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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth im Deutschen Bundestag zu „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“

29.06.2017 - Rede

Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein Blick in die Welt von heute mit ihren Krisen und Konflikten zeigt: Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind dringlicher denn je. Unsere Außen- und Sicherheitspolitik ist genau diesen Prinzipien verpflichtet. Wir wissen doch: Mehr Waffen tragen nicht zu mehr Sicherheit in Europa und der Welt bei. Aber der Weg hin zu einer friedlicheren Welt mit weniger Waffen ist derzeit ein besonders mühsamer und steiniger. Vermutlich war es seit dem Fall der Mauer, dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes und der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas noch nie so schwierig.

Unsere Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und die militärischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine haben an den Grundpfeilern der europäischen Sicherheitsordnung gerüttelt.

In unserer europäischen Nachbarschaft sorgen in Syrien und anderswo bewaffnete Konflikte für Angst und Schrecken. Und nicht nur das: Die seit Jahrzehnten gewachsene Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur steht unter einem massiven Druck. Dem müssen wir uns stellen.

Deshalb hat die Bundesregierung angesichts der wachsenden Sorge um Europas Sicherheit Mitte 2016 eine Initiative für einen umfassenden Neustart der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa ins Leben gerufen.

Damit wollen wir wieder mehr Vertrauen und Berechenbarkeit erreichen, das militärische Risiko verringern und einem drohenden Rüstungswettlauf entgegenwirken. Diese Initiative hat unter unseren EU-Partnern viel Zuspruch erfahren.

Während des deutschen OSZE-Vorsitzes 2016 haben wir im Konsens einen Dialog vereinbart. Er soll sich zunächst den grundsätzlichen Bewährungsproben für unsere gemeinsame Sicherheit in Europa zuwenden. Darauf wollen wir aufbauen, um Grundlagen für die so schwierigen Fragen der Rüstungskontrolle zu schaffen.

Im Bereich der nuklearen Abrüstung setzt sich Deutschland seit vielen Jahren gegenüber den Atommächten und in internationalen Abrüstungsgremien intensiv für konkrete Fortschritte ein. Dabei gibt es durchaus Licht und Schatten:

Ich selbst habe im April 2015 in New York an der Konferenz der Vereinten Nationen zur Nichtverbreitung von Atomwaffen teilgenommen. Leider ist es am Ende dieser Konferenz nicht gelungen, ein ambitioniertes Abschlussdokument zu unterzeichnen.

Das ist unbefriedigend. Aber auch von solchen Rückschlägen und Enttäuschungen dürfen wir uns nicht entmutigen lassen. Ja, es mag einfacher sein, sich mit Gleichgesinnten zusammen zu setzen und sich über die Zustände dieser Welt zu empören.

Ich werbe aber dafür, gerade bei der Debatte über eine Welt ohne Atomwaffen die an den Tisch zu holen, in deren Besitz diese Waffen sind. Nur so lassen sich überhaupt Fortschritte erzielen. Und beharrliche Diplomatie kann sich eben am Ende auch auszahlen!

Nehmen Sie beispielsweise Iran: Nach mehr als zehn Jahren schwieriger Verhandlungen haben wir 2015 gemeinsam mit der EU, USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien Iran den Weg zur Atombombe dauerhaft und nachprüfbar verschlossen. Kürzlich hat die Internationale Atomenergie-Organisation nochmals bestätigt: Iran hält seine nukleartechnischen Verpflichtungen aus der Wiener Vereinbarung bislang ein.

Wir arbeiten am Ziel einer Welt ohne Atomwaffen – oder wie es in Fachkreisen heißt: „Global Zero“. Dabei wissen wir: Dieses ehrgeizige Ziel lässt sich nicht über Nacht erreichen. Nukleare Abrüstung erfordert vielmehr einen langen Atem – und Vertrauen zwischen den Partnern.

Daher müssen wir uns auch unter schwierigen Umständen, auch gerade jetzt im Angesicht der vielen aktuellen Konflikte und Krisen, für neues Vertrauen, für neue Initiativen und für neuen Mut bei der Abrüstung einsetzen.

Es gab auch Fortschritte: Die nuklearen Arsenale aus der Zeit des Kalten Krieges sind seit den späten 1980er Jahren um fast 90 Prozent reduziert worden. Um aber unser Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt zu erreichen, müssen in erster Linie die Nuklearwaffenstaaten bereit sein, diesen Weg mitzugehen. Hier brauchen wir mehr Entschlossenheit vor allem bei den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien.

Das bleibt ein langer, beschwerlicher Weg. Ich rate aber davon ab, eine vermeintliche Abkürzung zu nehmen: ein schlichtes Verbot von Nuklearwaffen kann und wird in dem gegenwärtigen sicherheitspolitischen Umfeld nicht zu realer Abrüstung führen und die Welt auch nicht sicherer machen. Durch ein solches Verbot wird keine einzige Atomwaffe verschrottet.

Für die Bundesregierung ist und bleibt deshalb der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) die Basis für alle Bemühungen um Abrüstung im nuklearen Bereich. Wir sehen die große Gefahr, dass die Bedeutung des alles in allem erfolgreichen Vertrags mit seinen Instrumenten und Verbindlichkeiten durch ein Nuklearwaffenverbot relativiert wird.

Seit seinem Inkrafttreten 1968 hat der NVV zahlreiche Staaten davon abgehalten, sich nuklear zu bewaffnen und zum Teil sogar davon überzeugt, Nuklearwaffen abzubauen.

Für die Bundesregierung steht fest: Wir wollen nicht an einem Nuklearwaffen-verbot mitarbeiten, welches den Nichtverbreitungsvertrag in seiner zentralen Rolle untergräbt.

Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm wird immer mehr zu einer Bedro-hung für den Weltfrieden. Nordkorea ist der einzige Staat im 21. Jahrhundert, der Atomtests durchführt – allein zwei in den vergangenen Monaten. In dieser brandgefährlichen Lage muss das vom VN-Sicherheitsrat und der EU beschlossene harte Sanktionsregime konsequent umgesetzt werden.

Völlig inakzeptabel, ja barbarisch ist der wiederholte und fortdauernde Einsatz chemischer Waffen in Syrien und im Irak. Diesem widerlichen Tabubruch müssen wir entschieden begegnen – mit klaren Konsequenzen für die Verantwortlichen. Auch deshalb unterstützen wir die Untersuchungsgremien der OVCW und der Vereinten Nationen 2016 mit Personal und Geld.

Zu den größten Gefahren für den Weltfrieden gehört es, dass Massenvernich-tungswaffen in die Hände von Terroristen gelangen könnten. Im Falle Libyens hat sich die Bundesregierung im vergangenen Jahr an einer internationalen Operation beteiligt, die Restbestände an chemischen Substanzen aus dem libyschen Chemiewaffenprogramm außer Landes brachte und damit dem Zugriff der Terrororganisation IS entzog. Diese Substanzen werden bis Ende dieses Jahres in Deutschland fachgerecht vernichtet.

Nach wie vor wird Streumunition in Konflikten, etwa in Syrien und Jemen eingesetzt. Wie furchtbar! Wir müssen endlich diese Waffenart weltweit ächten und verbieten. Auch hier strengen wir uns besonders an und haben deshalb im September 2016 für ein Jahr den Vorsitz der Streumunitionskonvention übernommen.

Auch der Bereich der letalen autonomen Waffensysteme (LAWS), wir sprechen hier oft von Drohnen, muss geregelt werden. Wenn Entscheidungen über Leben und Tod ohne menschliche Einflussnahme von Algorithmen getroffen würden, so wirft das schwierige ethische, völkerrechtliche und politische Fragen auf. Unter deutscher Verhandlungsführung ist es 2016 gelungen, sich auf ein Mandat für eine Gruppe von Regierungsexperten zu verständigen, die möglichst rasch klären sollen, wie wir im Rahmen des VN-Waffenübereinkommens zu verlässlichen und verbindlichen Regeln kommen.

Ja, wir können mit dem Erreichten nicht zufrieden sein. Das sollte uns aber anspornen, die Arbeit für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung fortzusetzen. Das erwarten Sie von uns. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns. Ihnen allen danke ich für die breite Unterstützung in den vergangenen vier Jahren. Sie können sich darauf verlassen: Sie haben im Außenminister, mir und dem Auswärtigen Amt auch zukünftig verlässliche Partner.

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