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Keynote von Staatssekretär Stephan Steinlein bei der Eröffnung des 4. east forum Berlin

18.04.2016 - Rede

Sehr geehrter Regierender Bürgermeister, szanowny panie ministrze
lieber Alexander, sehr geehrte Minister, Exzellenzen, meine Damen und Herren!

Letztes Jahr habe ich zu Ihnen gesprochen, dieses Jahr war mein Minister vorgesehen. Nun musste ich doch wieder einspringen. Minister Steinmeier selbst kann leider nicht kommen, da er an einer kurzfristig anberaumten Sondersitzung des Ministerrats zur Lage in Libyen teilnehmen muss. Ein Land, dass er erst am Samstag gemeinsam mit Minister Ayrault bereist hat. Ein Land, dem wir uns in den nächsten Monaten intensiv widmen müssen. Und zwar nicht nur weil von dort eine neue Flüchtlingswelle droht.

„Ein Wirtschaftsraum im Wandel – Zukunft gestalten zwischen Europa und Asien“: Unter dieses Motto haben Sie das vierte east forum gestellt.

Wir sprechen über die größte Landmasse der Erde, in der zwei Drittel der Weltbevölkerung leben; wir sprechen über einen Raum vom Atlantik zum Pazifik, von Lissabon bis Wladiwostok. Die Vision der Vernetzung dieses gigantischen Raumes existiert seit vielen Jahren – in der Wirtschaft, aber auch in der Politik.

Ich erinnere mich . Schon vor 10 Jahren, in der ersten Amtszeit von Minister Steinmeier, haben wir über diese Visionen intensiv nachgedacht und danach z.B. die Zentralasiastrategie der EU auf den Weg gebracht.

Heute liegen Vision und Realität weit auseinander! Aber ganz schwarz oder ganz weiß ist die Lage nicht! Im Gegenteil: In den letzten Jahren beobachten wir zwei gegenläufige Tendenzen im Eurasischen Raum: Auf der einen Seite zunehmende Vernetzung und Integration, auf der anderen Seite Reibung, Distanzierung und Konflikt.

Bei Vernetzung und Integration gibt es viele - teils aufeinander aufbauende, teils unabhängig voneinander ablaufende - Prozesse. Im Westen hat sich mit der Europäischen Union der am stärksten vernetzte zwischenstaatliche Raum der Welt gebildet. Das ist so und bleibt so, trotz der aktuellen Debatten um Grexit, Brexit und Flüchtlingskrise. Mit TTIP, für dessen Gelingen sich die Bundesregierung weiter einsetzt, werden hoffentlich zusätzliche Integrationsmöglichkeiten Richtung Westen eröffnet.

Seit Anfang 2015 gibt es die Eurasische Wirtschaftsunion, deren Mitglieder den Austausch von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeit erleichtern wollen - vielleicht inspiriert von der EU, aber sicher noch weit entfernt von der politischen und gesellschaftlichen Integration, ohne die am Ende auch wirtschaftliche Integration nur oberflächlich bleibt. Und schließlich gibt es die Initiative der chinesischen Regierung für eine Neue Seidenstraße, mit der die Infrastruktur in Eurasien deutlich ausgebaut werden soll.

Vieles ist möglich in diesem Raum. Das hat sich in den letzten Jahren gezeigt. Freihandelsabkommen wurden geschlossen wie das zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und Vietnam im Jahr 2015. Neue Güterverkehrsverbindungen über Land werden getestet, wie die Nutzung einer Eisenbahnstrecke von China über Kasachstan und Turkmenistan bis in den Iran vor zwei Monaten – ein Vorhaben übrigens, das durch die Einigung mit Teheran im Nuklearstreit erst möglich wurde. Und selbst Staaten, die vor nicht allzu langer Zeit im Krieg standen, wie Russland und Georgien im Jahr 2008, haben ihre Handelsbeziehungen zuletzt wieder intensiviert.

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Auf der anderen Seite steht allerdings die gegenteilige Tendenz, die politisch und auch in der aktuellen öffentlichen Wahrnehmung oftmals überwiegt: Reibung, Distanzierung und Konflikt. Wir haben es heute mit einer Reihe von Bruchlinien und Konflikten in Eurasien zu tun, die einen Austausch erschweren und auch oft unmöglich machen.

Da ist zum Beispiel der fragile Zustand in der Region Berg-Karabach. Die jüngsten gewaltsamen Auseinandersetzungen dort haben gezeigt, wie brüchig der Status Quo ist. Wir als OSZE-Präsidentschaft arbeiten mit Hochdruck daran, den Verzicht auf weitere Waffengänge nachhaltig auszugestalten und in einen Prozess mit stabilisierenden oder vertrauensbildenden Maßnahmen einzutreten, mit dem Ziel, Verhandlungen im Rahmen der OSZE wieder aufzunehmen.

Sorge bereitet uns auch weiterhin die Lage in der Ukraine, auch wenn die Hängepartie um die Regierungsumbildung nun endlich zu Ende ist. Der neue Ministerpräsident Groisman hat deutlich gemacht, dass er den Reformkurs fortsetzen will. Und wir sollten ihn dabei unterstützen! Er ist ein erfahrener Politiker und hat als Bürgermeister von Winnyzja Maßstäbe gesetzt. Übrigens: Bei einer meiner Ukraine-Reisen haben wir einen Abend nebeneinander gesessen. Unsere gemeinsame Sprache, lieber Alexander, war Polnisch, das er hervorragend spricht! Weil Polen, die dort unternommenen Reformen, für ihn Vorbild sind. Und ich glaube, lieber Alexander, dass ein Erfolg der ukrainischen Reformpolitik ein großes, gemeinsames Ziel deutsch-polnischer Politik ist und bleiben soll.

Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und dem Konflikt in der Ostukraine ist viel Vertrauen in Europa verloren gegangen. Wenn an die Stelle der Verlässlichkeit gemeinsamer Regeln eine Politik tritt, die die Unberechenbarkeit des eigenen Handelns als wesentliches Element der eigenen Souveränität, aber auch der eigenen Stärke versteht, dann verändert das die Geschäftsgrundlage unserer Beziehungen fundamental.

Auf den Regelbruch Russlands mussten wir reagieren, und die Europäische Union hat dies getan, indem sie Sanktionen verhängt hat.

Sie alle hier im Raum wissen um die Folgen von Sanktionen und Gegensanktionen. Viele von Ihnen und viele Ihrer Firmen waren und sind davon betroffen. Sie wissen und wir in der Bundesregierung wissen auch: Sanktionen sind kein Selbstzweck. Sondern sie entfalten Druck, hin zur Rückkehr an den Verhandlungstisch, hin zur politischen Lösung des Ukraine-Konflikts und hin zur Einhaltung von Völkerrecht und Friedensprinzipien, von deren Bestand letztlich auch Sie, die international agierende Wirtschaft existenziell abhängen und profitieren.

Wir brauchen nicht das Recht des Stärkeren!

Wir brauchen vielmehr einen verlässlichen Ordnungsrahmen im Eurasischen Raum – umso mehr, wenn unser Ziel eine weitere Vernetzung und engere Zusammenarbeit ist! Für die Aufhebung der Sanktionen gibt es nicht nur klare Kriterien, sondern auch einen internationalen Verhandlungsrahmen.

Je früher wir die Minsker Vereinbarungen umsetzen können, desto eher ist ein Einstieg in den Ausstieg bei den Sanktionen möglich!

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Sehr geehrte Damen und Herren,

zunehmende Integration auf der einen Seite und Konflikte, die Verbindungen beschädigen, auf der anderen. Was bedeutet das für unsere Politik? Und was bedeutet dies für Ihre Unternehmen?

Zunächst einmal halte ich es für wichtig, dass wir uns ehrlich machen und die offensichtlichen Differenzen nicht unter den Tisch kehren. Durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wirtschafts-, Kultur- und Integrationsräume entstehen Reibungsflächen, mit denen wir umgehen müssen.

Dass Vernetzung Wachstum und Wohlstand befördern kann, das zeigt das Beispiel Deutschlands, eines der am meisten vernetzten Länder der Erde. Gleichzeitig müssen wir jedoch feststellen, dass durch Vernetzung auch neue Verwundbarkeiten entstehen. In der Wissenschaft wird bereits darüber diskutiert, dass im 21. Jahrhundert „Kriege der Konnektivität“ stattfinden, Konflikte also, bei denen Transportrouten und kritische Infrastruktur, Handelswege und Finanzströme Schauplatz der Auseinandersetzung sind.

Diese düstere Sicht auf die Welt muss man nicht teilen. Deutlich ist aber, dass im eurasischen Raum derzeit verschiedene Integrationsmodelle miteinander konkurrieren. Die Eurasische Wirtschaftsunion nimmt sich die Europäische Union eben nicht nur in manchem zum Vorbild, sie versteht sich in mancher Hinsicht auch als Gegenentwurf zur EU.

Wenn wir nun die Reibungen zwischen den verschiedenen Integrationsprojekten und Handelsregimen offen ansprechen und thematisieren, dann schaffen wir nicht nur Transparenz, sondern auch ein gemeinsames Verständnis darüber, an welchen Punkten wir zusammenarbeiten können und wollen – und an welchen eben nicht oder noch nicht.

Unser Ziel bleibt die Stärkung der integrativen Tendenzen, allen Konflikten und Gegensätzen zum Trotz!

Wir müssen anstehende Herausforderungen gemeinsam bewältigen, gerade auch im eurasischen Raum. Und dies kann nur im Dialog und im ständigen Austausch gelingen.

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Die Formate und Instrumente hierfür haben wir – wir müssen sie nur richtig nutzen. Dass erstens der NATO-Russland-Rat in dieser Woche seine Arbeit wieder aufnehmen kann, ist ein besonders wichtiges Signal.

Wir treten zweitens ein für Kontakte zwischen EU und Eurasischer Wirtschaftsunion, damit über technische Standards, Handelsregeln, grenzübergreifende Infrastruktur und eine vereinfachte Abwicklung im Austausch gesprochen wird. Denn Netzwerke können nur funktionieren, wenn es ein gemeinsames Verständnis über die Regeln, Normen und Standards gibt.

Ein zentrales Forum, um die Verbindungen im eurasischen Raum zu stärken, ist drittens die OSZE. Am gestrigen Sonntag haben wir in einem Staatsakt Hans-Dietrich Genscher geehrt, einen der Architekten der europäischen Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges. Hans-Dietrich Genscher wurde bis zu seinem letzten Tag nicht müde, die Bedeutung dieser Organisation und ihre Rolle für die Einbindung Russlands zu betonen. Bei der Einhegung von Krisen wie in Bergkarabach oder in der Ostukraine spielt die OSZE heute eine gewichtige Rolle. Unseren OSZE-Vorsitz in diesem Jahr wollen wir aber auch dafür nutzen, einen Beitrag zu leisten, um die weitere wirtschaftliche Vernetzung zwischen den OSZE-Mitgliedern voranzutreiben.

Im Mai wird deshalb hier in Berlin eine große Konferenz zum Thema Konnektivität stattfinden, zu der wir Regierungsvertreter ebenso wie erstmals – und das ist uns ein großes Anliegen – viele Unternehmer aus über 60 Staaten eingeladen haben.

Wir in der Bundesregierung sind der festen Überzeugung: Unternehmer und ihre Unternehmen sind ein entscheidender Treiber für Vernetzung, und ich begrüße es, dass die deutsche Wirtschaft dabei einen langen Atem beweist. Langfristige Investments und Festhalten an unternehmerischem Engagement auch in schwierigen Zeiten, das zeichnet sie aus!

Das east forum Berlin hat sich in diesem Kontext als wichtiges Forum für den Austausch etabliert. Heute und morgen werden Sie in Paneldiskussionen und Workshops, aber auch im persönlichen Gespräch am Rande die Verbindungen im eurasischen Raum stärken. Allen Konflikten und Reibungen zum Trotz werden Sie nach neuen Wegen des Austauschs suchen.

Dabei wünsche ich Ihnen, auch im Namen von Außenminister Steinmeier, den richtigen Kompass und viele gute Ideen.

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