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Türkei: „Wir sollten uns an das halten, was vereinbart worden ist“
Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Rheinischen Post zur Situation in der Türkei nach dem Putschversuch, zur Bedrohung durch den Terrorismus und zur europäischen Flüchtlingspolitik. Erschienen am 02.08.2016.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Rheinischen Post zur Situation in der Türkei nach dem Putschversuch, zur Bedrohung durch den Terrorismus und zur europäischen Flüchtlingspolitik. Erschienen am 02.08.2016.
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Die Türkei hat die EU aufgefordert bis Oktober die Visum-Erleichterungen umzusetzen, sonst sei der Flüchtlingspakt gescheitert. Lässt sich die EU erpressen?
Das ist doch absurd! Fakt ist: Es gibt Bedingungen für die Visafreiheit und diese sind allen Seiten bekannt. Die Türkei hat sich dazu verpflichtet, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um diese Bedingungen zu erfüllen. Das ist momentan allerdings noch nicht der Fall und die Türkei hat da noch Arbeit vor sich. Die Europäische Kommission wird genau prüfen, ob und wann die Türkei die Anforderungen erfüllt. Klar ist: Es liegt im Interesse sowohl der EU als auch der Türkei, hier zu einer gemeinsamen Lösung zu gelangen. Es bringt jetzt nichts, sich gegenseitig Ultimaten zu stellen und zu drohen.
Braucht die EU einen Plan B, sollte das Abkommen mit der Türkei scheitern?
An den Spekulationen über mögliche Plan-B-Szenarien beteilige ich mich nicht. Wir sollten uns an das halten, was vereinbart worden ist. Das heißt ganz konkret: die EU stellt Mittel für die Unterbringung und Schulbildung von Flüchtlingen in der Türkei bereit und Ankara versorgt und betreut diese Menschen im Land. Lassen Sie mich noch hinzufügen: Die Türkei hat in kurzer Zeit ein extrem hohe Zahl an Flüchtlingen aufgenommen. Für diesen Kraftakt verdienen die Türken Respekt. Das geht in der Diskussion hierzulande etwas unter.
Es gibt Meldungen über neue Flüchtlingsbewegungen an den griechischen Inseln. Wäre das Land in der Lage, den Ansturm aufzufangen, wenn die Türkei den Pakt einseitig aufkündigt?
Die Zahl der Ankünfte auf den griechischen Inseln hat sich nicht verändert, sie bleibt auf niedrigem Niveau. Es ist kein Trend nach oben ablesbar.
In der Türkei werden nach dem Putschversuch Journalisten verhaftet und Wissenschaftler an der Ausreise gehindert. Der türkische Präsident hält sich die Wiedereinführung der Todesstrafe offen und säubert das Militär. Muss die EU mit einem solchen Land nicht die Beitrittsgespräche auf Eis legen?
Verbindungen kappen, das ist das denkbar schlechteste Mittel von Politik. Wir sind in unserer Sprache gegenüber der Türkei klar. Da, wo es Meinungsverschiedenheiten gibt, kommunizieren wir sie in aller Deutlichkeit. Dazu gehört es, zu sagen, dass eine Einführung der Todesstrafe die Suspendierung der Beitrittsverhandlungen zur Folge hätte. Das wäre mit europäischen Werten nicht vereinbar.
Steckt die Gülen-Bewegung hinter dem Putsch?
Es ist gutes Recht der türkischen Regierung, den Putschversuch politisch und rechtlich aufzuarbeiten. Die Türkei stand in dieser Nacht kurz vor dem Abgrund und ich bin froh, dass der Sturz abgewendet werden konnte. Einige der bisherigen Reaktionen gehen aber weit über jedes Maß hinaus. Es kann nicht sein, dass zehntausende Beamte, Lehrer und Richter entlassen, tausende von Schulen und Bildungseinrichtungen geschlossen, und Dutzende Journalisten festgenommen werden, ohne dass ein direkter Zusammenhang mit dem Putsch erkennbar wäre. Dass die türkische Regierung die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch sieht, hat sie öffentlich wiederholt deutlich gemacht. Wir erwarten, dass die genauen Verantwortlichkeiten im Rahmen von rechtsstaatlichen Verfahren im Einzelfall geklärt werden.
Die deutsche Bevölkerung ist nach den Terroranschlägen, Amokläufen aber auch zunehmenden Taten wie Einbrüchen verunsichert. Wie muss die Politik darauf reagieren?
Zunächst mit der klaren Aussage: Mit Terror werden wir uns niemals abfinden - weder in Deutschland noch anderswo. Die Menschen erwarten zu Recht Klarheit von uns darüber, wie Gefahren und Risiken verringert werden können, auch mit einer verstärkten Arbeit der Polizei- und Sicherheitsbehörden und einer intensiveren Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg. Klar ist aber auch: Hetze und falschen Verdächtigungen müssen wir entschieden entgegentreten und da, wo es sinnvolle Verbesserungsvorschläge gibt, klug und entschlossen handeln. Vor allem müssen wir an die Wurzeln der Radikalisierung ran. Es ist sowohl Aufgabe der islamischen Staaten, ihren Beitrag dazu zu leisten, dem Terror den Nährboden zu entziehen als auch unser aller Aufgabe, Gewalt im Mittleren Osten, besonders in Syrien, ein Ende zu setzen. Deshalb engagieren wir uns im Kampf gegen den Terror, etwa im Irak. Deutschland ist dort international führend, was die humanitäre Hilfe und die Stabilisierung der Gebiete, die von IS befreit wurden, angeht. Und wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, den syrischen Bürgerkrieg in seinem mittlerweile sechsten Jahr wenigstens einzudämmen und den Weg zu einer politischen Lösung offen zu halten.
Brauchen wir einen neuen gesetzlichen Rahmen für den Einsatz der Bundeswehr im Innern?
Das ist doch eine sehr aufgesetzte Debatte: die Polizei in München wie auch die in Köln am vergangenen Wochenende haben erstklassige Arbeit gemacht. Die Polizei ist trainiert für solche Lagen und hat die dafür notwendige Erfahrung. Ich frage mich: Was wäre in München oder Köln besser gegangen mit Bundeswehreinheiten, die für ganz andere Herausforderungen ausgebildet sind? Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist nach dem Grundgesetz begrenzt auf Amtshilfe und Großkatastrophen. Das hat seinen Grund und daran müssen wir nichts ändern!
Interview: Michael Bröcker.