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"Rückzug der USA hat schwerwiegende Folgen"

08.11.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (07.11.2017)

Außenminister Sigmar Gabriel gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (07.11.2017):

Das erste Regierungsjahr des US Präsidenten Donald Trump hat die Welt sichtbar verändert. Was für viele Beobachter verstörend und widersprüchlich aussieht, folgt durchaus einer innenpolitischen Strategie: Er verfolgt konsequent seine Wiederwahl in drei Jahren. Außenpolitik spielt keine eigene Rolle im Sinne einer globalen Verantwortung der USA für die liberale Weltordnung, für Frieden oder für die Bewältigung der großen Menschheitsbedrohungen wie dem Klimawandel oder dem Hunger auf der Welt. Außenpolitik ist eine bloße Ableitung dieser innenpolitischen Strategie. Nicht zuletzt deshalb ist der klassische außenpolitische Apparat der US-Regierung spürbar finanziell und personell gestutzt worden und versucht mit den verbliebenen Instrumenten die schlimmsten Folgen dieses Neo-Isolationismus zu bewältigen.

Donald Trump interpretiert seine Wahl als Ausdruck eines massiven Angriffs auf das politische Establishment in den USA. Industriearbeiter, die amerikanische Mittelklasse und auch viele Vertreter der Einwanderergesellschaft sahen und sehen ihren „amerikanischen Traum“ als gefährdet oder unerreichbar an. Washington, die beiden großen Parteien der Demokraten und Republikaner, die Wall-Street, die West- und Ostküsten-Eliten gelten als abgehoben, selbstbezogen und desinteressiert am Alltag dieses Teils der amerikanischen Gesellschaft. Diese Verunsicherung und Abwendung von den politischen und wirtschaftlichen Eliten ist keine neue Erscheinung in den USA. Paradoxer Weise hatte schon Barack Obama seine erste Wahl als Anti-Establishment-Kampagne und als Außenseiter des Washingtoner Politikbetriebs gewonnen. Der Drang es dem Establishment endlich mal zu zeigen, war sogar größer als der weiße Rassismus in Amerika. Und auch Bernie Sanders überraschende Popularität entstammt dieser Anti-Establishment Bewegung. Als Hillary Clinton dann die Vorwahlkampagne gegen den selbst ernannten Sozialisten Bernie Sanders innerhalb der Demokratischen Partei gewann, liefen manche Wähler direkt zu Donald Trump über. Der Schlachtruf Donald Trumps „America first“ ist also Ausdruck dieses Grundgefühls seiner Wählerschaft, dass ihre Interessen „endlich“ wieder zur Geltung kommen sollen. Trumps Wahl war in diesem Sinn eine „Can you hear me now“ Wahl. Und die Lehre aus der Wahl für alle anderen in den USA und in Europa lautet: wer die Arbeiter des Rustbelt vergisst, dem helfen die Hippster Kaliforniens auch nichts mehr.

Für uns in Deutschland und Europa hat dieser Rückzug der USA aus der internationalen Politik schwerwiegende Folgen. Die liberale Weltordnung, wie wir sie kennen, mit ihren Ansprüchen auf Demokratie, Freiheit, Achtung der Menschenrechte und der Stärke des Rechts, basierte bis heute natürlich auf dem westlichen Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Mehr noch: die USA waren Begründer und Motor dieser liberalen Weltordnung. Sicher, sie ist weder perfekt noch ausreichend sozial, sie sichert nur unzureichend den Frieden und sie schafft viel zu wenig Gerechtigkeit. Aber sie war eine verlässliche Plattform für all das engagiert einzutreten und ein Mehr an Freiheit, ein Mehr an Gerechtigkeit und ein Mehr an Demokratie zu kämpfen. Die USA waren trotz aller Fehler, trotz aller Schwächen immerhin mehr als 200 Jahre die Vertreter einer aufgeklärten Moderne in der Welt. Es ist bitter zu sehen, wie das Land der Moderne nun zu einem Land der Anti-Moderne gemacht werden soll. Nationalistisch statt weltoffen, egoistisch statt am Wohl aller interessiert. Ausgerechnet Amerika, das uns in Deutschland und in Europa seit dem Ende des II. Weltkrieg vor dem Rückfall in die reaktionären Zeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert bewahrt hat, wird nun selbst von einer reaktionären Politik geführt.

Präsident Trump begreift die Welt als Kampfarena, in der nicht die Stärke des Rechts, sondern das Recht des Stärkeren gilt. Das Vakuum, das die USA in der liberalen Weltordnung hinterlassen, wird von anderen weitaus autoritäreren politischen Ideen gefüllt werden. So ist das derzeit einzige Land auf der Welt, das über eine langfristige Geostrategie verfügt, China – mit ganz anderen Ansprüchen auf Demokratie, Menschenrechte und Freiheit. Wir Deutschen allein werden dieses Vakuum nicht füllen können. Deshalb müssen wir auch um die USA kämpfen. „Hoping for the best – preparing for the worst“ ist wohl die beste Zusammenfassung für das, was vor uns steht.

Aber selbst in der Zeit nach Donald Trump wird das transatlantische Verhältnis nie mehr so eng sein wie es im letzten Jahrhundert war. In wenigen Jahren wird die Mehrheit der US-Amerikaner keine europäischen Wurzeln mehr haben, sondern asiatische, lateinamerikanische und afrikanische. Auch ein liberales Amerika wird mehr nach Asien und Afrika und weniger nach Europa blicken. Europa muss deshalb selbst stärker und ein neuer Anker werden. Dazu muss sich Europa aber dramatisch verändern. Es ist nach innen gegründet, um Frieden und Wohlstand gegründet und hatte nie den Auftrag zu einem weltpolitischen Akteur zu werden. Genau das muss sich ändern. Europa muss nach innen stärker werden, damit es sich nach außen zur internationalen Interessenvertretung seiner Bürgerinnen und Bürger entwickeln kann. Deutschland kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Als größte Volkswirtschaft Europas sind wir auf das Wohlergehen unserer Nachbarländer angewiesen, denn 60 Prozent unserer Waren und Dienstleistungen verkaufen wir dort und nicht in China oder den USA. Nur wenn es diesen Nachbarn gut geht, werden unsere Kinder Arbeit haben. Und nur dann werden unsere Nachbarn bereit sein, gemeinsam mit uns Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Diese Verantwortung Europas wird unbequem sein, gerade für uns Deutsche. Aber ohne Europa werden wir in Zukunft allein stehen in dieser Welt.

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