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„Das bringt die türkische Regierung hoffentlich zum Nachdenken“
Außenminister Sigmar Gabriel im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger (14.09.2017).
Außenminister Sigmar Gabriel im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger (14.09.2017).
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Herr Gabriel, wie wollen Sie die in der Türkei inhaftierten Deutschen aus den Gefängnissen holen?
Erstmal ist wichtig, dass wir überhaupt konsularischen Zugang kriegen, damit wir wissen, wie es den Inhaftierten in Haft geht. Die Türkei ist ja völkerrechtlich dazu verpflichtet, wir müssen diesen Zugang aber trotzdem immer wieder erkämpfen. Aber auch mit konsularischem Zugang haben wir noch keine Lösung, um unsere Deutschen auch freizubekommen. Deshalb versuchen wir mit diplomatischen und politischen Mitteln alles, um weiterzukommen. Ich habe ja in Ankara selbst mit Herrn Erdogan darüber gesprochen. Reden allein hat uns einer Lösung nicht näher gebracht. Jetzt haben wir Ankara wissen lassen, dass wir so nicht einfach weitermachen können. Wir bauen Druck auf, wir können Wirtschaftshilfen kürzen, Waffenlieferungen anhalten, auf diplomatischem Weg protestieren. Das bringt die türkische Regierung hoffentlich zum Nachdenken und irgendwann zum Handeln. Andererseits: An die Kulturabkommen zum Beispiel möchte ich keinesfalls Hand anlegen. Die würde ich sogar intensivieren, um all jene in der Türkei zu stärken, die nicht auf Erdogans Seite sind.
Aber derweil sitzen Denis Yücel und all die anderen weiter hinter Schloss und Riegel.
Es ist furchtbar, unschuldig im Gefängnis zu sitzen und völlig der Willkür von Behörden ausgesetzt zu sein. Und die Festnahmen erfolgen ja aus heiterem Himmel, offenbar sogar auf der Grundlage von Denunziationen und jedenfalls ohne den Betroffenen zu sagen, was ihnen eigentlich zur Last gelegt wird. In Deutschland gibt es geordnete Verfahren, Zugang von Rechtsanwälten zu Akten, Fristen, Beschwerden, Haftprüfungen. Jeder Inhaftierte hat unverbrüchliche Rechte. In der Türkei hingegen – nichts davon. Allein die Unsicherheit stelle ich mir unglaublich schwierig vor: Was passiert hier eigentlich mit mir? Was wollen die von mir? Komme ich hier jemals wieder raus? Das Problem ist nur: Je öfter wir darüber reden, je mehr Sie darüber schreiben – desto größer ist die Gefahr, dass Denis Yücel und die anderen Deutschen noch länger brummen müssen.
Haben Sie eigentlich neue Erkenntnisse im Fall des Schweriner „Pilgers“ David B., dessen Familie zum Teil in Köln wohnt? Der Mann sitzt seit fast einem halben Jahr in der Türkei fest – ohne dass bekannt ist, warum.
Wir kümmern uns um diesen Fall. Ich bitte um Verständnis: Es dient der Sache und dem Betroffenen nicht, dazu weiteres öffentlich zu besprechen.
Mit größerem Rückhalt in der EU wäre es vielleicht einfacher, Herrn Erdogan zum Einlenken zu bewegen.
Wohl wahr! Es gibt in Europa durchaus eine Ambivalenz im Verhältnis zu Deutschland. Einerseits respektieren unsere Partner die demokratischen Freiheiten, die Stabilität, unseren wirtschaftlichen Erfolg. Andererseits erleben sie seit Jahren, dass z.B. Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble mit erhobenem Zeigefinger kommen und ihnen Vorschriften machen wollen. Kein Wunder, dass jetzt so mancher in Europa die Arme verschränkt und zu uns sagt: „Ihr helft uns nicht im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit und die Wirtschaftskrise. Euer Türkei-Problem, das löst Ihr mal schön allein! Und wenn Ihr wirtschaftlich Druck machen wollt – okay! Ihr seid reich, Ihr könnt Euch das leisten. Wir nicht. Wir wollen gute Beziehungen mit Ankara. Die setzen wir Euretwegen nicht aufs Spiel.“ Es war vielleicht der größte Fehler von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, dass sie dieses Auseinanderdriften Europas mit betrieben haben. Helmut Kohl hätte so etwas nie gemacht. Eine der zentralen Voraussetzungen für die Zukunft unseres Landes ist, dass wir Europäer beieinander bleiben. In unseren Werten und in unserem Handeln.
Sie sehen die Europäer auseinander?
Der schlimmste Satz, den ich nach der Aufnahme der Flüchtlinge 2015 von einem europäischen Kollegen gehört habe, lautete: „Dass ihr Deutschen Europa wirtschaftlich führt, das wissen wir. Dass ihr es politisch führt, daran hatten wir uns auch schon fast gewöhnt. Aber jetzt wollt ihr uns auch noch moralisch führen?“ Das sind die Folgen einer Oberlehrer-Pose, die gerade die kleineren EU-Mitgliedstaaten als respektlos empfunden haben. Damit sich das wieder ändert, wünsche ich mir, dass Martin Schulz Bundeskanzler wird.
Es war doch Herr Schulz, der im TV-Duell vorgeprescht ist und das Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei als erstes Ziel seiner etwaigen Kanzlerschaft proklamiert hat.
Martin Schulz hat nur ausgesprochen, was doch längst Realität ist – und wofür Herr Erdogan verantwortlich ist. Die Türkei verlässt unter seiner Herrschaft in rasantem Tempo den Weg, der womöglich zu einem EU-Beitritt führen könnte. Wenn ein deutscher Politiker im Wahlkampf nicht das sagen würde, was 99 Prozent der Deutschen wissen und denken, dann wäre das doch ein Problem.
Interview: Lutz Feierabend, Joachim Frank, Wolfgang Wagner und Jan Wördenweber