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Handel braucht Regeln

17.09.2016 - Interview

Gemeinsamer Beitrag von Europa-Staatsminister Michael Roth und der schwedischen Ministerin für Handel und Europa Ann Linde. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.09.2016).

Gemeinsamer Beitrag von Europa-Staatsminister Michael Roth und der schwedischen Ministerin für Handel und Europa Ann Linde. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.09.2016).

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Globalisierung ist kein Schicksal, dem wir uns ohnmächtig ergeben müssen. Nein, Globalisierung lässt sich gestalten – sozial, demokratisch und nachhaltig. Dass unsere Weltwirtschaft immer stärker verflochten ist, birgt viele Chancen – das wissen wir auch in Schweden und Deutschland. Als EU-Mitglieder profitieren wir von offenen Grenzen und engem Austausch. Dem freien Handel verdanken wir unseren Wohlstand und viele unserer Arbeitsplätze. Hoch qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unseren Ländern produzieren hervorragende, innovative Produkte. Wir verkaufen sie nicht nur zuhause und in der EU, sondern weltweit.

Dennoch wachsen Kritik an Globalisierung und freiem Handel – auch in Ländern, die nachweislich davon profitieren. Das zeigt sich derzeit vor allem bei den Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA sowie Kanada. TTIP und CETA sind für viele Menschen zu einem Symbol des zügellosen Marktradikalismus verkommen. Sie befürchten Sozialabbau, ein Aufweichen der hohen europäischen Standards und Gefahren für Jobs. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verstehen diese Ängste. Es ist uns offenkundig nicht gelungen, den Bürgerinnen und Bürgern klar zu machen, dass freier Handel und ein starker Wohlfahrtsstaat kein Widerspruch sind.

Anstatt die Türen zum Rest der Welt zuzuschlagen, sollten wir uns vielmehr an die Spitze der Bewegung setzen und den Prozess aktiv mitgestalten. Dafür müssen wir ein funktionierendes soziales Sicherheitsnetz und eine aktive Arbeitsmarktpolitik anbieten, um Brücken zwischen alten und neuen Arbeitsplätzen zu bauen. Denn Menschen mit sicheren Jobs fürchten sich nicht vor der Globalisierung.

Konservative haben kein Problem mit ungezügelten Märkten. Nationalisten wollen neue Mauern hochziehen und sich abschotten. Linksradikale lehnen die Abkommen vorschnell ab. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben allen Grund selbstbewusst zu sein: Für uns brauchen Freihandel und Globalisierung klare und verbindliche Regeln.

Aus guten Gründen sind nicht die Mitgliedstaaten, sondern ist die EU für die gemeinsame Handelspolitik zuständig. Und dies schon seit Jahrzehnten. In einer globalisierten Welt sind nationale Regeln nicht zukunftstauglich – weder für Schweden noch für Deutschland. Die EU-Institutionen tragen eine besondere Verantwortung: Die EU-Kommission verhandelt, Rat und Europäisches Parlament beschließen. Dies verpflichtet jedoch auch zu einem Höchstmaß an Transparenz. Nur so kann Vertrauen wachsen. Viele Menschen haben Angst vor den Veränderungen in einer immer stärker globalisierten Welt. Und Geheimniskrämerei ist der Nährboden, auf dem Verschwörungstheorien wachsen können. In Sachen Transparenz kann die EU sicher noch einiges besser machen. Klar ist aber auch: Eine Rückverlagerung der Zuständigkeit auf die nationale Ebene ist keine Lösung.

Die EU hat allen Grund, Verhandlungen selbstbewusst zu führen. Nur so können wir weltweit Maßstäbe in der Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzpolitik setzen! CETA zeigt, was alles möglich ist. Dank der neuen linksliberalen, kooperationswilligen Regierung von Kanada kam neue Dynamik in die schwierigen Verhandlungen. Klare Regelungen für Auslandsinvestitionen sind wichtig für Wachstum und Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks. CETA enthält ein neues Schiedsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten und Investoren. Vorgesehen ist ein öffentlich-rechtliches Investitionsgericht mit zwei Instanzen. Der bei CETA vorgesehene Investitionsschutz wahrt den Handlungsspielraum des Gesetzgebers. Nationale Eingriffe bleiben weiterhin möglich, vor Willkür wird definitiv geschützt.

Die Daseinsvorsorge wird abgesichert, Kultur bleibt vom Regelwerk ausgenommen, weder drohen der Wasserversorgung Privatisierungen noch dem öffentlichen Gesundheitswesen Einschränkungen. Auch Gentechnik wird nicht durch die Hintertür eingeführt. Standards des Verbraucher- oder Umweltschutzes werden nicht ausgehebelt, obwohl es mit dem strikten Vorsorgeprinzip in der EU eine andere Rechtstradition als in Kanada oder USA gibt. Soweit ist die EU in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten leider noch nicht.

Wir wollen und müssen noch weiter gehen. Denn Handelsabkommen wie CETA und TTIP sind nur ein Zwischenschritt. Handelspolitik muss den Anspruch erheben, die soziale Spaltung zu verringern. Fairness und Gerechtigkeit haben eben nicht nur für uns zu gelten, sondern ebenso für Kaffeebauern in Afrika und Näherinnen in Bangladesch. Eine zukunftsweisende Handelspolitik der EU trägt dazu bei, dass Standards für alle verbessert werden – für Menschen innerhalb und außerhalb der EU. Das wird uns manches abverlangen. Eine progressive Politik muss CETA und TTIP aber nicht fürchten. Im Gegenteil: Die Globalisierung aktiv zu gestalten, bleibt eine Kernaufgabe der europäischen Sozialdemokratie.

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