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Mindestlöhne überall. Von Michael Roth und vier europäischen Amtskollegen

03.06.2015 - Interview

Gemeinsamer Beitrag von Staatsminister für Europa Michael Roth und seinen Amtskollegen Miroslav Lajcák (Slowakei), Lubomir Zaorálek (Tschechien), Harlem Désir (Frankreich) und Sandro Gozi (Italien). Erschienen in der Frankfurter Rundschau (03.06.2015).

Gemeinsamer Beitrag von Staatsminister für Europa Michael Roth und seinen Amtskollegen Miroslav Lajcák (Slowakei), Lubomir Zaorálek (Tschechien), Harlem Désir (Frankreich) und Sandro Gozi (Italien). Erschienen in der Frankfurter Rundschau (03.06.2015).

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In den nächsten Tagen haben wir abermals die Chance, die europäische Wirtschaft und das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger weiter zu verbessern. Die Staats- und Regierungschefs werden auf dem Treffen des Europäischen Rats im Juni neue Schritte zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) beraten. Als sozialdemokratische Europaminister aus fünf EU-Staaten fordern wir eine mutige Reform, mit der die Funktionsweise und Glaubwürdigkeit der WWU deutlich verbessert wird. Aus unserer Sicht muss mehr getan werden, um die europäischen Volkswirtschaften und das europäische Sozialmodell zu sichern.

Der Euro ist eine der größten Errungenschaften der EU. Die gemeinsame Währung hat den Bürgern enorme politische und wirtschaftliche Vorteile beschert und dazu beigetragen, die negativen Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa abzufedern. Dennoch hat die Krise auch gezeigt, dass eine gemeinsame Währung allein nicht ausreicht. Angesichts der bekannten Defizite wollen wir sicherstellen, dass die Wirtschafts- und Währungsunion im Interesse des Wohlergehens unserer Bürger optimal funktioniert. Wir treten daher für eine gerechtere, demokratischere Wirtschafts- und Währungsunion ein, die das Wirtschaftswachstum fördert und in deren Mittelpunkt die Menschen, nicht die Märkte stehen.

Für diese Ziele braucht die Union einen starken sozialen Pfeiler. Krise und Sparpolitik haben in mehreren europäischen Ländern das Leben von Millionen Menschen schwerwiegend belastet. Dies hat gezeigt, wie dringend die Wirtschafts- und Währungsunion mit einer echten sozialen Komponente ausgestattet werden muss, die Lösungen bietet für die gegenwärtigen sozialen Bedrohungen, insbesondere die dramatisch hohe Arbeitslosigkeit in vielen Mitgliedstaaten. Unserer Meinung nach könnte dies durch sinnvolle Reformprogramme erreicht werden, mit denen – entsprechend dem Stand der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Mitgliedstaaten – soziale Mindeststandards, einschließlich angemessener Mindestlöhne, eingeführt werden.

Wir wollen außerdem eine WWU, die das Wirtschaftswachstum fördert. Verantwortungsbewusstes finanzpolitisches Handeln muss mit sozial ausgewogenen Reformen und Investitionen einhergehen, um die Erholung unserer Volkswirtschaften voranzutreiben. Solide Finanzen sind kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für starke Sozialsysteme. Wir brauchen eine echte Wirtschaftsunion als Teil der WWU. In der Praxis bedeutet das, die wirtschaftspolitischen Entscheidungen stärker aufeinander abzustimmen, auch um Ungleichgewichte zwischen und innerhalb der Staaten der WWU zu überbrücken. Wir müssen sicherstellen, dass soziale Gerechtigkeit oder die Zukunftsfähigkeit von Sozialstaaten nicht einer soliden Haushaltspolitik untergeordnet werden. Unsere Ziele für die WWU sind wirtschaftliche Stabilität, sozialer Zusammenhalt und Vollbeschäftigung. Wir streben daher verbesserte Schutzmechanismen an, um zu gewährleisten, dass die Bürger nicht länger für Fehler des Bankensektors zahlen müssen. Wir wollen Haushaltssolidarität mit denjenigen Ländern üben, die unter einem schweren wirtschaftlichen Schock und infolgedessen einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit leiden.

Die solide wirtschaftliche Erholung Europas sollte unser gemeinsames Ziel sein. Finanzpolitische und soziale Gerechtigkeit muss im Zentrum dieser Bemühungen stehen. Zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sollten die Staaten automatisch Steuerinformationen austauschen, gegen aggressive Steuerpolitik vorgehen und Steueroasen schließen. Zusätzlich sollten auch Finanzinstrumente eingeführt bzw. gestärkt werden, die eine gleiche Besteuerung und soziale Umverteilung gewährleisten, den Wandel hin zu einer ökologischeren Wirtschaft unterstützen und Finanzspekulationen einschränken. Zu diesem Zweck unterstützen wir die rasche Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

Schließlich wollen wir eine demokratischere WWU. Es liegt in unserer Verantwortung, das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union wiederherzustellen und ihr Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen zu gewährleisten. Dafür muss sowohl die Rolle des Europäischen Parlaments als auch die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten bei Entscheidungen, die die WWU betreffen, gestärkt werden. Wir unterstützen eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten und wünschen uns eine echte Partnerschaft der Parlamente in Europa.

Als Europaminister streben wir die rasche Verwirklichung dieser Ziele innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens an. Dennoch schließen wir keine weiteren Schritte aus, um die WWU mittel- und langfristig endlich zu vollenden. Unsere Vision ist eine Union, die niemanden ausschließt, ein starkes Sozialmodell fördert, wirtschaftliche Nachhaltigkeit gewährleistet und das Leben der Bürgerinnen und Bürger der EU positiv beeinflusst.

Michael Roth, Staatsminister für Europa, Deutschland

Miroslav Lajčák, Stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten, Slowakei

Lubomir Zaorálek, Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Tschechische Republik

Harlem Désir, Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten, Frankreich

Sandro Gozi, Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten, Italien

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