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Rede von Außenminister Wadephul zu 100 Jahren Deutscher Akademischer Austauschdienst
Magnifizenz,
Spectabilis,
Commilitones,
da der Leitspruch der Freien Universität ja lateinisch ist, wage ich mich mal zurück auf die Schulbank. Ich stehe hier in dieser Aula und denke zurück an meine schöne Studentenzeit. Vielen Dank daher für die Einladung! Sie tut mir persönlich gut.
Liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten!
480 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus 94 Ländern, haben wir gehört, sind heute hier im Saal. Sie studieren oder promovieren in Berlin, in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Ja, die Bundesländer sind wichtig in Deutschland, das sage ich auch als Außenminister.
Mit einigen von Ihnen durfte ich gerade vor dieser Veranstaltung noch ein paar Worte wechseln und etwas mehr über Sie, Ihre Erfahrungen hier in Deutschland, Ihre Pläne, Ihre Hoffnungen und Ihre Zukunftsabsichten erfahren. Was ich eben im kleinen Kreis gesagt habe, möchte ich hier wiederholen: Ich freue mich sehr, dass Ihr akademischer Weg Sie nach Deutschland geführt hat.
Das sage ich ganz bewusst als deutscher Außenminister. Denn Sie, die Sie hier in Deutschland studieren, forschen, Ihre Abschlüsse machen wollen, Sie sind für uns Botschafterinnen und Botschafter Ihrer Länder. Sie sind ein Teil des globalen Austauschs und der persönlichen Begegnung zwischen Menschen, ohne die Wissenschaft und akademische Bildung nicht möglich sind – ohne die aber auch Außenpolitik nicht möglich ist.
Traditionell steht die deutsche Außenpolitik auf verschiedenen Säulen. Der klassischen Diplomatie, dem Austausch zwischen Staatsoberhäuptern, Ministerinnen und Ministern, Botschafterinnen und Botschaftern. Der Wirtschaft als ebenfalls tragender Säule unserer Außenbeziehungen. Und der Kultur.
Die Aufgaben der deutschen Außenpolitik sind vor allem mit dem Krieg in Europa größer geworden. Wir sprechen nunmehr weniger von Säulen als vielmehr von Zahnrädern, die ineinandergreifen. Die „Auswärtige Kultur- und Gesellschaftspolitik“ ist heute integraler Teil unserer Außenpolitik, die Verstehen und Verständnis zwischen den Menschen, zwischen unseren Gesellschaften fördert.
Die darauf setzt, dass persönliche Begegnungen Beziehungen knüpfen, Einsichten ermöglichen, Vertrauen schaffen – wie dies in anderen Bereichen vielleicht nicht möglich wäre. Begegnungen zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern, Schülerinnen und Schülern und eben auch Ihnen, die Sie hier in Deutschland für ein Studium oder eine Promotion sind.
Eine Außenpolitik, die einen langen Atem hat. Die in die Zukunft schaut, die darauf setzt, dass Sie alle sich auch nach Ihrem Aufenthalt hier mit Deutschland weiter verbunden fühlen werden. Und dass Sie dann einmal, an Ihrer Universität, in Ihrer Firma, Ihrem Ministerium, Ihrem Parlament oder wo auch immer Ihre Zukunft liegen wird, Deutschland erklären werden, für Deutschland werben werden, und hoffentlich auch andere dazu ermutigen werden, dieses Land und seine Menschen hier kennenzulernen. Und dass sie dann unsere Botschafterinnen und Botschafter für Deutschland in der Welt werden.
Eine solche Auswärtige Kultur- und Gesellschaftspolitik ist meiner Überzeugung nach aber nur als eine Außenpolitik in Freiheit und für Freiheit möglich. In Freiheit, weil eine solche Außenpolitik nicht von einer Regierung von oben herab verordnet oder gesteuert, sondern nur gefördert und politisch begleitet werden kann.
Deshalb setzen wir in unserer Auswärtigen Kultur- und Gesellschaftspolitik auf vielfältige und eigenständige so genannte Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut, das Institut für Auslandsbeziehungen, die Deutsche UNESCO-Kommission und im Bereich des akademischen Austausches die Alexander-von-Humboldt-Stiftung oder – und damit komme ich jetzt zum Anlass dieser Feierstunde – seit genau einhundert Jahren natürlich auf den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).
Es lohnt sich, daran zu erinnern, Professor Mukherjee hat es schon angesprochen, dass der DAAD vor einhundert Jahren zunächst gegründet wurde, um deutschen Studierenden nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs zu ermöglichen, über die Gräben und den Hass und die Opfer des Krieges hinweg wieder Beziehungen aufzubauen, andere Länder kennenzulernen und damit Deutschland selbst aus seiner internationalen und auch intellektuellen Isolation herauszuführen und zu befreien.
Aus dieser zunächst privaten Initiative entwickelte sich dann über Jahrzehnte, aber vor allem nach dem Einschnitt des Zweiten Weltkriegs und der Shoah die heute weltweit größte Förderorganisation für den internationalen Austausch von Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Fast drei Millionen Akademikerinnen und Akademiker sowie tausende Hochschulkooperationsprojekte hat der DAAD seit 1925 gefördert.
140.000 deutsche und internationale Akademikerinnen und Akademiker unterstützt der DAAD heute jährlich bei ihren Auslandsaufenthalten. Das sind jedes Jahr 140.000 Botschafterinnen und Botschafter für Verstehen und Verständnis, für wissenschaftlichen Austausch und Innovation.
Zu dieser Erfolgsgeschichte möchte ich Ihnen stellvertretend, lieber Professor Mukherjee, dem ganzen Team des DAAD und auch Ihnen liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, ganz herzlich gratulieren! Dass Sie heute hier sitzen, dass wir in Deutschland heute etwa 400.000 internationale Studierende und über 80.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt verzeichnen können, das verdanken wir unserer breit gefächerten Landschaft von freien Austausch- und Wissenschaftsorganisationen.
Das verdanken wir aber auch, davon bin ich ebenfalls überzeugt, der Tatsache, dass für uns in Deutschland die Freiheit von Wissenschaft und Forschung selbst – gerade aufgrund unserer historischen Erfahrung mit Unfreiheit, mit der Vertreibung und der Verfolgung so vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Nationalsozialismus, aber auch in der DDR – ein so hohes Gut ist.
Und dabei bin ich mir sehr bewusst, dass die politischen Konflikte auf dieser Welt, dass die Debatten über die Rolle Deutschlands in dieser Welt, dass die gesellschaftliche Polarisierung, die wir bei vielen Themen gerade erleben, natürlich auch vor den Toren der Universitäten und Forschungseinrichtungen nicht halt machen.
Und das ist – und das sage ich als deutscher Außenminister ganz bewusst – auch richtig und wichtig. Denn genauso wie gute Forschung und zukunftsweisende Innovationen nur in einer Umgebung des freien Austausches von Menschen und Innovationen möglich sind, gilt dies auch für gute Politik und auch für gute Außenpolitik.
Wir brauchen in dieser unübersichtlichen Zeit und angesichts so vieler noch nie dagewesener Herausforderungen für unsere Sicherheit, für unsere Freiheit und für unseren Wohlstand, auch hier die besten Ideen, den Wettbewerb der Konzepte, auch den Widerspruch und den Blick von außen.
Deswegen ist es wichtig, dass auch diejenigen, die wie Sie als Studierende und Forschende hier zu uns nach Deutschland kommen, sich – in den Grenzen unserer Gesetze und im Bewusstsein unserer historischen Erfahrung und Verantwortung – an diesen Debatten beteiligen können. Und dass Sie gleichzeitig Ihre wissenschaftliche Ausbildung und Ihre Forschungsarbeit frei von politischer Einflussnahme oder sonstigem Zwang ausüben können.
Die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre, wie sie in Artikel 5 unseres Grundgesetzes verbürgt ist, werden wir auch in Zukunft hochhalten und schützen. Wir beobachten mit Sorge, dass diese Freiheit in einer wachsenden Zahl von Ländern, auch in unserer europäischen Nachbarschaft, auch unter unseren traditionellen Verbündeten, heute nicht mehr selbstverständlich ist. Dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Sorge um die Freiheit von Lehre und Forschung ihre Heimatländer verlassen und sich nach neuen Wirkungsstätten umschauen. Ein schmerzlicher Verlust – auch das haben wir als Deutsche in unserer Geschichte erfahren – für Forschung, für Innovation und für die freie Diskussion in diesen Ländern selbst.
Deshalb fühlen wir uns verpflichtet, Menschen, denen aufgrund ihrer politischen Überzeugungen oder ihrer Herkunft oder ihres Geschlechtes in ihrem Heimatland eine akademische Ausbildung verweigert wird, hier in Deutschland einen Schutzraum und eine Perspektive zu bilden. Dasselbe gilt für Akademikerinnen und Akademiker, die ganz konkreten Gefahren für Leib und Leben oder ihre persönliche Freiheit ausgesetzt sind und ihre Heimatländer deshalb verlassen müssen.
Zu Beginn dieser Woche habe ich, wir haben das schon erwähnt, die Ukraine besucht und mir selbst ein Bild von der Zerstörung vor Ort gemacht. Tausende, darunter auch viele Wissenschaftler und Studenten mussten ihr Heimatland verlassen. Unsere Schutzprogramme, wie das Hilde Domin-Programm und die Philipp Schwartz-Initiative – sind für mich eine Umsetzung unseres Bekenntnisses zur Freiheit der Wissenschaft – und heute leider notwendiger und gefragter denn je.
Gleichzeitig sind diese Programme, ebenso wie unsere Förderung von akademischem und wissenschaftlichem Austausch insgesamt, ebenso wie die Kulturarbeit des Goethe-Instituts, aber auch wie unsere Förderung von deutschen Schulen und dem Erlernen von Deutsch als Fremdsprache in anderen Ländern, strategische Instrumente unserer Außenpolitik. Denn alle diese Instrumente helfen, unser Land und unsere Werte – zu denen eben auch die Wissenschaftsfreiheit gehört – in der Welt zu erklären und zu vertreten. Und sie dienen damit auch unseren Werten und Interessen: Unserem Interesse an Sicherheit und Freiheit, wenn wir die Freiheit von Wissenschaft und Forschung in anderen Ländern fördern und damit unser freiheitliches Gesellschaftsmodell selbstbewusst in der Welt vertreten.
Indem wir dadurch aber auch falschen Narrativen und Desinformation über Deutschland Fakten, Wissen und persönliche Verbundenheit entgegensetzen. Und unserem Interesse an wirtschaftlichem Wohlstand durch Innovation, durch eine Stärkung von Wissenschaft und Forschung in Deutschland.
Dazu haben wir im Koalitionsvertrag etwa das „1.000“-Köpfe-Programm verankert, dass internationale Talente für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland gewinnen soll. Und wenn ich mich heute hier im Saal umsehe, wenn ich an die Gespräche denke, die ich mit einigen von Ihnen vorhin führen durfte, bin ich mir sicher, dass wir hier schon jetzt auf einem sehr guten Weg sind und der ein oder andere auch darüber nachdenkt, bei uns zu bleiben. Sie sind uns herzlich willkommen.
Wir wollen diese Instrumente und Bereiche unserer Auswärtigen Kultur- und Gesellschaftspolitik, in Zukunft noch stärker an diesen Werten und Interessen ausrichten.
Und wir wollen dabei auch noch stärker regionale Schwerpunkte setzen, welchen den Schwerpunkten und auch den Herausforderungen unserer Außenpolitik insgesamt entsprechen: Der Stärkung der transatlantischen Partnerschaft, der Verteidigung der Ukraine und unserer Partner in Ost- und Ostmitteleuropa gegen die russische Aggression – der in erheblichem Maße auch ein Kampf der Narrative, der Desinformation, der Herzen und Köpfe ist – oder die Bemühungen um Freiheit, Frieden und Stabilität etwa in Syrien.
Das bedeutet eben nicht, und das unterscheidet uns von autoritären Systemen, mit denen wir weltweit in Konkurrenz stehen, Wissenschaft und Forschung für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Sondern uns gerade einzusetzen für die Freiheit, in Wissenschaft und Forschung und darüber hinaus.
„…wo keine Freiheit ist, ist auch keine Universität möglich.“ Diese Worte hat der damalige amerikanische Militärkommandant von Berlin, Frank Howley, bei der Eröffnung dieser Universität, der Freien Universität Berlin, im Dezember 1948 gesagt. Sie könnten auch das Motto unserer Auswärtigen Kultur- und Gesellschaftspolitik sein. Und sie zeigen auch, dass es kaum einen besseren Ort in Berlin gibt, um heute das 100-jährige Bestehen des DAAD mit Ihnen gemeinsam zu begehen. Ich freue mich, dass Sie hier sind. Dankeschön.