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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth zur Verleihung des Adenauer-de Gaulle-Preises an die Beruflichen Schulen Kehl

06.11.2017 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrter Herr Cleiß,
sehr geehrte Mitglieder der Jury für den Adenauer-de Gaulle-Preis,
liebe Nathalie Loiseau,
liebe Gäste,

ich gestehe es freimütig vorab: die Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Schulen Kehl haben mir etwas voraus, sie lernen nämlich Französisch. Und hier steht jetzt ein leibhaftiger Staatsminister und Beauftragter für die deutsch-französischen Beziehungen, der leider nur wenige Brocken Französisch spricht. Ich habe in der Schule nämlich Latein gelernt, aber damit hätte ich keine Ausbildung in Frankreich machen können. Die Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Schulen Kehl hingegen werden auch dank der richtungsweisenden Ausbildungen mit ihren Sprach - und Fachkenntnissen gefragte Spezialisten in Frankreich sein.

Ich freue mich, heute Abend zusammen mit meiner französischen Kollegin Nathalie Loiseau den diesjährigen Adenauer-de Gaulle-Preis an die Beruflichen Schulen Kehl verleihen zu können. Die Auszeichnung wird an Personen, Initiativen oder Institutionen verliehen, die einen herausragenden Beitrag zur Festigung der deutsch-französischen Freundschaft geleistet haben.

In meinen vier Jahren als Beauftragter für die deutsch-französischen Beziehungen habe ich gelernt, dass es so etwas wie Freundschaft zwischen zwei Ländern tatsächlich geben kann. Deutschland und Frankreich haben jahrhundertelang Krieg gegeneinander geführt, ganz besonders grausame im vergangenen Jahrhundert – wer wüsste das besser als Sie, liebe Gäste, die Sie aus dem Elsass heute hierher nach Berlin gekommen sind. Frankreich und Deutschland nehmen für sich in Anspruch, die sogenannte Erbfeindschaft überwunden und zu einer verlässlichen Partnerschaft gefunden zu haben.

Wenn es richtig gut lief, waren wir sogar zuverlässiger Motor und Impulsgeber für das vereinte Europa. An diese gute Tradition müssen wir jetzt endlich wieder anknüpfen. Die Zeit ist reif!

Wenn wir wirklich ein Motor für Europa bleiben möchten, dann müssen wir in Europa endlich wieder mutig voranschreiten. Mit seinen ambitionierten Reden in Athen und an der Sorbonne hat uns Präsident Macron daran erinnert, wie außerordentlich bedeutsam ein gutes deutsch-französisches Miteinander für die europäische Zusammenarbeit ist. Ein Miteinander, das sich nicht auf Worthülsen, Formeln und Überschriften beschränkt, sondern Europa substanziell voran bringt.

Dabei ist ja nicht so, dass unsere beiden Länder immer einer Meinung sind. Oft kommen wir von unterschiedlichen Positionen, haben unterschiedliche Interessen. Doch wir nähern uns an, finden Wege der Verständigung und bereiten so manch einem europäischen Kompromiss den Weg.

Das ist jetzt wichtiger denn je. Wir müssen Europa in einer globalisierten, krisenhaften Welt neu positionieren und weiter entwickeln.

Und manchmal sind wir sogar Pioniere. Gerade im Grenzgebiet probieren wir Dinge aus, die anschließend Vorbild sind für andere, wie ein Versuchslabor für die Europäische Integration. Unsere hochrangigen Tagungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, zuletzt im April in Hambach, zeigen, was alles möglich ist, um bürgernahe, unbürokratische, konkrete Lösungen für Fragen des grenzüberschreitenden Verkehrs, kultureller Veranstaltungen oder polizeilicher Zusammenarbeit anzubieten. Auch die Beruflichen Schulen Kehl leisten dazu ihren Beitrag.

Die Wahl der Beruflichen Schulen Kehl für den Adenauer-de Gaulle-Preis stützt sich auf den Vorschlag einer deutsch-französischen Jury, die die Gesellschaft Frankreichs und Deutschlands in ihrer Vielfalt repräsentiert.

Es ist eine neu einberufene Jury, und ich freue mich, dass sie die sich bietende Chance genutzt hat, den Preis neu auszurichten, um verstärkt solche Preisträger zu identifizieren, deren praktische Arbeit besonders gesellschaftlich und politisch relevant ist. Ich freue mich, einige Jurymitglieder hier heute begrüßen zu können.

Mit der diesjährigen Preisverleihung würdigen wir die richtungsweisende praktische Arbeit der Beruflichen Schulen Kehl. Die angebotenen Bildungsgänge und Ausbildungen sollen ein grenzüberschreitendes Leben und Arbeiten am Oberrhein ermöglichen. Und dazu gehört nicht nur das Lernen der Nachbarsprache, sondern auch eine bewusste Förderung der grenzüberschreitenden Mobilität von Schülerinnen und Schülern, Auszubildenden und Lehrkräften. Lehrkräfte und Ausbilder schauen auch auf die Erfordernisse des Nachbarlands und binden diese in ihr Ausbildungskonzept ein.

Was muss berufliche Bildung alles leisten? Sie muss neben der Vermittlung genereller Fertigkeiten auch die konkreten Bedürfnisse der Unternehmen vor Ort im Blick haben und Ausbildung so strukturieren und umsetzen, dass die erfolgreichen Absolventen ihren Platz als gut ausgebildete Fachkräfte in der Arbeitswelt finden. In Deutschland versuchen wir dies durch unser duales Ausbildungssystem zu erreichen, bei dem Staat, Wirtschaft und Sozialpartner in enger Zusammenarbeit Theorie und Praxis so eng miteinander verzahnen, dass die Ausbildung den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes entspricht.

Aber berufliche Bildung ist nicht nur ein Instrument der Wirtschaft: Unternehmen, Schulen und Staat tragen gemeinsam soziale Verantwortung. Im konkreten Fall der Beruflichen Schulen Kehl und ihrer Partnerorganisationen wird die Berufsbildung zu einem gesellschaftlichen Stabilitätsanker, sie bietet jungen Menschen neue Chancen, alternative Karrierewege und die Möglichkeit zu sozialer Teilhabe.

Durch ihre Angebote für grenzüberschreitende Mobilität führen die Beruflichen Schulen Kehl beispielhaft vor, wie man Chancen für gegenseitiges Lernen eröffnet und für die persönliche Entwicklung von Auszubildenden sorgt.

Die Beruflichen Schulen Kehl leisten mit ihren gezielten Schulungsangeboten viel: sie wirken dem Fachkräftemangel auf deutscher Seite und der bestehenden Jugendarbeitslosigkeit auf französischer Seite entgegen. Letztlich sind es Einrichtungen wie die Beruflichen Schulen Kehl die die deutsch-französische Freundschaft lebendig halten.

Meine Damen und Herren,

Ich habe vor zwei Jahren die Badischen Stahlwerke besucht, einen der Partner unseres heutigen Preisträgers. Und dort habe ich sie getroffen, junge französische Azubis, die ihre Ausbildung in den Beruflichen Schulen Kehl und in einem deutschen Betrieb machen.

Mich hat damals beeindruckt, dass sich junge Menschen ohne Fremdsprachen-kenntnisse, oft Schulabbrecher, dafür entscheiden, tagtäglich den Rhein zu überqueren, um in Kehl eine neue Chance zu ergreifen.

Und besonders schön ist es, wenn das dann auch noch von Erfolg gekrönt wird – wie bei Pierre Kurtz, einem Franzosen, der an den BSK lernte und seine Ausbildung bei den Badischen Stahlwerken machte.

Er wurde Anfang dieses Jahres als bester„deutscher“Prüfungsteilnehmer im Ausbildungsberuf„Fachkraft für Metalltechnik“ausgezeichnet. Er ist also der erste Bundessieger aus Frankreich. Félicitations, cher Pierre!

Die Arbeit der Beruflichen Schulen Kehl strahlt auch über die Region – und damit meine ich hier Oberrhein und Elsass – hinaus:

Die grenzüberschreitende Ausrichtung bewirkt nicht nur persönlich bereichernde Erfahrungen der Auszubildenden, verdichtet nicht nur das Netz der regionalen Bindungen, sondern trägt auch zur Stärkung der sprachlichen und kulturellen Zusammenarbeit der beiden Partnerländer Deutschland und Frankreich bei.

Die Beruflichen Schulen Kehl sind vorbildlich; ihr Beispiel kann und sollte Schule machen, nicht nur für andere Regionen in Deutschland oder in Frankreich, sondern in ganz Europa. Gerade dieses Modell zeigt, wie die Elemente des dualen Ausbildungssystems auch über Grenzen hinweg angepasst werden können.

Sicher gilt es dabei, auch Hindernisse zu überwinden. Ich weiß, dass unser deutsches Sprichwort „Handwerk hat goldenen Boden“ nicht überall gilt, dass es Eltern und Jugendliche gibt, bei denen Berufsbildung gegenüber akademischer Bildung ein schlechtes Image hat.

Ich weiß auch, dass Unternehmen bisweilen die Investitionen in Ausbildung und die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen scheuen, manchmal aus der Angst heraus, die gut ausgebildeten Menschen könnten dann von der Konkurrenz abgeworben werden.

Aber die Vorbehalte werden sich legen, sobald sich zeigt, dass die duale Berufsausbildung eine sichere, gute Jobaussicht mit internationalen Perspektiven bietet und bedarfsgerecht qualifizierte Arbeitnehmer den Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil sichern. Der Erfolg von ausgewählten Vorbildern, wie hier der Beruflichen Schulen Kehl, macht deutlich: die Investition in berufliche Bildung lohnt.

Besonders bemerkenswert ist, was die Beruflichen Schulen Kehl zur Integration von Migranten und Flüchtlingen unternehmen.

Etwa ein Drittel der Schüler haben einen Migrationshintergrund, und die Beruflichen Schulen Kehl haben es geschafft, dass junge Menschen mit unterschiedlicher Herkunft zusammen arbeiten und leben können. Toll ist es, wenn jemand sich in diesem Rahmen so schnell integrieren kann wie Ali Babaie Alaswand. Er stammt aus dem Iran, ist 20 Jahre alt, lebt erst seit vier Jahren in Deutschland und hat gerade sein zweites Lehrjahr im Bereich „Verkäufer im Einzelhandel“ abgeschlossen. Dies allein ist eine bewundernswerte Leistung, aber darüber hinaus hat er das auch noch mit einem Notendurchschnitt von 1,4 erreicht! Bravo!

Seit 2015 kümmern sich die Beruflichen Schulen Kehl um Flüchtlinge auf ihrem Campus. Im Oktober 2015 – auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise – stellte die Schule ein Gebäude für bis zu 150 Personen zur Verfügung.

Gleichzeitig haben die Lehrerinnen und Lehrer mit Unterstützung der Gemeinden im Kehler Umland vier „Integrationsklassen“ für 70-80 junge Flüchtlinge geschaffen, die Sprachtraining, Berufsberatung und Integrationshilfe anbieten.

Ich möchte Ihnen, Herr Cleiß, danken, dass sie dies auf den Weg gebracht haben. Es braucht Menschen wie Sie, die mit Beharrlichkeit, Umsicht und Überzeugungskraft hochgesteckte Ziele verfolgen, damit positive Veränderungen auch tatsächlich – und bisweilen gegen Widerstände – erreicht werden. Aber es braucht eben auch ein Team, das mitzieht, dass sich auch von Widerständen nicht entmutigen lässt. Einige der Teammitglieder sind hier und ich begrüße sie ebenfalls sehr herzlich. Darüber hinaus möchte ich Sie, Herr Cleiß, bitten auch all den anderen Kolleginnen und Kollegen der Beruflichen Schulen Kehl unsere mit diesem Preis verbundene Anerkennung zu übermitteln.

Ich freue mich, nun gemeinsam mit meiner französischen Kollegin Nathalie Loiseau, Ihnen, Herr Cleiß, den Adenauer-de Gaulle-Preis 2017 überreichen zu können.

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