auch mit der richtigen Mentalität.
Und das, liebe Baiba, ist genau das, was wir von unseren Freundinnen und Freunden in den baltischen Staaten lernen können:
Das Verständnis dafür, dass Freiheit ein kostbares Gut ist.
Der Glaube, dass die Verteidigung einer Gesellschaft mehr beinhaltet als Bunker und Bomben.
Das Wissen, dass Sicherheit die Grundlage für alles andere ist.
In Deutschland hat seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs ein Mentalitätswandel begonnen.
Wir sind der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine.
Wir investieren massiv in die Bundeswehr.
Und wir haben unseren Verteidigungshaushalt von den Zwängen der Schuldenbremse befreit.
Aber damit ist es nicht getan.
Auch nach drei Jahren Krieg in der Ukraine glauben manche in Deutschland noch immer, dass der Konflikt nicht zu uns kommen kann.
Aber die Wahrheit ist:
Auf absehbare Zeit müssen wir unsere Sicherheit gegen Russland und nicht mit Russland organisieren.
Wenn wir keine starken und klaren Grenzen setzen, wird die russische Aggression immer näher kommen.
In vier Tagen wird es ein Treffen in Den Haag geben, das möglicherweise eines der entscheidendsten Gipfeltreffen in der Geschichte der NATO sein wird.
Wir werden uns auf eine neue Verteidigungsinvestitionszusage verständigen – um unsere Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit gegen die russische Aggression zu stärken.
Deutschland wird alles dafür tun, diesen Gipfel zu einem Erfolg zu machen.
Wir werden bei daür eine zentrale Rolle übernehmen: mehr Investitionen, mehr Ausrüstung, mehr Truppen und verstärkte Bereitschaft.
Das wird uns als Regierung, aber auch als Gesellschaft viel abverlangen.
Aber ich bin überzeugt: Wir können diese Aufgabe meistern.
Meine Damen und Herren,
wenn ich auf die Ostsee blicke, fühle ich noch immer, was ich in meiner Jugendzeit fühlte:
Freiheit und Verbundenheit.
Die Ostsee bleibt ein Meer der Zusammenarbeit und der Kommunikation.
Aber jetzt müssen wir unsere gemeinsamen Anstrengungen auf eine Priorität ausrichten, die über allem steht: Die Sicherheit dieser Region zu wahren.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.