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„Wir brauchen viele nationale und europäische Anstrengungen, um die Fluchtursachen zu beseitigen“

24.12.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Märkischen Allgemeinen (24.12.2015).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Märkischen Allgemeinen (24.12.2015).

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Am 5. Januar werden Sie 60 Jahre alt. Ist das eine Zäsur für Sie?

Das ist schon nochmal eine andere Nummer. Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen...

Auch körperlich? Schließlich führen Sie mit Ihren vielen Flügen und Zeitumstellungen ein auch physisch anstrengendes Leben.

Das macht mir eigentlich nichts aus. Mit Jetlags habe ich kein Problem. Oft nutze ich die Zeit im Flugzeug für einen Kurzschlaf.

Wie viel Ruhe benötigen Sie?

Fünf, sechs Stunden, die schlafe ich segmentweise, zum Beispiel im Auto oder wie gesagt auch im Flieger.

Vor fünf Jahren haben Sie Ihrer Frau eine Niere gespendet? Wie geht es ihnen beiden heute?

Bemerkenswert gut, wir haben neulich unseren fünften Geburtstag gefeiert. Auch im Abstand von fünf Jahren kann ich sagen, dass wir damals eine glückliche Entscheidung getroffen haben.

Bleiben wir bei Ihrer Familie. Ihre Tochter ist inzwischen erwachsen und war ein Jahr in Palästina. Ist sie israelkritischer als der deutsche Außenminister?

Wir beide sind uns darin einig, dass nur die Zweistaatenlösung im Nahen Osten die Probleme überwinden hilft.

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Lange Zeit wollten Sie und die SPD die Konflikte im Irak und in Syrien diplomatisch und eben nicht militärisch lösen. Was ist geschehen, dass wir jetzt doch plötzlich im Krieg in Syrien sind?

Das ist nicht die wahre Geschichte. Ich habe nie erklärt, dass wir militärisch nichts machen müssten, sondern schon vor anderthalb Jahren gesagt, dass wir ohne eine militärische Beteiligung unglaubwürdig werden. Ich habe seinerzeit während meines Aufenthalts im Nordirak die flüchtenden Frauen und Kinder gesehen, deren Männer geköpft worden sind und deren Töchter als Prostituierte an die IS-Terroristen an die Front verkauft wurden. Es ist doch klar, dass es nicht reichen wird, diesen Menschen einen Sack Reis und ein paar warme Decken zu geben. Dass der IS im vergangenen Jahr ein Viertel des von ihm eroberten Territoriums verloren hat, ist den Luftschlägen und dem mutigen Kampfeinsatz der Peschmerga, die wir mit Ausbildung und Ausstattung unterstützen, zuzuschreiben.

Der Kampf geht nun weiter in Syrien. Wo soll das hinführen?

Die in New York verabschiedete Sicherheitsratsresolution, mit dem Ziel, unter der Führung der Vereinten Nationen in Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu treten, ist einer kleiner Hoffnungsschimmer, endlich das tägliche Sterben zu beenden. Natürlich gibt es keine Erfolgsgarantie. Rückschläge sind nicht ausgeschlossen, aber die Tatsache, dass es bisher gelungen ist, alle Parteien am Tisch zu halten, ist an sich viel wert.

Die Flüchtlingsbewegung beflügelt einen Rechtsruck in Europa, zuletzt in Frankreich, mit der AfD auch in Deutschland. Zerfällt Europa?

Die Flüchtlingsbewegung ist der größte Stresstest, der je für die Europäische Union angestanden hat. Das Flüchtlingsproblem ist kein deutsches, sondern ein europäisches. Auf Dauer ist es für Europa nicht gesund, wenn sich nur vier, fünf Staaten in der Verantwortung sehen. Wir müssen zu einer gerechteren Verteilung kommen. Hier müssen alle Verantwortung übernehmen.

Bei wie vielen Flüchtlingen in Deutschland ziehen Sie die Grenzlinie?

Wir werden in Deutschland nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge integrieren können. Die Zahl muss nach unten gehen. Aber es gibt nicht das eine Rezept, mit dem das zu schaffen ist. Wir brauchen dazu viele nationale und europäische Anstrengungen, um die Fluchtursachen zu beseitigen. Dazu gehören Rückführungsabkommen mit anderen Staaten und der Schutz der Außengrenzen der EU. Hier hat die Kommission gute Vorschläge gemacht, die wir sehr unterstützen. Auch die Vereinbarungen mit der Türkei sind wichtige Bausteine zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen.

Sind Schengen und die Freizügigkeit innerhalb Europas noch zu retten?

Wir können die Binnengrenzen nur bedeutungslos machen, wenn wir die Außengrenzen wirksam stärken. Unser Problem ist, dass wir alle Kontrollen an den Binnengrenzen aufgehoben, aber versäumt haben, die Kontrollen an den Außengrenzen aufzubauen. Das müssen wir jetzt nachholen, gemeinsam mit dem Schlüsselland für die Migration, also mit der Türkei.

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Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Märkischen Allgemeinen Zeitung.

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