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„Der kalte Wind der Renationalisierung“

06.05.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel über die soziale Kraft von Bildung und Kultur - und die Freiräume für eine friedliche Welt. Erschienen im Tagesspiegel (06.05.2017).

Außenminister Sigmar Gabriel über die soziale Kraft von Bildung und Kultur - und die Freiräume für eine friedliche Welt. Erschienen im Tagesspiegel (06.05.2017).

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Herr Außenminister, Ihre Vorgänger im Amt haben Kultur unterschiedlich bewertet und gefördert. Was ist Ihre Einstellung dazu?

Wir erleben derzeit eine Neuvermessung der Welt, in der alte Ordnungsmuster nicht mehr greifen und sich immer neue Konfliktlinien auftun - selbst dort, wo wir dies nicht vermutet hätten. Gerade dann, wenn Politik und klassische Diplomatie an Grenzen stoßen, ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik unverzichtbar, um gesellschaftliche Öffnung zu befördern und Menschen Perspektiven für eine bessere Zukunft zu geben. Genau darin liegt die soziale Kraft von Kultur. Und genau deshalb arbeiten wir konsequent weiter an der strategischen Neuausrichtung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Es geht mir um eine Kulturpolitik, die für die notwendigen Freiräume von Kultur, Bildung und Wissenschaft sorgt, um eine Außenpolitik der Zivilgesellschaften.

Viele Menschen empfinden die Lage in der Welt als bedrohlich, sehen den Frieden gefährdet. Hat auswärtige Kulturarbeit da überhaupt eine reelle Chance? Muss sich Kulturarbeit im Ausland unter diesen Umständen anders orientieren?

Wir müssen den Zugang zu Kultur und Bildung stärken, um mehr von dem zu verstehen, was andere Gesellschaften umtreibt und die neue Welt-Unordnung ausmacht. Also das, was Willy Brandt einmal mit dem Begriff „compassion“ umschrieben hat - die Fähigkeit, das Leben durch die Augen anderer zu sehen und zu empfinden. Nur dann können wir gemeinsam an Lösungen arbeiten. Deshalb schaffen und pflegen wir ganz bewusst vorpolitische Freiräume - etwa in und bei schwierigen Partnern wie Iran oder Türkei oder mit dem Maßnahmenpaket der Östlichen Partnerschaft als Reaktion auf den Ukraine-Konflikt. Wir begleiten dies durch den Ausbau unserer kulturellen Infrastruktur im Ausland. Eine so verstandene Kulturpolitik hat keine rein ästhetische Funktion mehr, sondern vor allem eine soziale. Die soziale Kraft von Kultur und Bildung zu stärken ist unverzichtbar für eine friedlichere Welt.

Es gibt nicht viele Länder, die sich so intensiv um Kultur und Austausch bemühen. Wächst in der jetzigen Situation die integrative Rolle Deutschlands in der Welt, steigen die Erwartungen an uns?

Dank der Abgeordneten des Bundestages konnten wir in der laufenden Legislaturperiode den Negativtrend umkehren und die Mittel für die auswärtige Kulturpolitik deutlich erhöhen. Das zeigt: Kultur- und Bildungsarbeit im Ausland werden aus der Mitte des Parlaments heraus als eine zentrale Aufgabe gesehen. Die damit verbundene Signalwirkung ist nicht zu vernachlässigen. Viele Kulturschaffende und Wissenschaftler in der Welt knüpfen über unser Modell Kontakt zu uns und tragen die gewonnenen Erkenntnisse dann wiederum nach Hause in die eigene Gesellschaft. Wir dürfen unsere Möglichkeiten gleichwohl nicht überschätzen, sondern müssen verstärkt die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern suchen. Deshalb ist die engere Zusammenarbeit des Goethe-Instituts mit anderen europäischen Partnern, insbesondere Frankreich, so wichtig. Wir müssen dabei aber noch stärker hin zu einer echten Kooperation und der Bildung kultureller Europa-Teams kommen. Ein Beispiel dafür ist die Türkei, wo das Goethe-Institut zusammen mit dem Institut Français, schwedischen, niederländischen und türkischen Partnern kulturelle Zentren in Diyarbakir, Gaziantep und Izmir aufbaut, um so die Zivilgesellschaft in der Türkei zu stärken.

Bleiben wir beim Beispiel Türkei: Wie kann Kultur und Austausch die bedrohte Zivilgesellschaft dort stärken? Die Bundesrepublik hat erst vor wenigen Jahren die Kulturakademie Tarabya eröffnet, einen wunderschönen Ort für Kreative am Bosporus.

Die Entwicklung der Türkei sehe ich mit großer Sorge. Die Gesellschaft ist nach dem Referendum zutiefst polarisiert, der Spielraum für die Presse hat sich dramatisch verkleinert; der Fall Deniz Yücel ist leider nach wie vor ungelöst. Umso wichtiger ist es, den Dialog zu pflegen, so mühsam das auch aktuell ist. Deswegen tun wir über unsere Kultur- und Bildungsarbeit, was möglich ist, um die Gesprächskanäle offen zu halten und die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu unterstützen - vom deutlichen Ausbau des Jugendaustauschs noch in diesem Jahr über die Förderung unabhängiger Berichterstattung in der Türkei bis hin zu Stipendien für verfolgte türkische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Mit der Kulturakademie in Tarabya und der Türkisch-Deutschen Universität haben wir zudem gerade in schwierigen Zeiten wie diesen unschätzbar wichtige Orte und Plattformen für den gesellschaftlichen Austausch zwischen unseren beiden Ländern. Darüber hinaus arbeiten derzeit zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland daran, gefährdeten Kulturschaffenden und Journalisten aus der Türkei eine Weiterarbeit zu ermöglichen.

Und schauen wir nach Ungarn und Polen: Werte, die das Goethe-Institut vertritt und vermittelt, werden in diesen Nachbarländern von den Regierungen bekämpft. Was können wir da machen gegen scharfen Nationalismus und Populismus?

Der kalte Wind der Renationalisierung, der gegenwärtig durch Europa pfeift, rüttelt an den Grundfesten des gemeinsamen europäischen Hauses. Dieser Trend ist brandgefährlich. Parolen nach dem Motto „Rolle rückwärts und Schotten dicht“, wie sie uns von den Populisten aller Orten im Twitter-Format als Lösung vorgegaukelt werden, führen in die Sackgasse, denn auf die komplexen Fragen unserer Zeit vom Klimawandel über einen gerechten Welthandel bis zu den Migrationsströmen können wir nur europäisch antworten. Europa ist eine Wertegemeinschaft, auch kulturell. Deshalb beziehen wir klar Position, wenn europäische Prinzipien ausgehöhlt werden wie zuletzt im Fall der Central European University in Budapest. Und deshalb haben wir Formate wie „Dialogue on Europe“ aufgelegt, um europaweit den Dialog zu suchen und populistischen Antworten etwas entgegenzusetzen.

Auch in den USA gibt es kulturfeindliche Tendenzen. Präsident Donald Trump würde am liebsten die Kulturförderung ganz einstellen. Was versprechen Sie sich von der geplanten German Academy in New York?

Gerade die letzten Monate haben sehr deutlich gezeigt, dass die transatlantische Partnerschaft kein Selbstläufer mehr ist. Außenpolitik, zumal auswärtige Kulturpolitik, funktioniert aber nicht nach der Holzhammer-Methode und lässt sich auch nicht in 140 Zeichen pressen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir den engen Austausch mit den USA zu den uns bewegenden Themen ausbauen, auch und gerade mit den Mitteln der auswärtigen Kulturpolitik. Mit dem Thomas-Mann-Haus haben wir künftig einen idealen Ort, um im Geiste Thomas Manns wieder mehr den Blick füreinander zu schärfen. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die geplante German Academy im Herzen Manhattans. Sie soll ein offenes, transparentes Haus werden, welches innovative Köpfe dies- und jenseits des Atlantiks zusammenführt, um die relevanten Gegenwarts- und Zukunftsthemen miteinander zu erarbeiten und erfahrbar zu machen, auch mit Blick auf das für 2018 geplante Deutschland-Jahr in den USA.

Gibt es Grenzen, mit wem man spricht und Kulturaustauch betreibt, was man in Kauf nimmt, zum Beispiel in arabischen Ländern, die Menschenrechte massiv verletzen und Terror finanzieren?

Wir halten mit unserer Kritik an der Verletzung von Menschenrechten nicht hinter dem Berg. Meine Erfahrung ist aber, dass man oft im vertraulichen Gespräch mehr für die Betroffenen erreicht als durch Verlautbarungen über das Megaphon. Zudem suchen wir die Zusammenarbeit mit schwierigen Partnern, um mit den Mitteln der Kulturpolitik vorpolitische Freiräume zu schaffen, innerhalb derer sich Kultur geschützt entfalten kann. Das ist zugegebenermaßen oftmals etwas anspruchsvoller als aus der Berliner Komfortzone heraus zu fordern, dass sich andere an unseren Wertvorstellungen zu orientieren haben. Dabei ist der vorpolitische Freiraum keine Zustandsbeschreibung, sondern ein normativer Anspruch, den es stets neu zu verhandeln gilt. Ein Beispiel war die Beteiligung als Partnerland beim Janadriya-Festival in Saudi-Arabien. Wir haben dafür viel Kritik geerntet, aber nur so ist es möglich, auch auf gesellschaftliche Öffnung hinzuwirken.

Der Islamische Staat, die Taliban greifen unsere zivilen und kulturellen Werte an. Kultur ist da durchaus ein Kampfbegriff. Was setzt man dem entgegen?

Wir erleben gerade an vielen Orten der Welt eine pseudo-religiöse Aufladung von Konflikten. Wer wie ISIS religiöse Heimstätten und Kulturgüter zerstört, will Menschen ihrer Identität berauben und eine offene, humane und vielfältige Gesellschaft verhindern. Dagegen müssen wir entschieden vorgehen und mit unserer Kulturarbeit deutlich machen, dass gegen Ideologie nur Aufklärung und Differenzierung helfen. Wir dürfen das Feld nicht den Hasspredigern überlassen, die Konflikte unter dem Mantel kultureller oder religiöser Auseinandersetzung austragen.

Und eine letzte Frage: Wo liegen persönlich Ihre kulturellen Vorlieben, im Film, in der Literatur, in der Musik?

Gutes Kino, gute Bücher und guter Sound bewegen mich gleichermaßen. Aber im Herzen bin ich der Rockmusik treu geblieben. Außenpolitik und meine Leidenschaft für Rock und Blues von den Stones über BAP bis zu Lindenberg und Maffay lassen sich in meinem jetzigen Amt jedenfalls gut verbinden. Der Ton macht die Musik

Interview Rüdiger Schaper.

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