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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth zur Eröffnung des Migrationsdialogs im Rahmen des Deutsch-Tschechischen Strategischen Dialogs

19.01.2016 - Rede

--- es gilt das gesprochene Wort ---

Sehr geehrte Damen und Herren,

Vaclav Havel hat einmal gesagt: „Politik ist nicht die Kunst des Möglichen, sondern des Unmöglichen.“ Kaum ein Satz passt wohl besser zu der schwierigen Ausgangslage, wie wir sie in Europa zu Beginn des Jahres 2016 erleben. Ist Europa tatsächlich zur „Mission Impossible“ geworden?

Keine Frage: Selten zuvor war die Europäische Union innen- und außenpolitisch so gefordert wie aktuell. Insbesondere am Umgang mit der Flüchtlingsfrage hat sich in den vergangenen Monate gezeigt: Wir brauchen wieder mehr Zusammenhalt und Solidarität in der EU. Europa steht derzeit vor einer Mammutaufgabe, die wir nur miteinander und nicht gegeneinander lösen können.

Damit das gelingt, ist in Europa nun Teamgeist gefragt. Oder wie Vaclav Havel es uns wohl ins Stammbuch schreiben würde: Wir brauchen den Willen und die Kompromissbereitschaft, um auch für scheinbar hoffnungslos festgefahrene Konflikte neue Lösungswege zu finden. Das Unmögliche möglich machen – das ist der Anspruch an alle, die derzeit in Europa politische Verantwortung tragen und um Lösungen für die Flüchtlingsfrage ringen.

Nationale Alleingänge, gegenseitige Vorwürfe und europafeindliche Parolen bringen uns nicht weiter. Aufeinander zuzugehen, einander zuhören und gemeinsam nach tragfähigen Kompromissen suchen – das ist gerade angesichts der aktuellen Meinungsverschiedenheiten wichtiger denn je, um der Gefahr einer Ost-West-Spaltung der EU entgegenzuwirken.

Diesen Teamgeist wollen wir heute hier beim Deutsch-Tschechischen Migrationsdialog in Prag vorleben. Deutschland und Tschechien verbindet traditionell ein enges freundschaftliches Verhältnis.

Unter Freunden wollen wir heute offen und konstruktiv über das Thema sprechen, das die Menschen in unseren Ländern derzeit wohl am meisten bewegt.

Wir wollen uns über unsere unterschiedlichen Erfahrungen mit Zuwanderung und Integration austauschen, um voneinander zu lernen und um zu gemeinsamen Antworten zu kommen. Deshalb habe ich mich sehr über den Vorschlag von Vladimír Špidla gefreut, heute über das Thema Migration und die Bewältigung der Flüchtlingsfrage im europäischen Rahmen zu sprechen.

Dass die Positionen unserer Regierungen in vielen Frage schon beieinander liegen, ist nicht nur gut zu wissen und schön für das Protokoll. Es stimmt mich vor allem zuversichtlich, dass wir auf Basis dieser Gemeinsamkeiten auch bei der Umsetzung ein gutes Stück vorankommen werden.

Und das ist dringend notwendig. Denn solange wir bei der Bekämpfung der Fluchtursachen in der Herkunftsländern der Flüchtlinge keine Fortschritte erzielen, wird Europa auch weiterhin Zufluchtsort für eine große Zahl an Schutzbedürftigen bleiben. Viele Menschen werden für längere Zeit, manche sogar dauerhaft, bei uns bleiben. Das stellt uns vor die Aufgabe, wie wir sie erfolgreich in unsere Gesellschaften und Arbeitsmärkte integrieren können. Und nicht nur das: Sie zu echten Europäern werden lassen – das sollte unser gemeinsames Ziel sein.

In Deutschland haben wir über die Jahrzehnte unsere eigenen Erfahrungen gemacht mit Zuwanderung und Integration. Selbstkritisch will ich sagen: Nicht alles ist dabei perfekt gelaufen – aber es ist auch vieles geglückt. Vielleicht können wir mit unseren Erfahrungen in Deutschland ja denen, die derzeit noch Zweifel haben, Mut machen. Gerne würden wir mit unseren vielen Erfolgsgeschichten von gelungener Integration aufzeigen, welche vielfältigen Chancen und Potenziale Zuwanderung mit sich bringt.

Und vielleicht gelingt es uns ja sogar über diesen Erfahrungsaustausch ein gemeinsames europäisches Verständnis von Integration zu entwickeln. Denn wir brauchen in Europa dringend einen Konsens darüber, wie wir es schaffen wollen, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen ethnischen, religiösen und kulturellen Hintergründen friedlich und respektvoll zusammenleben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mir ist bewusst, dass die Aufnahme einer großen Anzahl von Flüchtlingen, die wir derzeit in Deutschland erleben, nicht völlig konfliktfrei ablaufen wird. Im Gegenteil: Das wird eine Riesenaufgabe für uns alle – sowohl für die ankommenden Flüchtlinge als auch für die heimische Bevölkerung.

Im Kern geht es darum, welche Erwartungen wir an die Menschen haben, die bei uns eine neue Heimat finden wollen. Es geht aber auch darum, was uns das selbst abverlangt.

In einer Frage darf es aus meiner Sicher keinerlei Kompromisse geben: Wer dauerhaft bei uns bleiben will, der muss unsere Werte und Regeln respektieren – ohne Wenn und Aber. Und ich spreche hier nicht nur über Strafgesetze. Nein, ich denke auch an so grundlegende Dinge, wie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder Toleranz gegenüber Minderheiten. Doch diese Werte fallen nicht einfach so vom Himmel, sie müssen vermittelt und erlernt werden – in Kindergärten und Schulen, in Jugendgruppen und Sportvereinen.

Doch Integration ist mitnichten eine Einbahnstraße. Es geht auch um die Frage, ob wir selbst uns nicht auch verändern müssen, wenn wir ein buntes, weltoffenes Einwanderungsland sein wollen. Es wird auf Dauer kaum funktionieren, den Zuwanderern einfach zu sagen: „Wir sind in der Mehrheit. Passt Euch gefälligst an!“

Nein, wir müssen akzeptieren, dass die Menschen, die zu uns kommen, mittelfristig auch unsere Gesellschaft verändern werden.
Wir müssen Migration endlich als Chance – und nicht als Bedrohung – begreifen. Migration bedeutet Vielfalt und Buntheit. Und ich würde sogar so weit gehen: Diese Vielfalt und Buntheit sind unsere allergrößte Stärke!

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie sehen schon: Es gibt heute viel zu besprechen! Damit wir zu einem interessanten Austausch kommen, begleiten mich heute hochrangige Expertinnen und Experten, die Erfahrungen aus erster Hand aus der Perspektive der Bundesländer, der Kommunen und der Wirtschaft mitbringen.

Ich hoffe, dass wir mit diesem Dialog über Migrationsfragen einige Impulse zu einer Verständigung über Erfahrungen und Erwartungen setzen können, die Deutschland und Tschechien als ausgezeichnete Nachbarn auch in dieser Frage noch näher zusammen bringt. Wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, dann können wir auch diese „Mission Impossible“ lösen.


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