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Rede von Außenminister Johann Wadephul zu den deutsch-italienischen Beziehungen, Botschafterkonferenz in Rom
Nächstes Jahr feiern wir den 75. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik – und damit den Beginn unserer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit bei der Gestaltung des gemeinsamen Projekts der europäischen Integration. Ich freue mich sehr darauf, diesen Meilenstein zu feiern!
Aber auch dieses Jahr hält einen wichtigen Jahrestag in den deutsch-italienischen Beziehungen bereit, der nicht unerwähnt bleiben darf. Einer der großen Botschafter der Völkerverständigung, eine wahre Legende diesseits und jenseits der Alpen, hat seinen 65. Geburtstag gefeiert.
Sein Name ist Rudi Völler.
Il tedesco volante.
Im Trikot der Giallorossi sicherte er 1991 dem AS Rom die Coppa Italia. Gerne erinnern wir uns an die fünf Jahre zurück, in denen er in Rom Fußball gespielt hat – 68 Tore in 198 Spielen.
Gerade rettet er wieder einmal die deutsche Nationalmannschaft. Diesmal allerdings nicht als Spieler oder Trainer, wie in der Vergangenheit, sondern als Sportdirektor.
Seine Karriere zeigt uns: Deutsche und italienische Erfolgsrezepte sind oft dieselben.
Und der Austausch von Fachkräften trägt letztlich zum Erfolg beider Länder bei.
Das gilt für den Fußball, aber auch für so vieles mehr. Schließlich verbindet unsere Länder sehr viel mehr als eine gemeinsame Fußballgeschichte. Wenn es um das europäische Projekt geht, haben Deutschland und Italien dieselbe DNA.
Als Gründungsmitglieder der späteren Europäischen Union haben unsere beiden Länder früh verstanden, dass Aussöhnung, Zusammenarbeit und gemeinsamer Wohlstand für unseren Kontinent den einzigen nachhaltigen Weg in die Zukunft weisen.
Gemeinsam haben wir die Grundlage für eine beispiellose Union des Friedens und der Demokratie geschaffen. Auch wenn manche es zu genießen scheinen, die Errungenschaften der EU kleinzureden und ihre vermeintlichen Schwächen in den Vordergrund zu rücken, so ist es doch wahr, dass wir eine historisch erfolgreiche Union sind! Gemeinsam sind wir stärker. Und wir sind stark!
Exzellenzen,
wenn ich meine außenpolitische Agenda erkläre, auch in Deutschland, dann tue ich das anhand von drei zentralen Interessen: Sicherheit, Freiheit und Wohlstand. Über genau diese interessengeleitete Außenpolitik möchte ich heute mit Ihnen sprechen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir uns in der heutigen Welt – und das gilt sowohl für Italien als auch für Deutschland – stärker auf unsere Interessen konzentrieren müssen. Und ich glaube, dass Deutschland und Italien als zentrale Partner viele dieser Interessen teilen.
Deutschland ist Italiens wichtigster Handelspartner, und auch Italien spielt eine führende Rolle in Deutschlands Außenhandel.
Unsere Länder sind sich sehr ähnlich, was ihre industrielle Basis betrifft. Die Strukturen unserer Wirtschaft ähneln sich stark. Das ist das Fundament einer erfolgreichen Zusammenarbeit, und dieses Fundament wollen wir weiter stärken, zum Beispiel in der Stahlindustrie, aber auch in der Chemie- und der Automobilindustrie.
Italien sieht sich großen Herausforderungen gegenüber, die den Herausforderungen in Deutschland ähnlich sind. Sie entstehen insbesondere durch den Druck seitens chinesischer Wettbewerber, der oft von unfairen und wettbewerbsverzerrenden Subventionen herrührt. Während unseres jüngsten italienisch-deutschen Stahldialogs wurden die Chancen für die Zusammenarbeit zur Bewältigung zentraler Herausforderungen deutlich.
Deutschland und Italien sind beide der Überzeugung, dass Freihandel und ein offenes Europa Wachstum und Wohlstand vorantreiben. Insbesondere in einer Zeit, in der protektionistische Tendenzen und wirtschaftlicher Zwang zunehmen, müssen wir uns gemeinsam für offene Märkte und faire Wettbewerbsbedingungen einsetzen.
Gleichzeitig müssen wir den Verwaltungsaufwand in Europa reduzieren, um Unternehmen zu entlasten und Innovationen zu fördern. Weniger Bürokratie, schnellere Genehmigungsprozesse, Zugang zu Finanzen für innovative Unternehmen und ein vereinfachtes Rechtssystem – all das ist für die Stärkung unserer Wirtschaft entscheidend.
Gleiches gilt für die Raumfahrt. Was die europäische Raumfahrtpolitik betrifft, stehen wir an einem Wendepunkt. Hier spielen Italien und Deutschland eine führende Rolle – was angesichts ihrer dynamischen Industrien nicht überraschend ist. Italien weiß, wie die Weichen für die New Space Economy zu stellen sind, und investiert strategisch in die Zukunft. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass wir diese Entwicklung aktiv unterstützen und unsere Zusammenarbeit mit Italien vertiefen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor Kurzem haben die Vereinigten Staaten ihre nationale Sicherheitsstrategie veröffentlicht. Für uns alle bleiben die USA unser wichtigster Verbündeter. Europa und die USA sind durch ihre Geschichte, Wirtschaft und Kultur miteinander verbunden.
Aber wir sind nicht damit einverstanden, wie mit Europa umgegangen wird. Es ist ein Angriff auf das, was unsere Gesellschaften verbindet.
Die Europäische Union ist eine Erfolgsgeschichte. Würde die EU nicht existieren, müssten wir sie erfinden.
Gemeinsamen haben wir bereits vielen Stürmen standgehalten. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir Europäer uns auch diesmal anpassen werden, um die Herausforderungen zu bewältigen.
Daher müssen wir uns heute fragen: Was können wir in Europa tun, um unsere Resilienz zu erhöhen? Was können wir in Europa tun, um insbesondere unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und unsere Volkswirtschaften robuster zu machen?
Für Deutschland und Italien kann die Antwort nur in vertiefter Zusammenarbeit bestehen. Zusammenarbeit in der EU, um beispielsweise Handelsbeziehungen und Quellen kritischer Rohstoffe zu diversifizieren.
Deshalb müssen wir, die EU, diese Woche zu einer positiven Entscheidung kommen, um das EU-Mercosur-Abkommen zu finalisieren. Wir zählen auf Italiens Unterstützung bei diesem strategischen Unterfangen in dieser herausfordernden geoökonomischen Welt.
Unseren beiden Ländern ist seit Langem bewusst, dass Stabilität nicht garantiert ist. Sie muss aufgebaut werden. Deshalb sind wir so enge Partner innerhalb der Europäischen Union, der G7 und der NATO. Und deshalb sind unsere Partnerschaften im Bereich der Verteidigung so wichtig.
Mit dem Joint Venture zwischen Rheinmetall und Leonardo stärken wir unsere gemeinsame Wehrhaftigkeit. Unsere Industrien arbeiten erfolgreich bei U-Booten, der Eurodrohne und dem Eurofighter zusammen. Der erste Runde Tisch zum Thema Verteidigung in Berlin hat gezeigt, wie wir den Austausch von Fachwissen und Technologie intensivieren. Und damit auch zur Souveränität Europas beitragen.
Nehmen wir zum Beispiel die Ukraine. Wir begrüßen die Bemühungen der US-Regierung um eine Beendigung des brutalen und illegalen russischen Angriffskriegs und die Herbeiführung eines gerechten und dauerhaften Friedens für die Ukraine.
Die Ukraine kann auf unsere Unterstützung zählen. Das hat die jüngste Ukraine Recovery Conference hier in Rom deutlich gezeigt.
Und während heute Abend die Verhandlungen in Berlin weiterlaufen, sind wir in Deutschland und Italien uns einig, dass es keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine geben kann.
Keine Entscheidung über die Sicherheit Europas ohne die Beteiligung von uns Europäern.
Grenzen dürfen nicht gewaltsam verschoben werden.
Wie auch immer die Gespräche, die gerade laufen, enden mögen, eines muss uns allen klar sein:
Russland ist und bleibt ein aggressives und imperialistisches Land.
Putin schafft zumindest die Option für einen Krieg gegen die NATO – denn er betreibt Wiederaufrüstung in einem beispiellosen Umfang, der weit über das hinausreicht, was für seinen sinnlosen Krieg in der Ukraine notwendig wäre.
Darauf müssen wir vorbereitet sein.
Und gleichzeitig müssen wir – so wie es unsere beiden Länder tun – die Ukraine auch weiterhin militärisch stärken.
Eine weitere Dimension von Russlands Aggression ist im westlichen Balkan sichtbar. Eine Region, in der politische Beeinflussung zu einem Machtinstrument geworden ist. Diese Einflussnahme ist keineswegs abstrakt. Sie zielt direkt auf demokratische Institutionen und ist darauf ausgerichtet, den europäischen Kurs unserer Partner zu untergraben.
Sie zielt auf das zentrale Ziel unserer EU-Beitrittspolitik ab: einen stabilen, demokratischen Rahmen, der die Sicherheit des gesamten Balkans stärkt. Und der unsere Wirtschaftsbeziehungen schützt und verhindert, dass externe Akteure Schwachstellen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ausnutzen. Genau aus diesem Grund arbeiten unsere beiden Länder auf den Beitritt der Vorreiter unter den Beitrittskandidaten hin.
Doch Russlands Aggression ist nicht die einzige Herausforderung, vor der wir stehen.
Überall auf der Welt erleben wir humanitäre Krisen unvorstellbarer Größenordnungen – beispielsweise in Sudan, wo Hunger, Flucht und Vertreibung apokalyptische Ausmaße annehmen.
Ganz generell werden die Europäer ihre Partnerschaft mit afrikanischen Ländern vertiefen müssen. Auch dies ist ein vielversprechendes Feld der Zusammenarbeit zwischen Italien und Deutschland. Insbesondere angesichts des geopolitischen Wettbewerbs. Italien bringt hier einzigartige Sachkenntnis ein.
In Israel konnten – und darüber bin ich sehr froh – alle überlebenden Geiseln nach Hause zurückkehren. Und auch wenn es jetzt glücklicherweise einen fragilen Waffenstillstand im Gazastreifen gibt, brauchen die Menschen dort auch weiterhin dringend Hilfe. Unsere Hilfe. Ich freue mich, dass wir heute eine gemeinsame Erklärung mit Blick auf die Verbesserung der humanitären Lage in Gaza verabschiedet haben.
Wenn wir über europäische Stabilität sprechen, müssen wir auch das Thema europäische Migrationspolitik ansprechen. Deutschland setzt sich gemeinsam mit gleichgesinnten Staaten weiterhin aktiv dafür ein, dass die EU-Kommission an innovativen Lösungen in der Migrationspolitik arbeitet.
Exzellenzen,
in Berlin wie in Rom haben wir uns gefragt: Wie soll Außenpolitik in der heutigen Zeit gestaltet werden?
Eines ist ganz deutlich geworden: Wir müssen uns anpassen. Anpassen an die neuen Prioritäten, die sich für uns aufgrund der globalen Lage ergeben. Veränderungen auf unserem Kontinent und in der Welt haben rapide Auswirkungen auf uns. Ich weiß, dass das auch für Sie ein Thema ist.
In Deutschland müssen wir uns außerdem an die Haushaltslage anpassen. Das bedeutet, dass wir innerhalb der nächsten vier Jahre Personaleinsparungen in Höhe von 8 Prozent vornehmen müssen. Um das zu schaffen, müssen wir unsere Arbeitsweise verändern.
Aus diesem Grund werden wir das Auswärtige Amt grundlegend umstrukturieren. Wir werden die Regionalabteilungen stärken und parallel dazu unsere Leistungsfähigkeit in den Bereichen Sicherheitspolitik, Internationale Ordnung und Geoökonomie und natürlich im Bereich Europa verbessern.
Exzellenzen,
lassen Sie mich eines ganz grundsätzlich feststellen: Wann immer Deutschland und Italien in den letzten 75 Jahren vor großen Herausforderungen standen, haben sie letztlich dieselbe Antwort gefunden.
Eine Antwort, die über den Einzelnen von uns hinausreicht. Eine Antwort, die Generationen Frieden und Stabilität gebracht hat. Die Lösung für unsere Probleme lautet Europa. Und das ist keine abstrakte Idee.
Es ist genau der Grund, warum unsere Industrien wachsen können. Warum unsere Demokratien geschützt sind. Warum unsere Stimme Gewicht in der Welt hat. Heute liegt es an uns, dafür zu sorgen, dass diese Idee in unserer sich verändernden und herausfordernden Zeit Bestand hat.
Und deshalb arbeiten wir an der Erweiterung der Europäischen Union. Das ist eine geopolitische Notwendigkeit. Durch Erweiterung wird die EU nur noch stärker – aber nur, wenn sich die EU parallel dazu auch reformiert. Um wieder wettbewerbsfähiger zu werden und um im Bereich Sicherheit und Verteidigung die ihr zustehende Rolle zu spielen.
Antonio Tajani hat es vor einigen Tagen gesagt: Europa braucht Mut. Und Italien muss eine wichtige Rolle spielen. Mit den Regierungskonsultationen, die im Januar anstehen, wollen wir unsere Beziehungen auf eine neue Ebene heben. Mit Blick darauf möchte ich die hervorragenden Arbeitsbeziehungen zwischen unseren beiden Außenministerien hervorheben, die von informellen Kontakten auf Arbeitsebene bis hin zu Beratungen auf Staatssekretärsebene reichen, und mich dafür bei Ihnen bedanken.
2026 wird ein Jahr der Möglichkeiten für Italien und Deutschland. Lassen Sie uns dieses Potenzial vollständig ausschöpfen. Im Interesse unserer beiden Länder und im Interesse Europas.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.