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„Die Welt spielt bei uns nur dann eine Rolle, wenn irgendwo gemordet, gefoltert oder getötet wird“

09.06.2015 - Interview

Warum man Palmyra retten, afrikanischen Pop fördern und über das Humboldt Forum neu nachdenken muss: Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview über seine Kulturpolitik. Erschienen in der Süddeutschen Zeitung (09.06.2015).

Warum man Palmyra retten, afrikanischen Pop fördern und über das Humboldt Forum neu nachdenken muss: Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview über seine Kulturpolitik. Erschienen in der Süddeutschen Zeitung (09.06.2015).

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Die syrische Ruinenstadt Palmyra droht vom Islamischen Staat zerstört zu werden. Was kann Deutschland tun?

Palmyra ist eine der Stätten, die uns bewusst machen, woher wir kommen, die Teil unserer Identität sind. Um diese Stätten zu erhalten, müssen wir internationale Regeln schaffen, aber auch ganz praktische Schritte unternehmen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters arbeitet gerade an einem Gesetz zum besseren Kulturgüterschutz. Wir haben gemeinsam mit dem Irak einen Resolutionsentwurf in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum verbesserten Kulturgüterschutz eingebracht, der mit großer Mehrheit angenommen wurde. Nützt das den Kulturgütern, die heute von Isis bedroht werden? Unmittelbar wohl nicht. Mittelbar aber eben schon, denn es geht uns auch darum, den illegalen Handel einzuschränken und Isis Finanzierungsmöglichkeiten zu nehmen. Und wir haben dem Deutschen Archäologischen Institut mehr Mittel zur Verfügung gestellt, um die bedrohten Kulturgüter zu katalogisieren, nicht nur um sie auf illegalen Kulturmärkten zu identifizieren, auch um spätere Restaurierung möglich zu machen.

Ist das nicht eine Kapitulation? Wir können die Kulturgüter nicht schützen, also digitalisieren wir sie zur Erinnerung?

Auch mich treibt es zur Verzweiflung, wenn wir die Mittel nicht finden, um diese zu allem Entschlossenen terroristischen Horden zu stoppen - wenn diese Mixtur von mittelalterlicher Barbarei und Internet, überwölbt von religiösem Fanatismus, nicht nur in der islamischen Welt, sondern auch unter Jugendlichen in Europa Anhänger findet. Mir scheint allerdings, dass zunehmend Einigkeit unter den arabischen Nachbarn entsteht, die Dinge nicht länger treiben zu lassen und entschlossene Gegenwehr zu leisten. Solange - wie im Fall Palmyra - tun wir allerdings gut daran, das Mögliche zum Schutz der Kulturgüter auch zu unternehmen und nicht vor lauter Verzweiflung auch noch zu unterlassen.

Hätte man Palmyra mit Bomben schützen sollen?

Die Vorstellung, dass wir durch noch mehr militärisches Engagement Kulturgüter in Syrien oder im Irak retten, ist nicht sehr ausgeprägt. Wir unterstützen aber mit unseren Möglichkeiten jene Kräfte, die sich der Terrorgruppe Isis entgegenstellen. Dazu gehört auch die Lieferung von Waffen an die kurdischen Peschmerga, eine Entscheidung, die, wie Sie wissen, nicht nur auf Zustimmung gestoßen ist. Insofern engagiert sich Deutschland hier wesentlich stärker, als das noch vor einigen Jahren vorstellbar war.

Gibt es bei der Sorge um Palmyra nicht ein Ungleichgewicht? Müssen wir uns nicht vor allem um die Menschen sorgen?

Genau das tun wir ja. Wir gehörten zu den Ersten, die denjenigen haben Hilfe zukommen lassen, die sich mit letzter Not vor den vorrückenden Isis-Horden in Sicherheit gebracht haben. Wir haben alleine von deutscher Seite aus in den letzten drei Jahren eine Milliarde Euro für die Versorgung der Flüchtlinge und die Stabilisierung der Aufnahmeländer wie Libanon und Jordanien ausgegeben. Und dennoch bleibt es richtig, dass wir uns auch um den Kulturgüterschutz kümmern müssen.

Warum?

Ich habe vor Kurzem das Kloster Corvey als Weltkulturstätte eingeweiht. Was hat Palmyra nun mit Kloster Corvey zu tun?, könnte man sich fragen. Zunächst einmal nichts. Das eine ist ein karolingisches Kloster in Ostwestfalen, das andere eine einst blühende Oasenstadt der Antike. Auf den zweiten Blick hat das aber sehr viel miteinander zu tun. Corvey und Palmyra sind Stätten, die Menschheitsgeschichte geschrieben haben, an denen sich Stufen der Menschheitsentwicklung zeigen. Auch heute noch tragen diese Stätten maßgeblich zur Identitätsbildung bei und geben Orientierung. „Zukunft braucht Herkunft“, hat der gerade verstorbene Odo Marquardt geschrieben. In einer Zeit voller Ungewissheiten, einer Welt, die immer unübersichtlicher wird, einer Welt ohne Ordnung, ist deshalb der Erhalt von Kulturerbe unverzichtbar.

Sie sprachen davon, Kultur könne die „Weltvernunft“ stärken. Das wäre derzeit mindestens so nötig wie sonst auch. Nur: Wie soll das gehen?

Mein bescheidenes Ziel besteht darin, die Außenpolitik aus ihren ritualisierten Verengungen befreien zu helfen. Partnerländer oder Regionen, mit denen wir uns beschäftigen, werden zu sehr unter der Perspektive wahrgenommen, welche Verträge bestehen. Oder: Was verhandeln wir? Welche ökonomischen Interessen haben wir? Aber einen vollständigen Blick werden wir nur erreichen, wenn wir alles einbeziehen, was die Träume und Traumata eines Partners ausmachen und uns mit ihnen auseinandersetzen.

Träume und Traumata?

Die Traumata bei denjenigen, mit denen wir eine konfliktreiche Vergangenheit haben. Die Träume von denjenigen, die noch Annäherung an Lebensstandards, Freiheit und Demokratie wie in Europa suchen. Der indische Lyriker Rajvinder Singh hat mir das einmal als eine Außenpolitik der sechs Augen beschrieben. Wir müssen dabei versuchen, zunächst die Welt mit den eigenen Augen zu sehen, dann mit den Augen des anderen und dann versuchen, ob es Gemeinsamkeiten in diesen unterschiedlichen Wahrnehmungen gibt. Das ist noch nicht die Weltvernunft, aber es ist das Bemühen, ein Substrat davon zu erkennen.

Im arabischen Raum hat man vor gar nicht langer Zeit auch gehofft, Kultur würde zur Entwicklung und zum Gewinn von Freiheit beitragen. Heute weiß man: Das war ein Irrtum.

So war es ja auch nicht. Im Gegenteil, wenn ich zurückdenke an den Beginn meiner ersten Amtszeit, so waren doch unsere Anstrengungen mit der Buchmesse in Kairo oder mit Islamkonferenzen bei uns immer das Bemühen, die Differenz wenigstens diskutierbar zu machen, und gleichzeitig fürchteten wir, dass sich im Untergrund mehr Konflikte verbergen, als wir öffentlich zum Ausdruck bringen. Die unterstellte naive Sicht, dass wir in größter Harmonie mit der gesamten arabisch-muslimischen Welt leben, gab es nie. Sonst wäre, glaube ich, diese Form und Vorstellung von auswärtiger Kulturpolitik nicht entstanden, die versucht zu begreifen, was den anderen treibt, aber nicht der Vorstellung anheimfällt, ihn deshalb schon korrigieren zu können.

Das klingt nach einem neuen Kulturbegriff.

Mir geht es nicht um den Kulturbegriff als solchen, sondern darum, wie wir gesellschaftliche Prozesse in ihrer Unterschiedlichkeit verstehen und darauf eingehen. Der Wunsch, sozial Anschluss zu finden, die eigene Identität mit den wirtschaftlichen und politischen Realitäten der Globalisierung übereinzubringen, findet eben in manchen arabischen Staaten ganz andere Ausdrucksformen, als, sagen wir, in Ländern in Afrika. Deshalb kann sich Kulturpolitik nicht auf ästhetische Kategorien beschränken, sondern muss politische und soziale Kriterien hinzuziehen. Es geht mir um die soziale Kraft von Kultur.

Wie sieht denn ein Austausch aus, der nicht zur Vertiefung der Gräben führt?

Meine Philosophie ist Förderung ohne Dirigismus. Und es wäre ja naiv anzunehmen, dass jeder Austausch schon zu Verständnis geschweige denn Einverständnis führt. Es kann auch sein, dass Austausch zunächst mal Katharsis bedeutet und erst vielfache Wiederholung zu Verständnis beiträgt.

Ein Beispiel bitte. Was ist etwa mit Russland?

Da hatten wir in der Tat einfachere Tage als die seit der Annexion der Krim. Es gab die großen deutsch-russischen Ausstellungen wie „Russen und Deutsche - 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur“ mit vielen begleitenden Veranstaltungen. Das war die Zeit, als wir das Thema Modernisierungspartnerschaft entworfen haben, als es Neugier und Interesse aneinander gab. Leider sind wir im Augenblick weit davon entfernt. Und ich befürchte, in der deutsch-russischen Kulturarbeit fallen wir im Augenblick eher wieder zurück, indem wir Vergangenheit betrachten innerhalb der kulturellen Diskussion und die Beschreibung der gemeinsamen Zukunft eher ausfällt.

Erwarten Kulturschaffende in Ländern wie Russland oder der arabischen Welt von Deutschland nicht in erster Linie ein Visum, damit sie ausreisen können?

Ich treffe bei Reden an Universitäten in Russland auf junge Leute, die wissen wollen, wie man zusammenkommt. Deshalb dürfen wir gerade in politisch belasteten Zeiten nicht aufhören, an kulturellen Kontakten zu arbeiten. Aber auch hier müssen wir das im weiteren Sinne angehen. Das darf sich nicht nur auf den Austausch zwischen Museen und Künstlern beschränken. Wir müssen hier vor allen Dingen mit den unzähligen wissenschaftlichen Einrichtungen in Russland in Kontakt bleiben, die den Ehrgeiz haben, im Austausch mit der Welt zu bleiben und nicht auf ein innerrussisches Wissenschaftsgespräch zurückzufallen.

Gehört zu Ihrem Kulturbegriff auch Wissenschaft und vielleicht sogar die Popkultur?

Das ist eine Frage, die wir uns auch gestellt haben, etwa beim Blick auf Afrika. Wie gewinnen wir einen Blick darauf, wie jüngere afrikanische Generationen überregional miteinander kommunizieren? Und gibt es etwas jenseits von Sprache, Sprachen und sprachlichen Dialekten? Am Ende war es die Musik. Wir haben mitgeholfen, das Projekt „Music in Africa“ aufzubauen. Das war zum ersten Mal ein innerafrikanisches Austauschprojekt für Popmusik, das nicht durch große amerikanische oder internationale Plattenfirmen gelenkt wurde. Und es hatte ganz erstaunliche Zuwachsraten. Vor sechs Jahren haben wir das erste Mal darüber gesprochen. Und jetzt läuft es seit zwei Jahren, es gibt Büros in Johannesburg, Kinshasa, Nairobi, Dakar und Lagos. Und die Zahl der Beteiligten wächst von Jahr zu Jahr.

Schließen Sie da an die postkoloniale Zeit an, als es erstmals so etwas wie panafrikanische Musik gab?

Wir müssen heute einen Schritt weitergehen, wenn wir über auswärtige Kulturpolitik im postkolonialen Zeitalter nachdenken. Deutsche auswärtige Kulturpolitik kann und darf sich nicht darauf beschränken, deutsches Kulturgut ins Ausland zu exportieren und hin und wieder großzügig Gegeneinladungen auszusprechen. Wenn wir das Ganze auf Augenhöhe betreiben wollen, müssen wir da, wo Interesse besteht, zu kulturellen Kooperationen, zu Koproduktionen kommen, zu einer neuen Phase auswärtiger Kulturpolitik.

Was wäre dafür ein Beispiel?

Wenn wir Kooperationen in der Musik eingehen oder im Film. Oder wenn wir drei Schritte weiterdenken, wie wir ein Humboldt-Forum in Berlin füllen werden.

Es gibt Institute, die sich vom traditionellen, eher hochkulturell geprägten Ästhetikideal längst gelöst haben, die politische und soziale Fragen aufgreifen. Allen voran das Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Was kann das Humboldt-Forum da zusätzlich leisten?

Die Riesenchance besteht darin, unseren Blick auf die Welt zu erweitern. Was wir hier gelegentlich in deutscher Nabelschau betreiben, reicht oft nicht aus, um nachzuempfinden, was an anderen Orten der Welt geschieht und vor allen Dingen, warum. Dazu kann das Humboldt-Forum, wenn es mit dem entsprechenden Ehrgeiz angelegt ist, einen großen Beitrag leisten.

Herzstück im Humboldt-Forum sollen die ethnologischen Sammlungen aus Dahlem sein. Wie trägt die Betrachtung von hundert Jahre alten Masken aus Westafrika dazu bei, die heutige Welt zu begreifen?

Erstens habe ich gar nichts gegen die Ausstellungen. Im Gegenteil. Aber wenn der Anspruch nur der wäre, dieselben Ausstellungen an neuen, attraktiveren Orten mitten in der Stadt zu bringen, wäre das nicht ausreichend. Die Ausstellungen selbst sind für uns der Anreiz, einen Blick auf die Welt zu erarbeiten, den die Entdeckergenerationen noch nicht haben konnten. Man kann die Repräsentanten unterschiedlicher Kulturen in ein Gespräch miteinander bringen, das nirgendwo sonst geführt werden könnte. Und das ist ein Beitrag zur Selbstaufklärung der Deutschen und ihrer Sicht auf die Welt.

Das klingt gut, aber etwas wolkig.

Hören Sie britische Nachrichten, die BBC, und deutsche Sender: Die Welt spielt bei uns nur dann eine Rolle, wenn irgendwo gemordet, gefoltert oder getötet wird. Wir haben einen sehr deutschen Blick auf die Welt, der sich nicht leicht irritieren lässt. Es sei denn, es gibt gewaltsame Zuspitzungen. Es wäre ein Riesenfortschritt, wenn das Humboldt-Forum dazu beitragen könnte, unsere Neugier auf die Welt jenseits von Konflikten steigern zu helfen. Wir drängen uns da nicht auf, aber wenn unser Beitrag dazu gefragt wird, stehen wir gemeinsam mit den Kulturmittlern selbstverständlich zur Verfügung.

Was sagt denn Staatsministerin Grütters zu dieser Idee? Sie ist Hausherrin im Humboldt-Forum, Sie hingegen haben zwar im vergangenen Jahr mit den deutschen Botschaftern die Baustelle besucht, sind aber doch eigentlich nur teilnehmender Beobachter.

Ich habe nie wahrgenommen, dass die auswärtige Kulturpolitik als Konkurrenz zur nationalen Kulturpolitik wahrgenommen wird. Wir sind ständig im Gespräch, auch unsere Mitarbeiter. Es geht ja nicht darum, dass der eine dem anderen etwas wegnimmt. Jedenfalls verstehe ich es nicht so. Das Humboldt-Forum wird ja möglicherweise vieles sein, aber es wird nicht das deutsche Zentrum zur Pflege des Kulturbegriffs sein.

Nicht, wenn Sie es verhindern können.

Nein, ich kenne eigentlich keinen, der das will. Ich finde nur die Debatte, wie sie um das Humboldt-Forum läuft, ein bisschen zu typisch deutsch. Der Ort sollte als Chance gesehen werden. Was Inhalte und Darstellungsformen angeht, ist doch gut, wenn darüber öffentlich gestritten und debattiert wird. Und ich finde es schade, dass viele Jahre vor der Eröffnung beklagt wird, dass die Öffnungszeiten am Donnerstag noch nicht stehen. Gerade weil noch Zeit ist, und ich mir vorstellen kann, dass ein Gründungsintendant Neil MacGregor die Debatte sogar fördert, sollten wir die Möglichkeiten nutzen.

Die traurigste Frage zuletzt: Wann wird Palmyra zerstört?

Nach den Erfahrungen der letzten Wochen und der Zerstörung der anderen antiken Stätten besteht kein Anlass zu Optimismus.

Interview: Andrian Kreye und Sonja Zekri. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung.

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