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Grußwort von Europa-Staatsminister Roth beim Neujahrsempfang des Deutsch-Französischen Jugendwerks am 27.01.2016 in Berlin
--- es gilt das gesprochene Wort ---
Monsieur l’Ambassadeur, lieber Philippe Etienne,
Madame la Secrétaire Générale, liebe Béatrice Angrand,
Herr Generalsekretär, lieber Markus Ingenlath,
Liebe Jugendliche, meine Damen und Herren,
in den vergangenen beiden Jahren hat meine Kollegin Manuela Schwesig als Bundesjugendministerin beim Neujahrsempfang des Deutsch-Französischen Jugendwerks zu Ihnen gesprochen.
In diesem Jahr habe ich Ihre Einladung gerne angenommen – und das aus doppeltem Grunde: Zum einen freue ich mich von ganzem Herzen über den Grund, warum Manuela Schwesig heute nicht bei uns sein kann. Wie Sie sicherlich wissen, wird sie in Kürze zum zweiten Mal Mutter. Ich finde: Eine schönere Entschuldigung kann es doch eigentlich gar nicht geben!
Zum anderen liegt mir als Europa-Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit die Arbeit des Jugendwerks ganz besonders am Herzen. Denn Sie sind es doch, die unser Europa in den kommenden Jahren und Jahrzehnten prägen und mitgestalten werden!
Leider erschöpfen sich damit fast schon die guten Nachrichten, die ich Ihnen heute überbringen kann: Zu Beginn des Jahres 2016 steht Europa nach den Terroranschlägen von Paris und Istanbul sowie den anhaltenden Flüchtlingsbewegungen entlang der Balkanroute vor gewaltigen Bewährungsproben. Nur gemeinsam können wir diese großen Aufgaben meistern.
Gerade in diesen Krisenzeiten ist das deutsch-französische Tandem als Impulsgeber mehr denn je gefordert. Denn auf eines konnten wir uns immer verlassen:
Trotz anfänglich oftmals abweichender Haltungen siegt am Ende meist der politische Wille, diese Gegensätze zu überwinden und eine gemeinsame deutsch-französische Position zu finden. Es ist eben diese Kompromissfähigkeit, die die deutsch-französischen Beziehungen so besonders und unsere Zusammenarbeit so wertvoll für Europa macht. Denn die Erfahrung zeigt immer wieder: Wenn Deutschland und Frankreich erst einmal einen Kompromiss gefunden haben, dann ist dies meist auch eine gute Grundlage für eine gesamteuropäische Verständigung.
Wie eng wir derzeit zusammenarbeiten, verrät schon ein Blick in meinen Kalender. Allein in den vergangenen Wochen jagte da ein deutsch-französisches Projekt das nächste: Vor zwei Wochen traf ich gemeinsam mit dem Botschafter französische und deutsche Austauschbeamte. Am vergangenen Donnerstag eröffneten wir mit dem DFJW-Generalsekretär im Auswärtigen Amt ein deutsch-französisches Jugendfußballturnier.
Und am Deutsch-Französischen Tag am Freitag diskutierten mein Kollege Harlem Désir und ich mit Berliner Schülerinnen und Schülern über die aktuellen Bewährungsproben in Europa.
Und die Aufgaben, die vor uns liegen, sind in der Tat enorm: Europa steht am Scheideweg. Zwischen einem Kontinent, auf dem Schlagbäume, Zäune und nationale Egoismen wieder Einzug halten. Oder einem Kontinent, der zusammenhält und politisch an einem Strang zieht.
Und ich kann es Ihnen leider nicht ersparen: Es gibt keinen Automatismus – weder in die eine noch in die andere Richtung. Der größte Fehler wären, wenn wir uns jetzt in Sicherheit wiegten, dass die Stürme und Krisen schon einfach so vorbeiziehen werden. Jetzt liegt es in unserer Hand, Europa auf den richtigen Kurs zu bringen!
Wir müssen wieder kämpfen für das europäische Projekt, das für viele von uns zu einer politischen Selbstverständlichkeit geworden ist. Ich denke da zum Beispiel an den Euro: Wir müssen nicht mehr jedes Mal Geld wechseln, bevor wir ins europäische Ausland reisen. Oder an die Freizügigkeit in einem Europa ohne Binnengrenzen. In den Jahren der Krise sind auch diese scheinbar selbstverständlichen Errungenschaften der europäischen Einigung in Bedrängnis geraten.
Wir brauchen jetzt vor allem Teamgeist, um die vor uns liegenden Aufgaben zu lösen. Konkrete und spürbare Ergebnisse europäischen Handelns sind immer noch das beste Mittel, um Zweifel am Wert Europas zu überwinden. Nationale Egoismen und fremdenfeindliche Parolen bringen uns dagegen nicht weiter.
Lösungen für die Flüchtlingsfrage zu finden, ist eine Aufgabe für uns alle, derzeit aber ganz besonders für Deutschland. Ich weiß: Viele sagen, Deutschland habe sich doch selbst in diese Lage gebracht.
Deswegen sei das nun auch ein deutsches Problem – und kein europäisches. Wer so argumentiert, der hat nicht begriffen: Kein Staat in Europa, selbst das vermeintlich so große und wirtschaftliche starke Deutschland, kann diese Mammutaufgabe im Alleingang stemmen. Nur gemeinsam werden wir vorankommen.
Zum einen müssen wir unsere Außengrenzen effektiver schützen. Wir müssen auch aus Sicherheitsgründen wissen, wer zu uns kommt. Zum anderen kann eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa nur stattfinden, wenn tatsächlich alle Ankommenden ordnungsgemäß registriert werden.
Unseren gemeinsamen Schengen-Raum können wir dauerhaft nur erhalten, wenn die Außengrenzen wirksam geschützt werden. Kurzfristig und befristet mögen Grenzkontrollen notwendig sein. Aber wir sollten alles daran setzen, dass sie nicht zur Regel werden.
Hierzu hat die EU-Kommission ein ganzes Maßnahmenpaket auf den Tisch gelegt. Kernpunkt ist der Ausbau der EU-Agentur Frontex zu einem handlungsfähigen Europäischen Grenz- und Küstenschutz. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn die konkreten Details noch diskutiert werden müssen.
Eine weitere große Aufgabe ist der gemeinsame Kampf gegen den internationalen Terrorismus, die vor allem von der Terrormiliz Islamischen Staat ausgeht. Die Anschläge in Paris und zuletzt in Istanbul haben uns allen erneut vor Augen geführt, wie ernst die Terrorgefahr auch hier bei in Europa ist.
Wir stehen fest an der Seite unserer französischen Freunde: Seit den Anschlägen auf Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt im Januar 2015 haben wir bereits viele Fortschritte bei der gemeinsamen Terrorismusbekämpfung erreicht – von der Speicherung von Fluggastdaten bis hin zur besseren Kontrolle beim Erwerb von Feuerwaffen.
Alles andere als einfache Thermen! Nun müssen wir uns dafür einsetzen, dass diese beschlossenen Änderungen auch in allen Mitgliedstaaten konsequent umgesetzt werden.
Die Terroristen wollen unsere freiheitliche Lebensweise zerstören. Das dürfen wir nicht zulassen. Trotz der grausamen Anschläge sollten wir bei jeder Gesetzesänderung genau abwägen, ob der (vermeintliche) Mehrwert an Sicherheit es auch wert ist, unsere Freiheit zu beschränken. Ansonsten schaffen wir die Freiheit, für die wir doch eigentlich kämpfen wollen, am Ende selbst ab.
Und noch eines ist mir wichtig: Wir dürfen nicht den Fehler begehen, den Kampf gegen den Terrorismus und die Flüchtlingsdebatte miteinander zu vermischen, schon gar nicht aus innenpolitischem Kalkül. Jetzt alle Flüchtlinge unter einen Generalverdacht des Terrorismus zu stellen, ist nichts als verantwortungsloser Populismus.
Die Bedrohung für unsere Sicherheit und Freiheit geht doch nicht von den Menschen aus, die derzeit bei uns Schutz vor Krieg, Terror und Verfolgung in ihrer Heimat suchen. Die Anschläge von Paris zeigen vielmehr: Wir Europäerinnen und Europäer sowie die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak haben einen gemeinsamen Feind: den Terror des Islamischen Staates.
Ich sage das bewusst auch vor dem Hintergrund der beschämenden Ereignisse in der Silvesternacht in Köln und andernorts: Natürlich dürfen und werden wir Straftaten wie sexuelle Belästigungen und Diebstahl nicht tolerieren. Wir werden sie mit allen Mitteln bekämpfen, die unsere rechtsstaatliche Ordnung uns in die Hand gibt. Das gilt unabhängig davon, ob die Täter Deutsche sind oder wie in Köln einen Migrationshintergrund haben. Es hilft auch nichts, diesen Hintergrund – wie in den ersten Tagen nach Köln geschehen – unter den Teppich zu kehren. Man muss darüber vielmehr ganz offen reden.
Die zentrale Frage ist doch: Wie kann es in Europa gelingen, Menschen aus anderen Kulturkreisen rasch und solidarisch zu integrieren? Europa hat eine lange Integrationsgeschichte und war und ist auch heute multikulturell, multiethnisch und multireligiös. Das friedliche Zusammenleben und gegenseitige Bereichern verschiedener Nationalitäten und Religionen, von Traditionen und Bräuchen ist uns allen nicht neu.
Dieses Bewusstsein soll vor allem auch in der jungen Generation in Deutschland und Frankreich, aber auch in anderen Ländern Europas, fest verankert sein. Seit über fünf Jahrzehnten ist das Deutsch-Französische Jugendwerk nun schon der wichtigste Brückenbauer für den Austausch und interkulturellen Dialog zwischen jungen Leuten unserer beiden Länder.
Damit zeigt das Jugendwerk auf ganz wunderbare Seite, dass die deutsch-französische Partnerschaft längst keine reine Regierungsveranstaltung mehr ist.
Unsere bilateralen Beziehungen werden vielmehr getragen von einem dichten Netzwerk persönlicher Kontakte zwischen Bürgerinnen und Bürgern beider Länder.
Und das Beispiel des DFJW hat in Europa Schule gemacht: Wir haben seit über zwanzig Jahren ein Deutsch-Polnisches Jugendwerk; auch mit Griechenland gibt es Pläne in dieser Richtung. Besonders begrüße ich es auch, dass das DFJW trilaterale Begegnungen von Jugendlichen aus Deutschland und Frankreich mit jungen Leuten aus anderen Ländern Europas fördert: Gleich nachher werden sich Teilnehmer an Drittlandprogrammen Jugendwerks untereinander austauschen – ob mit Polen im Rahmen des Weimarer Dreiecks oder den Ländern des Westlichen Balkans, die sich in den 90er Jahren durch mehrere Kriege entzweit hatten.
Europa braucht jetzt solche Brückenbauer wie das Deutsch-Französische Jugendwerk. Und deshalb möchte ich Sie ermuntern: Lernen Sie einander kennen, über Grenzen hinweg. Denn persönliche Kontakte sind der beste Weg, um Vorbehalte gegenüber dem Unbekannten zu überwinden.