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Rede von Staatssekretär Stephan Steinlein zur Eröffnung der Veranstaltung „Landschaften der Hoffnung“ (Action for Hope) im Radialsystem V (Berlin)
Sehr geehrte Tamara al-Rifai,
sehr geehrter Fares Helou,
sehr geehrter Hamdy Reda,
sehr geehrte Gäste,
es ist nicht leicht, als Vertreter des Auswärtigen Amtes in diesen Tagen über Syrien zu reden. Führt uns dieser Konflikt doch in furchtbarer Weise die Grenzen unserer Profession vor Augen. Über viele Jahre hat mein Minister, hat Frank-Walter Steinmeier, hat unser ganzes Haus auf ein Ende des Blutvergießens in Syrien hingearbeitet, sich von Misserfolgen nicht abschrecken lassen, immer wieder neue Anläufe genommen, Ideen entwickelt, zahllose Tage und Nächte in zähen Verhandlungen verbracht - und doch ist dieser Konflikt immer blutiger, grausamer, unlösbarer geworden.
Syrien und Hoffnung - passt das überhaupt noch zusammen. Oder haben die recht, die auf die Parallele des Dreißigjährigen Krieges verweisen, der erst nach Jahrzehnten zu Ende ging, als nicht nur Deutschland selbst verwüstet war, sondern auch die vielen Nachbarn, die diesen Krieg befeuert haben, erschöpft und kriegsmüde geworden sind.
Spricht man von Syrien heute, so weckt dies Gedanken an ein Land, in dem Krieg, unfassbare Zerstörung und unermessliches Leid omnipräsent sind. Seit über fünf Jahren herrschen Tod, Folter und Vertreibung. Die Hoffnung nicht zu verlieren ist schwer - angesichts der Erfahrungen und Gräueltaten, denen die Menschen in Syrien tagtäglich ausgesetzt sind.
Und nicht nur die Menschen leiden. Orte wie Palmyra, die Große Moschee oder die Altstadt von Aleppo stehen exemplarisch für den unbeschreiblichen kulturellen Reichtum Syriens, den viele hier im Saal noch kennen dürften und den ich auch kurz vor Ausbruch des Krieges noch sehen konnte. Die architektonischen Meisterwerke sind – wie auch die UNESCO noch einmal unterstrich – ein Erbe der gesamten Menschheit! Und auch der kulturelle Reichtum des Landes wird erbarmungslos angegriffen und zerstört.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die nüchternen Zahlen können die einzelnen Schicksale nicht fassen. Ich möchte dennoch einige nennen:
Mehr als 13 Mio. Menschen in Syrien sind auf humanitäre Hilfe angewiesen - Hilfe, die sie zu oft nicht erreicht.
Mehr als 6 Mio. Menschen sind innerhalb Syriens vertrieben.
Mehr als 6 Mio. Menschen sind aus Syrien geflüchtet. Viele von ihnen haben in den Nachbarstaaten, in Europa und vor allem auch in Deutschland Zuflucht gesucht.
Und für all diese Menschen ist es wichtig, dass wir in unserem Engagement nicht aufgeben, dass wir die Hoffnung nicht verlieren. Hoffnung darauf, dass ein Frieden möglich ist. Hoffnung darauf, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft haben. Hoffnung darauf, dass Syrien, eine Weltkulturlandschaft ohnegleichen, eines Tages neu entstehen kann.
Im Moment, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sind wir von diesem Ziel weit entfernt. Die zerstörerische Kraft des Krieges wirkt tief hinein, zerstört nicht nur Bauwerke, vernichtet nicht nur Menschenleben, sondern lässt das Fundament der Gesellschaft erodieren. Die zerstörerische Kraft des Krieges bedroht das vielfältige soziale, kulturelle und gesellschaftliche Geflecht, das Syrien zu einem einzigartigen Land in der Region macht. Das friedliche Neben-, ja Miteinander der verschiedenen Religionen und Kulturen, das einst zur Identität Syriens gehörte – es ist Ohnmacht, Misstrauen und Hass gewichen. Der Kitt, der die syrische Gesellschaft zusammenhielt, er zerbröckelt vor unseren Augen.
Wir sind heute zusammengekommen, um gegen dieses tägliche Grauen eine klare Gegenbotschaft zu setzen: Wir, die wir hier sind, lassen die Menschen in Syrien nicht allein. Ich danke allen Aktivisten von „Action for Hope“, die diese Aktionstage organisiert haben und dem Grauen des Krieges Landschaften der Hoffnung entgegensetzen.
„Action for Hope“ – von diesem Titel geht ein starker Handlungsimpuls aus. Der Impuls, nicht die Hände in den Schoß zu legen, es nicht bei Klagen bewenden zu lassen, sondern anzupacken, etwas zum Besseren zu verändern. Dies ist gepaart mit dem Wunsch, ja der Verpflichtung, den Menschen vor Ort weiter Hoffnung zu geben.
Die Hoffnung für ein neues, friedliches Syrien wird dabei auch maßgeblich von denjenigen getragen, die sich im Exil befinden. Darunter sind viele Künstler. Viele sind heute hier zusammengekommen und ich freue mich, Sie hier begrüßen zu können!
An diesem Wochenende werden syrische und andere arabische Kulturschaffende ihre Arbeit, ihre Kunst und ihre Visionen mit uns und miteinander teilen. Für manchen gilt es dabei, Bezüge zur Heimat aufrechtzuerhalten. Für andere gilt es, Anknüpfungspunkte zu ihrem neuen Zuhause zu finden. Es geht darum, Brücken zu bauen – zwischen Heimat und Exil, zwischen deutschen und arabischen Künstlern, zwischen Gegenwart und Zukunft.
„Action for Hope“ hat die fundamentale Bedeutung erkannt, die kultureller und künstlerischer Arbeit und dem Austausch miteinander zukommt. Und „Action for Hope“ leistet auf diesem Gebiet Herausragendes!
Die Beispiele sind mannigfaltig: Sei es die Einrichtung einer Musikschule für syrische Flüchtlinge und aufnehmende Gemeinden in der Bekaa-Ebene im Libanon oder Videoworkshops in Flüchtlingslagern. Sei es die Möglichkeit für Geflüchtete, ihre Erfahrungen zu erzählen, ihre Traumata zu verarbeiten und ihrer Hoffnung – manchmal auch ihrer Verzweiflung - Ausdruck zu verleihen.
Ich möchte daher der Organisation und vor allem den engagierten Menschen, die dahinter stehen, an dieser Stelle meinen tief empfundenen Dank aussprechen. Dank auch dafür, dass sie ihre Arbeit im April beim Forum „Menschen bewegen“ zur Auswärtigen Kulturpolitik in der Station am Gleisdreieck vorgestellt haben. Dort kamen wir schon in den Genuss der musikalischen Darbietung von Fawaz Baker, von der sie sich hier am Montagabend mitreißen lassen können.
Sehr geehrte Damen und Herren,
„Action vor Hope“ hat etwas immer wieder betont: Beim Sichern von Überleben geht es nicht nur um materielle Hilfe, um Verpflegung und ein Dach über dem Kopf. Es geht auch um die Bewahrung von Humanität, von Menschlichkeit, von Mitgefühl und Empathie. Kultur und Bildung sind dafür wichtige Elemente.
Und dieser Ansatz leitet uns auch in unserem Engagement in der Region. Deutschland ist nicht nur einer der größten Geber von humanitärer Hilfe. Wir bemühen uns gleichzeitig als Auswärtiges Amt, auch Bedeutung von Kultur und Bildung immer wieder zu betonen. Der freie Zugang zu Kultur und Bildung ist der Anfang eines selbstbestimmten Lebens. Und das syrische Volk soll seine Zukunft selbst bestimmen können! Dafür setzen wir uns als Bundesregierung ein.
Für diese Zukunft versuchen wir - mit den Möglichkeiten, die wir haben - heute schon die Weichen zu stellen: Syrien braucht eine Generation an jungen Syrerinnen und Syrern, die ihre Heimat nach dem Ende des Schreckens wieder aufbauen wird:
Deshalb ermöglichen wir syrischen Flüchtlingen in Deutschland und der Region ein Studium mit Stipendien des „Leadership for Syria“ Programmes des DAAD und der Deutschen Akademischen Flüchtlingsinitiative Albert Einstein (DAFI). Wir arbeiten dazu auch eng mit UNHCR zusammen. Und unser Engagement wächst: Im Jahr 2016 hat die Bundesregierung zusätzlich 2.560 Stipendien vor allem für syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern zur Verfügung gestellt.
Ein anderes Beispiel ist das Projekt „Stunde Null - Eine Zukunft für die Zeit nach der Krise“. Im Mittelpunkt steht die Aus- und Weiterbildung syrischer Architekten, Archäologen, Bauforscher, Stadtplaner und Handwerker.
Und mit der Philipp-Schwartz-Initiative ermöglichen wir gemeinsam mit der Alexander von Humboldt Stiftung, dass gefährdete Wissenschaftler in Deutschland forschen können.
Neben der Bildung liegt unsere besondere Aufmerksamkeit darauf, Akteure zu vernetzen und Wissen zu bündeln für die Bewahrung und den Wiederaufbau der syrischen Kulturstätten. Deshalb haben wir das „Archaeological Heritage Network“ gegründet. Unter der Leitung des Deutschen Archäologischen Instituts vereint es Forschungsinstitute, Museen, Universitäten und Stiftungen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
natürlich stützen sich alle diese Bemühungen auf die Hoffnung eines Syriens nach dem Ende des Krieges. Dieses Ende kann nur durch eine politische Lösung erreicht werden. Die jüngste Aussicht auf einen Waffenstillstand hat Hoffnungen geweckt, dem Ziel eines friedlichen Syriens näher zu kommen. Mit dem abscheulichen Angriff auf den humanitären Konvoi der Vereinten Nationen wurden diese Bemühungen erst einmal wieder zurückgeworfen.
Aber wir werden nicht aufgeben. Mit großer Zähigkeit werden wir uns weiter für eine Lösung des Konflikts einsetzen. Auch wenn ich realistisch bin, wenn es kurzfristige Erfolgsaussichten geht.
Dabei gilt, die Vielfalt von Identitäten, Religionen und Kulturen, die Syrien ausgemacht hat, muss erhalten bleiben. In Deutschland engagieren sich viele Menschen dafür in beeindruckenden Projekten. Und ständig kommen neue hinzu: Zum Beispiel das „Goethe-Institut Damaskus im Exil“, das in wenigen Wochen seine Türen in einem Berliner Ladenlokal öffnen wird.
Liebe Gäste,
der syrische Autor und Dichter Rafik Schami schrieb „Dem Morgen begegnen, heißt Hoffnung haben“.
Wenn ich hier heute in die Runde blicke, sehe ich Betroffenheit, ich sehe Trauer, ich sehe Verzweiflung. Aber ich sehe auch Beharrlichkeit, Engagement, menschliche Wärme, die dem Morgen mutig begegnet. Wir alle verlieren die Hoffnung nicht, wir dürfen sie nicht verlieren. Im Gegenteil: Wir engagieren uns gemeinsam, damit sie nicht verloren geht.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen viele bereichernde Gespräche und ein erlebnisreiches Wochenende in den „Landschaften der Hoffnung“.