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„Die Zerstörungen von Welterbestätten sind Kriegsverbrechen“

27.06.2015 - Interview

In der „Bonner Erklärung“ will die Unesco in diesen Tagen ein Zeichen für den Schutz historischer Stätten setzen. Im Interview mit den Kölner Stadtanzeiger (27.06.2015) spricht die Vorsitzende des Welterbekomitees, Staatsministerin Maria Böhmer, über zwingende Maßnahmen zum Schutz der wertvollen Kulturgüter.

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Frau Prof. Böhmer, während in Bonn Welterbe-Tagung stattfindet, sind herausragende Welterbestätten in Syrien von der völligen Zerstörung bedroht. Wie reagieren Sie darauf?

Es ist immer ein großes Erschrecken, wenn Terrorismus, aber auch Naturkatastrophen, Konflikte oder ganz „normale“ Vernachlässigungen Welterbestätten bedrohen. Deshalb will ich die Konferenz nutzen, aktiv für den Erhalt und den Schutz von Welterbestätten einzutreten. Dazu werden wir am Montag eine Bonner Deklaration verabschieden.

Was wird darin stehen?

Wir wollen ein starkes und klares Zeichen gegen die Zerstörung von Welterbestätten in Konfliktgebieten geben, wie sie jetzt im Irak und in Syrien geschehen, wo der Terrorismus wütet. Nachdem die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Initiative von Deutschland und dem Irak diese Zerstörungen als Kriegsverbrechen gebrandmarkt hat, wollen wir diesen Punkt in Bonn noch einmal herausstellen. Dazu gehört, dass vor dem Handel mit illegalen Kulturgütern nicht nur zu warnen ist, sondern dass dagegen auch gehandelt werden muss. Denn mit den Verkäufen wird auch der Terrorismus finanziert.

Wie soll das konkret geschehen?

Ich halte es für wichtig, dass jedes Land handelt. Deshalb messe ich der jetzt im Bundestag anstehenden Überarbeitung des Kulturgutschutzgesetzes hohe Bedeutung bei. Vorgesehen ist, dass der Import von Kulturgütern nur mit gültiger Exportlizenz des Herkunftsstaates geschehen kann.

Haben Sie den Eindruck, dass die syrische Armee eher daran interessiert ist, die Ölfelder zu schützen als die historischen Stätten?

Dafür habe ich keinen Beleg. Selbstverständlich stellen Stätten wie Palmyra einen besonderen Wert dar. Die Terroristen wollen die Zeugnisse ganz unterschiedlicher Religionen und Kulturen bewusst auslöschen, denn sie wissen um die Stärke von kulturellen Wurzeln. Daher greifen sie die kulturelle und soziale Existenz von Menschen an. Doch diese Stätten sind nicht nur ein Identitätsfaktor, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor, weil sie viele Touristen anlocken. Auch deshalb gilt es, diese Kulturgüter zu schützen.

Wie genau sind Sie über das Ausmaß solcher Zerstörungen informiert?

Die Unesco, zu der das Welterbe-Komitee gehört, ist immer sehr dicht an den Informationen. Aber manchmal ist es nicht so einfach zu entscheiden, ob es sich um eine tatsächliche Zerstörung oder um deren Androhung handelt. Denken Sie an die Plünderung der Museen, in denen vorher schon einiges in Sicherheit gebracht worden war. Das ist oft mühselig zu ermitteln. Was wir derzeit in Syrien beobachten, ist allerdings etwas, was jede Vorstellungskraft übersteigt. Und leider ist dies nicht das erste Mal der Fall – wenn ich an die Zerstörung der Buddha-Statuen in Afghanistan denke oder an die Handschriften in Timbuktu.

Ist der Fall Palmyra symptomatisch dafür, dass es wichtiger wäre, die vorhandenen Welterbestätten zu schützen anstatt neue zu benennen?

Es ist sicher beides wichtig. Aber ich habe in meiner Präsidentschaft den Eindruck, dass man die Anstrengungen weitgehend auf die Neueinschreibungen konzentriert. Deshalb trete ich mit solchem Nachdruck für den Erhalt von Welterbestätten ein. Es geht dabei ja nicht nur um politische Konflikte, sondern auch um wirtschaftliche Interessen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Eines, das positiv gelöst wurde! Es war geplant, eine Straße durch den Serengeti-Nationalpark in Tansania zu führen. Das hätte bedeutet, dass die großen Wildwanderungen, die typisch für den Park und einmalig in der Welt sind, unterbunden worden wären. Doch die Straße wurde so nicht gebaut, woran man die Kraft dieser Welterbe-Konvention erkennt.

In diesem Jahr wollen 38 Kultur- und Naturstätten zum Welterbe erklärt werden. Befürchten Sie nicht, dass durch die Vielzahl der Aufnahmen die Marke entwertet wird?

Wir sprechen oft davon, dass die Welterbe-Idee nicht zum Opfer ihres eigenen Erfolgs werden darf. Gerade deshalb ist das entscheidende Kriterium für den Titel so wichtig: der außergewöhnliche universelle Wert. Wir brauchen Reformen, damit die Glaubwürdigkeit der Idee erhalten bleibt. Man hat ja auch eine zunehmende Politisierung der Entscheidungen beobachtet. Dazu werde ich in Bonn Vorschläge vorlegen.

Wo sehen Sie die Gefahr der Politisierung?

Die habe ich sehr deutlich bei der letzten Welterbe-Konferenz in Doha erfahren. Die Empfehlungen, die von den Beratungs-Organisationen abgegeben worden sind, wurden in vielen Fällen überstimmt durch das Votum des Welterbe-Komitees. Dahinter steckt auch eine Lobby-Arbeit. Mir ist berichtet worden, dass das schon in vorhergehenden Jahren der Fall war. Wir wollen da für mehr Transparenz sorgen.

Gilt immer noch die Kritik, dass die Auswahl der Welterbe-Stätten allzu europalastig ist?

Es gibt einen deutlichen Schwerpunkt in Europa. Ich bin ja auch stolz sagen zu können, dass wir 39 Welterbestätten in Deutschland haben, und ich freue mich, wenn weitere hinzukommen. Doch wenn ich nach Afrika schaue, dann haben wir sicher nicht so viele Stätten auf unserer Liste, wie es dort gibt. Da fehlt es manchmal an finanziellen Möglichkeiten und auch am Know-how. Deshalb ist es wichtig, dass man entsprechende Initiativen partnerschaftlich begleitet.

Und welche Chancen räumen Sie den drei deutschen Kandidaten in Bonn ein: der Hamburger Speicherstadt mit dem Chilehaus, dem Naumburger Dom und den Wikingerstätten in Nordeuropa (Island, Dänemark, Deutschland, Lettland, Norwegen)?

Ich bin als Präsidentin des Komitees natürlich zur Neutralität verpflichtet. Aber für Hamburg bin ich guten Mutes.

Interview: Martin Oehlen. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Kölner Stadtanzeigers​​​​​​​

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