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Rede von Außenminister Steinmeier bei der Interparliamentary Conference on Combatting Anti-Semitism
Exzellenzen,
verehrte Vertreter der jüdischen Organisationen,
liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,
meine Damen und Herren!
Ich freue mich sehr, Sie hier zu begrüßen, hier in der deutschen Hauptstadt. Wir sind in Berlin - in jener Stadt, in der vor über 70 Jahren die Vernichtung des europäischen Judentums beschlossen, geplant und ins Werk gesetzt wurde.
Nur wenige Meter von hier, am Bebelplatz, verbrannten die Nazis 1933 die Bücher jüdischer Autoren – ein Vorspiel zum Mord an Europas Juden. Und hier in diesem Hause selbst - in der damaligen Reichsbank - bunkerten die Nazis in den Tresorräumen unter Ihren Füßen das Gold, das sie in ihren Raubzügen zusammengerafft und vor allem auch jüdischen Opfern abgenommen hatten.
Und heute, meine Damen und Herren? Heute sind Sie aus über 40 Ländern nach Berlin gekommen, um ein entschlossenes Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen.
Ich freue mich sehr, dass Sie da sind. Denn Antisemitismus ist eben kein historisches Phänomen, das wir überwunden haben, das vorbei ist. - Nein, in Deutschland, in Europa und in anderen Teilen der Welt gibt es Rassismus und Anti-Semitismus noch immer. Das zeigen die Anschläge von Paris, von Brüssel, von Toulouse auf ganz erschreckende Weise. Das zeigen aber auch die dumpfen, von Vorurteilen und Hass geprägten Parolen, die wir an vielen Orten Europas hören – auch hier bei uns in Deutschland. Wir sind hier, weil wir uns einig sind, dass wir Antisemitismus, Hassreden und Bedrohungen in unseren Gesellschaften nicht akzeptieren. Sondern dass wir aktiv und gemeinsam gegen sie vorgehen müssen!
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„Die Geschichte wirft nicht nur Schatten auf die Gegenwart, sondern auch Licht.“ – Das hat mir der israelische Historiker Menachem Ben Sasson einmal gesagt. Und ich finde, dass dieser Gedanke sehr erhellend ist – für die Anstrengungen die vor uns liegen. Die Schatten der Geschichte in unserer Gegenwart – Das heißt, dass Deutschland sich bekennt zu seiner historischen und moralischen Verantwortung für die Schoah – klar und unverbrüchlich.
Das Licht der Geschichte – das bedeutet für mich, dass mit dieser Verantwortung eine ganz klare Handlungsaufforderung für die Zukunft einhergeht: Dass wir uns mit aller Kraft gegen Hass und Antisemitismus in unseren Gesellschaften einsetzen müssen. Das Licht, das die Geschichte auf unsere Gegenwart wirft, wie Ben Sasson es sagt, dieses Licht sollten wir dazu nutzen, Probleme und neue Herausforderungen in diesem Kampf ehrlich zu beleuchten, zu benennen und anzugehen. Auch dazu soll diese Konferenz dienen, meine Damen und Herren!
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Es ist meine feste Überzeugung, dass wir Antisemitismus gemeinsam am erfolgreichsten entgegentreten können. Dafür brauchen wir die Zusammenarbeit von Parlamenten, Regierungen und der Zivilgesellschaft. Das ist unser aller Verantwortung!
Die Bekämpfung des Antisemitismus ist deswegen auch einer der Schwerpunkte unseres Vorsitzes der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, den wir in diesem Jahr übernommen haben.
Deutschland engagiert sich innerhalb der OSZE in diesem Bereich seit Jahren, insbesondere durch ihren Sonderbeauftragten Rabbi Baker. Wir haben in der OSZE wichtige Zeichen gesetzt – wie auf den Berliner Antisemitismus-Konferenzen von 2004 und 2014. Die Berliner Erklärung im Jahr 2004 war ein Meilenstein. In ihr ächteten die Staaten nicht nur den Antisemitismus als Gefahr für Demokratie, Menschenrechte und für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Sondern sie sprachen sich auch für konkrete operative Schritte gegen Antisemitismus auf nationaler und internationaler Ebene aus.
2014 haben wir diese gemeinsame Verpflichtung bekräftigt.
Während unseres Vorsitzes wollen wir darauf bauen – und zwar nicht nur mit Erklärungen, sondern mit konkreten Maßnahmen. „Taten statt Worte“ – das ist der Name eines mehrjährigen Projekts, das das ODIHR, das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, – im Rahmen unseres Vorsitzes und mit deutscher Unterstützung durchführt.
Schwerpunkte sind dabei die Verbesserung der Sicherheit für jüdische Einrichtungen im OSZE-Gebiet, effektive Bildungsarbeit gegen Antisemitismus, sowie die Stärkung von Dialog und zivilgesellschaftlichem Engagement.
Was mich besonders freut: Dieses Projekt verdankt seine Durchführung auch besonders dem Einsatz der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die spezielle Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt haben.
Es ist damit ein Beispiel für die wichtige Rolle, die Parlamentarier bei unseren gemeinsamen Anstrengungen spielen!
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Meine Damen und Herren,
Gemeinsam sind wir im Kampf gegen Antisemitismus in den letzten Jahre wichtige Schritte gegangen. Aber wir müssen uns immer wieder fragen, wo wir noch mehr tun können und müssen. Auch dazu wollen wir unseren Vorsitz der OSZE nutzen. Und zu dieser ernsthaften Vergewisserung ist auch die heutige Konferenz ein wichtiger Anlass!
Für mein Land, für Deutschland, entsteht bei dieser Vergewisserung ein Bild, das viel Licht, aber auch einige Schatten enthält– wenn wir beim Bild vom Anfang bleiben wollen.
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Es ist eine wunderbare Entwicklung, dass das jüdische Leben wieder aufblüht in Deutschland! Das sehen wir hier in Berlin, aber auch in vielen anderen Teilen unseres Landes. Synagogen werden geöffnet, Kindergärten, Schulen.
Und was mich besonders freut: In Deutschland werden wieder Rabbiner ausgebildet und ordiniert. Vor anderthalb Jahren durfte ich in der Synagoge zum Weißen Storch in Breslau zu Gast sein. - Fast genau auf den Tag 75 Jahre, nachdem Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach. An diesem Tag, 75 Jahre später, saß ich in der alten Synagoge zum Weißen Storch und war Zeuge, wie dort Rabbiner ordiniert wurden - und zwar Rabbiner, die hier bei uns in Deutschland ausgebildet worden waren! Es war eine bewegende Feier.
Für viele junge Juden ist Berlin, ist Deutschland heute ein Magnet. Tausende Israelis leben mittlerweile in Berlin. Sie kommen hierher auf den Spuren ihrer Großeltern. Sie sind neugierig auf unser Land. Und viele von ihnen bleiben für einige Zeit, zum Arbeiten, zum Studieren, zum Leben an dem Ort, an dem ihren Familien unsägliches Leid geschah.
In Deutschland finden heute große jüdische Kulturveranstaltungen statt. Im letzten Sommer kamen hunderte junge Sportler nach Berlin, um hier das größte jüdische Sportfest Europas zu feiern – die Makkabi Games. Auch das Jüdische Filmfestival, Herr Botschafter, setzt seine Arbeit fort.
Ja, es stimmt, das jüdische Leben blüht wieder in Deutschland und in Europa. Und das ist gut so. Denn hier gehört es hin! Das ist ein Glück, eine Bereicherung, und das ist - für mich persönlich - im Angesicht unserer Geschichte nicht weniger als ein Wunder.
Dass das so ist, daran haben viele hier im Saal einen Anteil, die Sie sich für die jüdischen Gemeinden engagieren, für Initiativen der deutsch-israelischen Freundschaft. Und ich möchte Ihnen auf diesem Wege ganz herzlichen Dank sagen!
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Aber wenn wir vom Licht sprechen, das die Geschichte auf unsere Gegenwart wirft, dann bedeutet dies auch, dass wir nicht wegschauen und weghören dürfen – bei fremdenfeindlicher Hetze, bei antisemitischen Parolen, bei Bedrohungen oder gar –auch das haben wir leider erlebt und erleben es immer wieder – bei gewalttätigen Übergriffen.
Es bereitet mir Sorge, wenn Experten bei rund einem Fünftel der Deutschen heute latent antisemitische Einstellungen feststellen. Klar ist: Judenhass und antisemitische Rhetorik haben in unserer Gesellschaft keinen Platz!
Auch nicht im Sport. Es ist gut, dass im Rahmen dieser Konferenz über Antisemitismus im Fußball diskutiert wird. Und zwar mit Menschen, die das ganz konkret betrifft, wie die Athleten vom TuS Makkabi Berlin.
Internet Hate und unsere europäischen Antworten darauf sind ein weiteres wichtiges Thema. Noch immer bin ich entsetzt über die Welle antisemitischer Hetze und Übergriffe, die im Zuge des Gaza-Krieges im Sommer 2014 an vielen Orten in Europa ausgebrochen ist: Auf Marktplätzen und Straßen, aber eben auch in den sozialen Netzwerken! Nichts, auch nicht die dramatische militärische Konfrontation in Gaza, rechtfertigt diese antisemitischen Ausfälle! Das ist unsere entschiedene Antwort!
Auch der Kampf gegen Antisemitismus in muslimischen Gesellschaften steht auf dieser Konferenz im Fokus. Das ist ein wichtiges Thema. Gerade jetzt und hier – mit den Abertausenden, die derzeit bei uns Schutz suchen, die fliehen vor Krieg, Terror und Gewalt im Mittleren Osten.
Klar muss sein: Wer hier bei uns lebt, ob seit Jahren, ob auf Dauer oder nur für eine Weile, für den gilt: Antisemitismus geht gegen unsere Verfassung, gegen unsere Zivilisation – gegen alles, woran wir glauben, und alles, was wir gelernt haben! Und wenn wir jetzt über die Integration der Neuankömmlinge sprechen, dann müssen wir auch sagen: Anzukommen im Herzen der deutschen Gesellschaft bedeutet auch: das Bekenntnis gegen den Antisemitismus im Herzen anzunehmen.
Denn klar ist: In unserem Verständnis eines freien, demokratischen und toleranten Deutschlands ist kein Platz und darf kein Platz sein für Antisemitismus!
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Meine Damen und Herren,
viele der Herausforderungen, von denen ich gerade gesprochen habe, betreffen nicht nur Deutschland. Sie betreffen uns alle in Europa und in vielen anderen Teilen der Welt. Deswegen lautet mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsam ans Werk gehen. Die OSZE bietet dafür einen Rahmen. Und: lassen Sie uns voneinander lernen, was die besten Maßnahmen und Strategien gegen Antisemitismus und Rassismus sind!
Dafür ist die ICCA Konferenz ein hervorragendes Forum! Ich wünsche Ihnen anregende Diskussionen und einen produktiven Austausch!
Herzlichen Dank!